Geschichten vom Weggehen

Erkundungen Martina Hefters zweiter Roman "Zurück auf Los"

Nicht nur der Hinweis in der Biographie der 1965 im Allgäu geborenen Martina Hefter lenkt in diese Richtung. Dass die Autorin ausgebildete Tanzpädagogin ist, merkt man ihrem neuen Roman Zurück auf Los an. Vieles, was in diesem Roman geschieht, kommt aus den Körpern. Die Frau, deren Mann in Kanada verschwunden ist, versteckt sich am Frühstücksbüfett hinter einer Grünpflanze, wenn sie von der Speise nascht. Seit ihr Mann vor fünfzehn Jahren von einer Reise nach Kanada nicht zurückgekehrt ist und keine Ermittlungen eine Spur gefunden haben, ist für die Frau alles nur noch eine Möglichkeitsform. Seitdem schmelzen ihr die Orte unter den Füßen weg, ja, sie weiß gar nicht mehr, wo sie sich aufhält. Und genauso bewegt sie sich.

Dabei handelt es sich bei der Frau, die zu den Hotelgästen gehört, nur um eine Nebenfigur in diesem Roman. Die Hauptbetroffene ist die Ich-Erzählerin selbst: Sie hilft an der Rezeption des Hotels ihrer Mutter im Allgäu aus, einen Abend, eine Nacht. In dieser Nacht, die Erzählzeit des gut hundert Seiten umfassenden Romans, packt Raimund auf der anderen Talseite seine Sachen und verlässt die junge Frau. Sie kann von ihrem Platz an der Rezeption aus das Licht im Haus gegenüber sehen. Und noch eine weitere Geschichte des Weggehens bereitet sich vor. Die Mutter, die das Hotel nicht mehr modernisieren wollte, hat es verkauft. In ein paar Wochen wird sie wegziehen ins mecklenburgische Quasow, woher die Großmutter ihrer Großmutter stammt und das sie und ihre Tochter manchen Sommer besucht haben.

Eigentlich wehrt sich der Körper in den Momenten des Schmerzes allzu genauer Erinnerung. Aber das will Martina Hefters Erzählerin nicht hinnehmen. Sie scheint in dieser Nacht besonders hellhörig und hellsichtig. Sie will sich morgen, wenn Raimund ihr Leben verlassen hat, an den Erinnerungen festhalten können. Die Klärung dessen, was war, geschieht als Prüfen und Befragen der Worte und Sätze. Daraus macht die Autorin, die sich nach dem Studium am Leipziger Literaturinstitut mit Familie in Leipzig niedergelassen hat, keine trockene Sprachartistik, sondern ein nächtliches Abenteuer. Es beginnt mit der Überzeugung, dass Raimund in seinem Gepäck auch Sätze mitnehmen wird, dass die Mutter bei ihrem Weggehen zusammen mit "allen einmal in der Wohnung eingelagerten Sätzen" umziehen wird.

In den Nylonnetzen, von der Erzählerin ausgeworfen, sammeln sich biographische Fundstücke und Erinnerungsfetzen. Sie bezeugen auf überraschende Art, wie alles mit allem zu tun hat. Plötzlich führt eine klare Lebenslinie vom mecklenburgischen Quasow über den KdF-Urlaub der Großmutter ins Hotel im Allgäu und wieder zurück nach Quasow.

Ein Erzählen, das gerade nicht dem blinden Schicksal huldigt (auch nicht den lustigen bunten Aufklebern folgt!), sondern dem Gegenteil: der uns aufgegebenen Suche nach dem verborgenen Sinn. Erkundungsmittel auf dem Weg zu diesem Weltzusammenhang ist die Sprache, auch die der Körper. Das macht den im Prinzip handlungsarmen Roman abenteuerlich und das Erzählen überraschend vielstimmig und sinnlich. Außerdem wendet sich Martina Hefter dem Eigentlichen in der Literatur zu, der Sprache, womit sie sich mit Zurück auf Los über viele neue Bücher ihrer Altersgefährten stellt. Dass sich hier eine Stimme ankündigt, spürte man bereits bei ihrem vor vier Jahren erschienen Debüt Junge Hunde (Freitag 50/2001)und wusste die Jury, die ihr gerade den Lessing-Förderpreis zugesprochen hat.

Martina Hefter: Zurück auf Los. Roman. Wallstein, Göttingen 2005, 132 S., 16 EUR


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