Geräusche ohne Resonanzraum

Virtuosität In der Aufführung „Die Ringe des Saturn“ inszeniert Regisseurin Katie Mitchell ein intertextuelles Verweissystem, das eine klare Interpretation schuldig bleibt

Man braucht ein ganzes Arsenal an Gegenständen. Läppchen, Schüsseln mit Wasser, Aktentaschen, Papiere, Erbsensäckchen, Blätter, Kies, Sand, Gesträuch, Glöckchen – und vor allem: Mikrofone. Die Foley Artists, die Geräuschemacher, machen im wörtlichen Sinn erst den imaginativen Sound bei Katie Mitchells Produktionen. In der Interpretation von W.G. Sebalds Roman Die Ringe des Saturn am Schauspiel Köln sind das die Schauspieler Niklaus Benda, Ruth Marie Kröger, Julia Wieninger und Renato Schuch. Wie die Heinzelmännchen schaffen sie Gegenstände auf die Bühne, klöppeln, tapsen und plantschen und lesen zwischendurch die ein oder andere Textpassage.

W.G. Sebald, der seit 1970 in England gelebt hatte und 2001 tödlich verunglückte, gilt immer noch als Geheimtipp der deutschen Literatur. Sein Roman trägt den Untertitel Eine englische Wallfahrt und beschreibt die Reise eines Ich-Erzählers in die englische Provinz Suffolk. Worauf immer der Blick des Fußwanderers fällt, er entdeckt in Atomkraftwerken, verfallenden Schlössern oder einem unverschlossenen Militärgelände Spuren des Verfalls und der Zerstörung.

Die Beobachtungen werden zum Sprungbrett der Assoziationen. Der Erzähler, Sebalds Alter Ego, beschwört große Melancholiker wie James Browne oder Joseph Conrad, springt vom Ersten Weltkrieg zum chinesischen Kaiserhof oder zur Naturgeschichte des Herings und spannt all die heterogenen Beobachtungen in ein intertextuelles Verweissystem aus Parallelen, Wiederholungen und Zitaten ein.

Virtuosität

Mitchells Verfahren, sinnliche Wahrnehmung als Produktion sichtbar zu machen, scheint hierfür die ideale Interpretationsbasis zu sein. Mit sachlichem Tonfall beschreiben die Schauspieler den Besuch bei Alec Garrad, der den Tempel Jerusalems als Modell nachbaut, oder berichten von der Überidentifikation mit einem vor Angst paralysierten Hasen.

James Longford am Flügel streut ein paar chromatische Akkorde ein. Schwarz-Weiß-Fotos und kurze Filmaufnahmen von Straßen, Stränden und Gebäuden der englischen Landschaft werden auf die schrundige Stirnwand der Halle Kalk geworfen. Und die Geräuschproduktion arbeitet an der Vorstellungskraft. Die assoziative Montage von Sebalds Erzähler, der vor den Trümmern einer kalamitären Geschichte steht und nach dem der Sinn rätselt, findet in Mitchells Wahrnehmungszerlegung ihr Pendant.

Doch die Kölner Textfassung unterschlägt Entscheidendes. Sebalds historische Abschweifungen und melancholische Gewährsmänner sind gestrichen, es fehlt das Referenzsystem. Mitchells Interpretation konzentriert sich ganz auf den Ich-Erzähler. Mit einer Livekamera aufgenommene Bilder zeigen Juro Mikus im Schlafanzug als melancholisch dreinblickenden Autor, der in ein Krankenzimmer verfrachtet und von Pflegern versorgt wird. Später öffnet sich im Hintergrund eine Schiebetür und gibt den Blick auf den Patienten frei.

Worum geht es Mitchell? Die Wahrnehmung des künstlerischen Subjekts? Die Produktion des Werks? Oder das Überleben dieses Werks – nachdem eine Schwester dem Autor die Augen zugedrückt hat, schlägt der sie noch einmal auf, kurz darauf ist das Zimmer leer. Der Abend kommt über die Demonstration der eigenen Virtuosität nicht hinaus – das Mäandern und der Anspielungsreichtum des Romans entziehen sich dem durchrationalisierten Zugriff von Mitchells Theater, das hier mehr Langeweile als Erkenntnis produziert.

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