Gesang der Welt

Heuhaufen In Berlin hat das 6. Internationale Literaturfestival begonnen

Dass der karibische Dichter Edouard Glissant am vergangenen Dienstag mit seiner Rede "Eine neue Region der Welt" das 6. Internationale Literaturfestival zu Berlin eröffnete, war mal eine gelungene Wahl der Initiatoren. Als Vordenker des kulturellen Theorems der Hybridisierung, der Verschmelzung von unterschiedlichen Kulturen - Spezialfall Kreolisierung - passen der Name des 1938 auf der Karibikinsel Martinique geborenen Schriftstellers und Kulturtheoretikers und sein Anliegen nun wirklich auf die diesjährigen Literaturtage. Kulturelle Verflechtungen brauchen nach Glissant eine Form, um die Konflikte, die dabei zwangsläufig auftretenden, auszuagieren. Und was könnte formgebender sein als ein Festival der internationalen Literatur? Außerdem: Ist Literatur selbst nicht immer hybrid? Erzähler sind, wenn man genauer hinhört, nie einstimmig. Auch, wenn man zum Beispiel von Weltliteratur spricht, ist ein Sammelsurium der unterschiedlichsten Stimmen gemeint. Sie gleichen einem mosaikartigen Gesamtbild: aus vielem wird eins, aus einem wird vieles. So weit, so zeitgenössisch.

Vertreter dieser Weltliteratur wie der Norweger Jostein Gaarder oder Chiles Isabel Allende stehen beim Internationalen Literaturfestival Berlin, dass der Quereinsteiger Ulrich Schreiber nun schon zum sechsten Mal mit beängstigender Energie aus dem Boden gestampft hat, ebenso im Rampenlicht, wie junge aufstrebende Nachwuchsautoren, die mit Empfehlungen von international anerkannten Juroren an die Spree gereist sind. In zwölf Tagen präsentieren bis zum 16. September über einhundert Autoren ihre Werke dem Publikum in den altbekannten Sparten; dem internationalen "Kaleidoskop", der "Scritture Giovani", den "Literaturen der Welt", in politischen Podiumsdiskussionen der "Reflections" (China!) oder in den "Erinnerung, sprich"- Gedenklesungen (zum Beispiel zu Marguerite Duras). Besonders beliebt ist seit einigen Jahren die "Kinder- und Jugendliteratur", bei der die Autoren Geschichten erzählen, mit ihren Zuhörern singen und diskutieren. Und die Organisatoren haben offenbar aus der Vergangenheit gelernt. Angeblich ist das Programm in diesem Jahr um rund ein Drittel schlanker als in den Vorjahren. Das Programmheft ist aber immer noch so dick, dass sich der ungeübte Besucher vermutlich im Dickicht der Veranstaltungsreihen verirren wird.

Seit Jahren fragen sich die Beobachter des Berliner Festivals, ob ein Literaturevent wie dieses in Berlin zu implantieren, nicht bedeutet, Eulen nach Athen zu tragen. Denn das Leseprogramm in Berliner Literaturhäusern und auf Lesebühnen ist auch ohne Festival so dicht wie nirgends in der Republik. Immerhin hat es den Vorteil, dass es einen Hauch von Internationalität in eine Metropole bringt, die sich bloß international dünkt. Die frankophone Literatur, auf der in diesem Jahr der Schwerpunkt liegt, passt hervorragend zum Eröffnungsredner Glissant. So möchte man die kulturelle Heterogenität der französischsprachigen Autoren des 21. Jahrhunderts herausstellen und präsentiert Lektüre aus den karibischen Archipelen, dem Maghreb aber auch Schwarzafrikas. Autoren wie Vikram Seth, Frank McCourt oder Doris Lessing sind eher unter die Rubrik internationale Prominenz zu rechnen. Zwar haben sie auch neue Bücher vorzuweisen. Aber von irgendwoher muss ja auch ein bisschen Glanz kommen. Zu diesen populäre Literaten zählen in Deutschland inzwischen glücklicherweise auch Migranten wie Feridun Zaimoglu. Er wird aus seinem umstrittenen Roman Leyla lesen. Ob Spiegel-Kulturchef Matthias Matussek mit seinem ebenfalls umstrittenen Plädoyer für einen entspannteren Patriotismus Wir Deutschen. Warum die anderen uns gern haben können auf einem Literaturfestival richtig platziert ist, sei dahingestellt. Aber die Berliner geben sich ja gern politisch.

Natürlich kann auch das 6. Internationale Literaturfestival Berlin nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Aber wenn sich in diesem alljährlichen Heuhaufen der Literatur so etwas wie ein roter Faden finden lässt, dann vielleicht die Idee, dass der Einzelne mit seinem jeweiligen regionalen Hintergrund immer aber auch die Idee einer universellen Literatur vertritt. Und so wird man dann dieser Tage in Berlin immerhin eine Strophe des "Gesangs der Welt" (Glissant) vernehmen, wenn auch nicht das gesamte Lied.


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