Gescheiterter Tyrannen-Mord

HITLERATTENTÄTER GEORG ELSER München, 8. November 1939 - Georg Elser und das Attentat auf Adolf Hitler

Eine 1922 entstandene Fotografie zeigt ihn inmitten der Tanzgruppe seines schwäbischen Heimatortes Königsbronn. Es muss sich um den Abschlussball handeln, denn die Mädchen in Biesenkleidern haben Blumenbouquets im Arm und die Burschen eine Blume im Knopfloch. Im Frühjahr desselben Jahres hat der neunzehnjährige Georg Elser seine Gesellenprüfung als Möbelschreiner an der Gewerbeschule im nahen Heidenheim abgelegt. Eine Lehre, die er nach der siebenjährigen Volksschule gegen den Willen seines Vaters durchsetzen muss, will der den Sohn doch am liebsten als Hilfe auf seinem kleinen Bauernhof.

Schließlich verlässt Elser 1925 Königsbronn für eine Reihe von Jahren - 13 Jahre später wird er sich zum Tyrannenmord entschließen, ihn monatelang planen und am 8. November 1939 auch ausführen.

Wunde Knie zwingen zum Geständnis

Hitler entgeht dem Attentat im Münchner Bürgerbräukeller nur, weil 1939 die Feier zum Jahrestag des Putschversuchs vom November 1923 verkürzt wird. Das Sudetenland, die gesamte Tschechoslowakei, Polen und Österreich sind bereits okkupiert - seit dem 1. September führt die Wehrmacht einen blutigen Angriffskrieg. Der Diktator will schnell nach Berlin zurück, beginnt daher eine halbe Stunde früher und redet nur knappe 60 Minuten - besser gesagt, er geifert vor allem gegen England. Gegen 21 Uhr verlässt er den Saal. Zehn Minuten später gibt es eine gewaltige Detonation. Pfeiler, Galerie und Decke stürzen auf das Rednerpult. Sieben "Alte Kämpfer" und eine Kellnerin kommen ums Leben, viele werden verletzt.

An der deutsch-schweizerischen Grenze in Konstanz fällt indes zwei Zöllnern ein Mann auf, der ungesehen die Demarkationslinie passieren will. Sie durchsuchen ihn und fördern eine Ansichtskarte des Bürgerbräukellers sowie Teile eines Zeitzünders zutage. Als der Fernschreiber die Nachricht vom misslungenen Anschlag in München durchgibt, verhaften sie den undurchsichtigen Grenzgänger mit dem schwäbischen Akzent. In den folgenden Tagen wird Elser pausenlos von einer Sonderkommission der Gestapo verhört, die bereits weiß, dass der Sprengsatz nur kniend eingebaut worden sein kann. Und Elsers Knie sind von wochenlanger nächtlicher Arbeit grindig und wund, außerdem gibt es den eindeutigen Fund in seinem Gepäck - so gesteht er.

Er hatte auf seiner Flucht in die Schweiz ganz bewusst die verräterischen Utensilien mitnehmen wollen, um sich dort glaubhaft zu seiner Tat bekennen zu können und die Verhaftung von Unschuldigen zu verhindern. Naivität, die auf ein unbewusstes Schuldgefühl hindeutet? - Wie sehr Elser der Bruch mit dem Tötungstabus belastet haben muss, davon zeugen die äußerst häufigen Kirchenbesuche im Jahr der Attentatsvorbereitungen.

Aber erst mit dem Ausbruch des Weltkrieges am 1. September 1939 wird sein Entschluss unabänderlich. "Ich wollte noch größeres Blutvergießen verhindern", sagt er später während der Verhöre im Berliner Gestapo-Hauptquartier Prinz-Albrecht-Straße. "Ich war bereits im vergangenen Jahr um diese Zeit der Überzeugung, dass es bei dem Münchner Abkommen nicht bleibt, dass Deutschland anderen Ländern gegenüber noch weitere Forderungen stellen und ... dass deshalb ein Krieg unvermeidlich ist."

Die Verhörprotokolle werden erst Ende der sechziger Jahre, als in der Bundesrepublik eine ernsthafte Beschäftigung mit der Nazizeit beginnt, von dem Historiker Lothar Gruchmann gefunden und 1979 als Buch veröffentlicht. Diese Mitschriften gelten als nicht manipuliert, da sie den Attentäter klar als Einzeltäter ausweisen, was der Gestapo keineswegs genehm war, hat die NS-Propaganda den Anschlag doch seinerzeit sofort dem englischen Geheimdienst angelastet und auszuschlachten versucht.

Georg Elser wird am 9. April 1945 im KZ Dachau von der SS an einem Fleischerhaken erhängt, nachdem er sechs Jahre völlig isoliert in mehreren Lagern gesessen hat. So lassen sich seine Motive nur den Verhörprotokollen der Gestapo entnehmen, denn vor dem 8. November 1939 sprach er offenkundig aus gutem Grund mit niemandem über sein Vorhaben.

In den Vernehmungen nach den Gründen seines Handelns gefragt, gibt Elser neben dem Krieg vor allem den Verlust der bürgerlichen Freiheiten im Nazistaat an. "Ferner steht die Arbeiterschaft... unter einem gewissen Zwang. Der Arbeiter kann seinen Arbeitsplatz nicht mehr wechseln, wie er will. Er ist heute durch die HJ nicht mehr Herr über seine Kinder und auch in religiöser Hinsicht kann er sich nicht mehr frei betätigen." Die Nacht des Pogroms vom 9. November 1938 und die Verfolgung der Opposition erwähnt Elser nicht, obwohl er als Mitglied der Holzarbeitergewerkschaft und des Rotfrontkämpferbundes von der Zerschlagung dieser Organisationen direkt betroffen ist.

Als qualifizierter Schreiner kann Elser noch Mitte der zwanziger Jahre seinen Arbeitsplatz beliebig wechseln. So gibt er 1925 seine Stelle bei den Manzeller Dornier-Werken auf, um mit einem Kollegen nach Konstanz zu ziehen. Hier spielt er mit der Zither im Trachtenverein auf. Das bedeutet ihm so viel, dass er sich nach einem zehnstündigen Arbeitstag sogar eine Reihe von teuren Lehrstunden leistet. Überhaupt sind diese Konstanzer Jahre eine glückliche und recht bewegte Zeit, vor allem wird hier sein Blick auf den desolaten Zustand der Weimarer Republik gelenkt.

Erstmals verliert er 1929 durch die Weltwirtschaftskrise seinen Arbeitsplatz in einer Uhrenfabrik. Er geht daraufhin in den Holzarbeiterverband und tritt dem Rotfrontkämpferbund bei, der proletarischen Selbstschutzorganisation der KPD. Gegenüber der Gestapo erklärt er später, nur selten Versammlungen besucht zu haben, er sei eher "zahlendes Mitglied" gewesen. Bis 1933 habe er jedoch stets KPD gewählt, weil diese Partei versprach, die Lage der Arbeiterschaft zu ändern, deren Programm sei ihm jedoch gleichgültig gewesen.

Den Rotfrontkämpferbund unterm Revers

Dem widerspricht, dass sich Elser vor seiner Flucht in Richtung Schweizer Grenze das Abzeichen des Rotfrontkämpferbundes unters Revers heftete. "Wenn ich gefragt werde, warum ich es nicht weggeworfen habe, so erinnere ich mich, gedacht zu haben, das steckst du aus alter Erinnerung an." - 1932 kehrt Georg Elser nach Königsbronn zurück, weil er keine feste Anstellung mehr findet und weil er der Mutter beistehen möchte, da die häuslichen Verhältnisse durch die Trunksucht des Vaters immer chaotischer werden. Nun hat er kaum noch Gelegenheiten, sich politisch auszutauschen, zumal ab 1933 freie Meinungsäußerungen unmöglich werden.

Als die Kriegsgefahr wächst, kauft sich Elser einen Rundfunkempfänger auf Raten und hört "Feindsender". Bald jedoch muss er dem Händler das Gerät zurückbringen, der Preis von 200 Reichsmark übersteigt seine Möglichkeiten. Nachdem das überschuldete Elternhaus verkauft ist, kann Elser bei seinen Wirtsleuten erneut ausländische Sender hören. Aus dem Verhörprotokoll: "Die seit 1933 in der Arbeiterschaft von mir beobachtete Unzufriedenheit und der seit Herbst 1938 unvermeidliche Krieg beschäftigten stets meine Gedankengänge... Ich stellte Betrachtungen an, wie man die Verhältnisse der Arbeiterschaft bessern und einen Krieg vermeiden könnte ..."

Als der einsame Entschluss, den Tyrannen zu töten, gefallen ist, konzentriert sich der Schreiner ausschließlich auf die technische Umsetzung. Er muss die Höllenmaschine, die er in eine Säule des Bürgerbräukellers einbauen will, erst erfinden. Skizzen entstehen, Zubehör wird beschafft, Anfang 1939 sucht Elser Arbeit in einem Königsbronner Steinbruch, weil der Sprengstoff dort unzureichend verwahrt wird. Im August zieht er nach München zur Untermiete, das alles unter seinem richtigen Namen.

Fortan wartet er Abend für Abend in einem Putzraum auf der Galerie des Bürgerbräukellers, bis der Saal zugesperrt ist. Dann höhlt er mühsam die Säule aus, den Abraum bringt er von Zeit zu Zeit mit einem Koffer nach draußen. Morgens verlässt er das Gebäude durch einen Seitenausgang. Als gründlicher Handwerker baut er zwei identische Zeit zünderuhren ein. Er kehrt sogar, nachdem alles vollendet ist und er schon seine Sachen zur Schwester nach Stuttgart gebracht hat, nochmals nach München zurück, um sich durch Ohranlegen vom Ticken der Uhren zu überzeugen.

Man hat zuweilen Geltungssucht hinter Elsers Attentat vermutet, weil er die technischen Details so bereitwillig, fast stolz im Verhör schildert. Sicher kommt darin auch ein Wunsch nach Anerkennung zum Ausdruck. Doch ausschlaggebend sind zweifelsfrei seine politischen Motive, der Gestapo sagt er: "Durch meine Überlegungen kam ich zu der Überzeugung, dass durch die Beseitigung dieser drei Männer (Hitler, Göring und Goebbels - die Red.) andere Männer an die Regierung kommen, die an das Ausland keine untragbaren Forderungen stellen, die kein fremdes Land einbeziehen wollen. Ich war davon überzeugt, dass der Nationalsozialismus die Macht in seinen Händen hatte und dass er diese nicht wieder hergeben werde. Ich war lediglich der Meinung, dass durch die Beseitigung der genannten drei Männer eine Mäßigung in der politischen Zielsetzung eintreten wird."

Welchen Verlauf hätte die Geschichte genommen, wenn Elsers Attentat gelungen wäre? Peter Steinbach, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, ist überzeugt, sowohl die Ausweitung des Krieges als auch der Massenmord an den europäischen Juden wären verhindert worden. Auch wenn die dämonische Rolle der Person Hitlers heute relativiert wird, so wäre ohne sie die Kurve der Aggressivität nach außen und innen wohl flacher verlaufen. Dieses Ziel konnte Georg Elser in einem totalitären Regime ohne jede legale Möglichkeit der Opposition nur durch Tyrannenmord anstreben. Im Gegensatz zum Attentat vom 20. Juli 1944 wurde seine Tat im öffentlichen Bewußtsein lange verdrängt - auch von seiner Heimatgemeinde Königsbronn.

Literaturhinweis: Helmut Ortner; Der Attentäter, Georg Elser - der Mann, der Hitler töten wollte, Klöpfer, Meyer Co. Verlagsgesellschaft mbH, Tübingen 1999.

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