Gerechtigkeit statt Leistung: 1999 ist zurück und will seine Debatte wiederhaben

Meinung Unsere Autorin Ebru Taşdemir kommentiert die Einbürgerungsdebatte und erklärt, warum die Staatsbürger*innenreform eine gute Idee war und immer noch ist: Weil es dabei nämlich auch um demokratische Rechte geht
Ausgabe 48/2022
Eine gute Idee: Die Staatsbürger*innenreform
Eine gute Idee: Die Staatsbürger*innenreform

Foto: Imago/agefotostock

„Von einer „Verramschung“ der deutschen Staatsbürgerschaft ist die Rede und sogar das leidige Wort Integration wird wieder angeführt – als wäre es 1999. Da plante die rot-grüne Bundesregierung, das Staatsangehörigkeitsrecht zu reformieren. Unter anderem sollten die Kinder von ausländischen Staatsangehörigen die Möglichkeit bekommen, ab Geburt den deutschen Pass zum bereits bestehenden zu erhalten.

Schon damals hatte sich der hessische CDU-Chef Roland Koch gegen die doppelte Staatsbürgerschaft bei den Landtagswahlen zu positionieren versucht. An den Wahlständen der CDU lagen Unterschriftenlisten mit der Aussage „Ja zur Integration – Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft“ aus. Nicht wenige wollten dort gegen „die Ausländer“ oder „die Türken“ unterschreiben.

Die Rechnung ging auf: Koch gewann mit seiner rassistischen Kampagne die Wahl. So weit, so vorgestrig. Doch für die CDU/CSU lässt sich auch 2022 – und für die Wahlen 2023 in Berlin, Bremen, Bayern und Hessen –erneut das „Ausländer-Thema“ als populistischer Anheizer nutzen. Zumindest die klügeren Köpfe in der CDU/CSU müssten doch eigentlich wissen, dass die Hürden bei einer Einbürgerung und somit auch einer doppelten Staatsbürgerschaft keineswegs einer Verramschung oder einer nicht eingehaltenen Integrationsleistung entsprechen. Straffreiheit, eigenes Einkommen und ein mehrjähriger Aufenthalt waren auch bisher Voraussetzung. Jetzt tun die Union und die FDP (!) überrascht, doch nachzulesen war die Reform bereits im Koalitionsvertrag der Ampelregierung, ausgehandelt und unterschrieben auch von den Liberalen. Entgegen jeglicher Kritik ist diese Reform längst überfällig.

Und zwar aus politischen Gründen. Dass Innenministerin Nancy Faeser (SPD) vor allem die Einbürgerungserleichterung für sogenannte Gastarbeiter*innen ab 67 Jahren explizit erwähnt, ist mehr als eine schöne Geste. Sie bezeichnet es als „Gerechtigkeit“. Ohne Zweifel haben Menschen, die hier jahrelang geschuftet und deutlich zur deutschen Wirtschaftsleistung beigetragen haben, auch ein Recht darauf, politisch wahrgenommen zu werden. Genauso wie die neun Millionen Menschen, die eine ausländische Staatsbürgerschaft besitzen und hier leben, lieben und arbeiten.

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Geschrieben von

Ebru Taşdemir

Redakteurin „Politik“

Ebru Taşdemir studierte Publizistik und Turkologie an der FU Berlin und arbeitete als freie Autorin für verschiedene Medien. 2017-2019 war sie Redakteurin der deutsch-türkischen Medienplattform taz.gazete. Von 2019 bis 2022 war sie Chefin vom Dienst im Berlin-Ressort der taz. Sie ist Mitglied der Nominierungskommsission Info und Kultur des Grimme-Preises und Kolumnistin der Reihe „100 Sekunden Leben“ im Inforadio des rbb. Beim Freitag ist sie mit den großen und kleinen Fragen rund um Feminismus, Gender, Teilhabe und Migration betraut.

Ebru Taşdemir

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