Management und Anteilseigner des Münchener Maschinenbaukonzerns MAN haben Grund zur Freude: Das Geschäftsjahr 2007 war mit einem Gewinn vor Steuern von 1,85 Milliarden Euro das beste in der Geschichte des Unternehmens! Und ein weiterer Umstand hebt die Laune: MAN wird 250. Bis in das Jahr 1758 reichen die Wurzeln des Vorläufer-Konzerns Gutehoffnungshütte (GHH), dessen Tochter die MAN viele Jahrzehnte bis 1986 war. Gute Gründe, um ausgiebig zu feiern und die Firma ins rechte Licht zu setzen, meint das Management und hat sich für´s Jubeljahr so einiges ausgedacht. Beispielsweise ein mobiles MAN-Museum, in dem bestimmt an die technischen Großtaten erinnert werden wird, die sich das Unternehmen auf seine Fahnen heften kann: Rudolf Diesel erfand bei MAN 1893 den nach ihm benannten Motor. 1903 baute man den ersten LKW. Und selbst die europäische Trägerrakete Ariane ist von MAN maßgeblich mitentwickelt worden. Vorläuferin GHH glänzt weniger mit Meilensteinen der Technikgeschichte, als mit bahnbrechenden organisatorischen Leistungen. Aus der allerersten, im heutigen Oberhausen gelegenen Eisenhütte des Ruhrgebiets wuchs ein riesiger Konzern, der sowohl die Förderung von Rohstoffen (Erz und Kohle) als auch deren Weiterverarbeitung zu Roheisen und Stahl sowie die Fertigung hochwertiger Endprodukte (etwa Lokomotiven) integrierte. Gutehoffnungshütte, das war das erste Montanunternehmen.Es wurde zum Vorbild für Krupp, Thyssen und all die Anderen.
Konzern ohne Arbeiter?
Nun hat sich die Chefetage in München nicht nur dazu entschieden, kräftig zu feiern. Sie fand es auch angebracht, die Geschichte des Unternehmens dort, wo sie vielleicht nicht so präsentabel erschien, schönzufärben. Nicht im eigentlichen Sinne zu fälschen, aber etwa durch Auslassung wichtiger, aber unwillkommener Informationen einen gefälligen, wenn auch der historischen Realität nicht entsprechenden Eindruck zu erwecken. Zu diesem Schluss muss kommen, wer sich den eigens zum Jubiläumsjahr entwickelten Internet-Auftritt der MAN (www.250-jahre-man.eu) mit einiger Sachkenntnis anschaut.
Zunächst fällt auf, dass das Internet-Portal die Abertausende von Arbeitern, die in 250 Jahren für GHH und MAN schufteten, so gut wie nicht erwähnt. Nur ein einziger Satz ist ihnen gewidmet, darin wird mitgeteilt, dass "ohne seine Belegschaft das Unternehmen seine Erfolge nicht hätte erzielen können." Indirekt erscheinen die Arbeiter noch einmal als Objekte betrieblicher Fürsorge im 19. Jahrhundert, die allerdings weniger der Mildtätigkeit der damaligen Eigentümer geschuldet war, als der Tatsache, dass das Unternehmen nicht umhin kam, ein Mindestmaß an Infrastruktur zu schaffen - beispielsweise durch Werkswohnungsbau. Das als Industrieregion erst entstehende Ruhrgebiet konnte dies bis dahin nicht bieten.
Dabei wäre es für die Öffentlichkeit doch durchaus interessant, Unternehmensgeschichte auch als Geschichte sozialer Konflikte zu erfahren. Die Gutehoffnungshütte hätte da einiges zu bieten. So etwa den Ruhreisenstreit von 1928, bei dem es nur vordergründig um Lohnprozente ging.In Wirklichkeit nutzten ihn die Montanindustriellen, um 100.000 Stahlarbeiter mehrere Wochen lang auszusperren. Man wollte damit versuchen, "aus der seit Kriegsende beobachteten Defensive herauszutreten", so Paul Reusch, der den GHH-Konzern von 1909 bis 1942 leitete. Er spielte als informelles Oberhaupt der Ruhrlade (einem Zusammenschluss von Ruhrindustriellen) sowie als Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes eine entscheidende Rolle.
Ein anderes Beispiel wäre die Auseinandersetzung um die Montan-Mitbestimmung, die Reusch-Sohn Hermann - seit Kriegsende an der Unternehmensspitze - 1955 als "Ergebnis einer brutalen Erpressung durch die Gewerkschaften" bezeichnete und damit einen spontanen Streik in der Oberhausener Stahlerzeugung und einen organisierten Streik von 820.000 Stahlarbeitern in ganz Nordrhein-Westfalen provozierte.
Weimar - "letzte Wurzel vieler Übel"
Durch Faktenauswahl komplett umgedeutet wird im Internet-Auftritt der MAN die Rolle des Konzerns von der Endphase der Weimarer Republik bis 1945. Unter der Überschrift "Der konservative Industrielle" heißt es dort über Paul Reusch: "Er lehnte die Weimarer Republik ab, ließ sich aber von den Nationalsozialisten nicht in den Konzern hineinreden. Mitglied der NSDAP war er nie." Richtig ist, dass Paul Reusch der Nazi-Partei nie beitrat und 1942 aus bis heute ungeklärten Gründen von den Nazis aus dem Vorstandsvorsitz gedrängt wurde. Ein tapferer Mann also, kein Republikfreund zwar, aber ansonsten ein Widerständler gegen die Nazis? Die Tatsachen sprechen eine andere Sprache.
1932 verfasste Reusch Richtlinien für die Haltung der zum GHH-Konzern gehörenden Münchner Neueste Nachrichten, die seine politischen Ziele klar zum Ausdruck bringen. Dort heißt es unter anderem: "Das demokratisch-parlamentarische System von Weimar ist die letzte Wurzel vieler Übel. Es ist als für Deutschland ungeeignet abzulehnen. (...) Koalitionen mit den Sozialdemokraten sind grundsätzlich abzulehnen, mit den Nationalsozialisten grundsätzlich zu fördern." Außerdem finden sich dort Positionen für Aufrüstung ("deutsches Recht auf Wiederherstellung der Wehrhoheit") und territoriale Expansion ("Zusammenfassung aller geschlossen siedelnden Deutschen in einem großdeutschen Reich"). Dass es hier deutliche Berührungspunkte und Überschneidungen mit dem Programm der NSDAP gab, liegt auf der Hand und wird durch ein Treffen von Reusch mit Hitler im März 1932 unterstrichen.
Die Rüstungspolitik nach 1933
Die Beugung der Wahrheit durch das gezielte Verschweigen wesentlicher Tatsachen prägt auch andere Themen. Etwa die Rolle der GHH in der NS-Rüstungspolitik. Dass der Konzern von der Aufrüstung profitierte, wird eingeräumt, allerdings in einer Formulierung, die erschreckend wenig kritische Distanz zum damaligen Geschehen verrät. Steht da doch tatsächlich über die Zeit nach dem 30. Januar 1933: "Immerhin, die Wirtschaft blühte auf, MAN und der Mutterkonzern GHH waren mit Aufträgen im Schiffs- und Brückenbau sowie für Dieselmotoren der Handelsflotte und Marine stark ausgelastet." Als wären dem Wohlergehen der Wirtschaft gegenüber auch im Rückblick all die Opfer des Nazi-Terrors nicht der Rede wert.
Unterschlagen wird zudem, dass die GHH einen zentralen Platz in der Organisierung der Rüstung und mithin der Kriegsvorbereitungen des Regimes einnahm. Die explodierenden Rüstungsausgaben wurden von den Nazis nämlich nicht offen über den Staatshaushalt finanziert, sondern verdeckt. Zu diesem Zweck wurde unter dem Namen "Metallurgische Forschungsanstalt mbH" eine Scheinfirma gegründet, die die staatlichen Rüstungsaufträge mit Wechseln bezahlte, die ihrerseits als Zahlungsmittel unter den Konzernen verwendet werden konnten und später bei der Reichsbank eingelöst werden sollten. Gesellschafter der Metallurgischen Forschungsanstalt waren vier erste Adressen der deutschen Industrie, die mit ihrem Renommee gegenüber den anderen Rüstungsunternehmen für die Solidität des windigen Unterfangens bürgten. Zu ihnen zählte neben Siemens, Rheinmetall und Krupp auch die Gutehoffnungshütte, die dem Regime somit einen unverzichtbaren Dienst erwies.
30.000 Zwangsarbeiter
Besonders dreist erscheint der Umgang mit der Wahrheit im MAN-Jubiläumsjahr bei der Frage der Beschäftigung von Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkrieges. Hierzu verrät uns der Internet-Auftritt zur Unternehmensgeschichte lediglich, dass bei der MAN "zum Ärger der Machthaber" auf den Einsatz von KZ-Häftlingen verzichtet wurde. Ganz so, als hätte sich der Konzern standhaft und aus humanitären Gründen gegen die Beschäftigung von KZ-Häftlingen gewehrt. Verschwiegen wird, dass sich die Leitung der GHH in Oberhausen im Sommer 1944 für den Einsatz von 600 bis 1.000 KZ-Insassen aussprach und davon nur deshalb Abstand nahm, weil sie deren Produktivität als sehr niedrig einschätzte und an ihrer Stelle Zwangsarbeiter aus Osteuropa einsetzen konnte.
Unterschlagen wird auch das Ausmaß der zwangsweisen Beschäftigung von Kriegsgefangenen und Arbeitern aus dem von Hitler-Deutschland besetzten Europa. Im September 1943 betrug der Anteil ausländischer Arbeiter auf den Steinkohle-Zechen der GHH 47 Prozent, darunter 27 Prozent russische Kriegsgefangene und neun Prozent so genannte Ostarbeiterinnen. Im Schnitt beschäftigten die Betriebe der Gutehoffnungshütte rund 30 Prozent Ausländer, davon knapp die Hälfte Kriegsgefangene. Zeitweise waren das 30.000 Menschen. Wie vor allem die Russen behandelt wurden, lässt die Bitte des Direktors der Oberhausener Hüttenbetriebe der GHH an die Betriebsleiter und Betriebsobleute erahnen, sie mögen dem Unternehmen doch Schusswaffen aus Privatbesitz überlassen, "um Leben und Sicherheit des Bewachungspersonals sicherzustellen und um die Russen mit energischen Maßnahmen an die Arbeit zu bekommen." (All das ist dokumentiert im GHH-Werksarchiv, das sich heute im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv in Köln befindet.)
So erzeugen die Autoren des Internet-Auftritts ein Geschichtsbild, in dem der Konzern und sein leitendes Personal (insbesondere Paul Reusch) mit dem Untergang der Weimarer Republik und dem Aufstieg der Nationalsozialisten nichts zu tun haben. Im Gegenteil ist das Personal eher im Lager des Widerstandes zu finden und durfte sich am Ende noch als Opfer fühlen. Denn wie heißt es abschließend über die Jahre 1933 bis 1945: "Als (...) Deutschland kapitulierte, hatten die GHH und MAN schwere Kriegsschäden erlitten." Als wären es nicht auch sie gewesen, die an erster Stelle "schwere Kriegsschäden" angerichtet hatten!
Bleibt die Frage, wie es nach Jahrzehnten kritischer Forschung möglich ist, die Geschichte eines Unternehmens und einer Unternehmerpersönlichkeit wie Paul Reusch, die Mitverantwortung für die Zerstörung der Demokratie und den Aufstieg des deutschen Faschismus trägt, dermaßen zurechtzubiegen. Ist es Geschichtsvergessenheit oder bewusste Geschichtspolitik? Will man anlässlich der 250-Jahr-Feierlichkeiten Public Relation auch um den Preis der Wahrheit? Wie ernst ist es dem MAN-Konzern mit dem Titel der "Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", die die Zwangsarbeiter karg "entschädigte" und der auch die MAN angehört?
MAN plant für den Sommer die Herausgabe eines Buches zur eigenen Geschichte. Es bleibt zu hoffen, dass die Autoren unter Leitung des Berliner Wirtschaftshistorikers Johannes Bähr zu einer ungeschönten Darstellung der Vergangenheit des Unternehmens finden werden. Was für die Fachwelt aber gut ist, sollte fürs breite Publikum billig sein: Eine derart geklitterte Version der Unternehmensgeschichte sollte man dem Konzern jedenfalls nicht durchgehen lassen.
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