Geschichten wie Kleider

Holzhammer Max Frischs Roman verkürzt zu "Gantenbein" am Berliner Hebbeltheater

Über eine Theateraufführung im Konjunktiv zu berichten verbietet sich bekanntlich. Schließlich ist es kein Wunschkonzert, das man durch seine Stimmabgabe beeinflussen könnte, sondern ein Arbeitsergebnis, das sich vom Parkett aus beobachten und befragen, aber nicht mehr ändern lässt. Das gilt auch dann, wenn sich die Aufführung selbst der Möglichkeitsform bedient, um mit ihrer Hilfe eine Annahme samt denkbarer Konsequenzen durchzuspielen.

Angenommen, ein Mann hieße Gantenbein und ließe seine Umwelt in dem Glauben, er sei blind. Dies ist die Ausgangslage in Max Frischs Roman Mein Name sei Gantenbein, der nun, gut 40 Jahre nach seiner Entstehung, für die Bühne adaptiert und als Gantenbein im Berliner Hebbel-Theater (HAU 1) aufgeführt wurde. Auch wenn ihrem Titel der Konjunktiv fehlt, hält sich die Bearbeitung von Glen Neath streng an die Struktur der Vorlage, die der Erzähler so benennt: "Ich probiere Geschichten an wie Kleider." Verwickelt wird das Ganze, weil er mit der Kleidung auch die Identität und damit die Perspektive auf jenes Ich wechselt, das sich vorstellt, es hieße Gantenbein und ließe seine Umwelt in dem Glauben, es sei blind.

Nun ist der Wechsel von Kostümen das ureigenste Terrain des Theaters. Diese Steilvorlage greift die Inszenierung von John Hardwick auf und stellt unter die Fotos der beiden Schauspieler Garderobenständer, von denen sich Lars Rudolph und Annika Kuhl 90 Minuten lang bedienen. Die wechselnden Identitäten, die sie dadurch annehmen, sind praktischerweise mit Kreide an der Rückwand notiert. Bliebe die wechselnde Perspektive auf das Ich, und damit tut sich das Theater eher schwer - erst recht, wenn der Spielraum auf einen kleinen Kasten aus braunen Dämmplatten geschrumpft ist, der so hoch über der Bühne steht, dass den Schauspielern die Füße fehlen. Der tiefere (Un-) Sinn dieser Konstruktion von Mascha Mazur zeigt sich im sechsten von insgesamt acht Bildern, in die der Abend aufgeteilt ist: Wenn Gantenbein den Versuch durchspielt, seiner Frau Lila zu gestehen, dass seine Blindheit nur gespielt ist, gerät der kleine Kasten gefährlich ins Schwanken - und das Bild für Gantenbeins Verlassensängste ziemlich plump.

Das wiegt auch der Umstand nicht auf, dass sich Gantenbeins Fiktionen als Analogie auf das Theater begreifen lassen. Und an dieser Metaebene hebt sich der Abend letztlich einen Bruch: Jeder Szenenwechsel, obwohl durch den Wechsel der Kostüme deutlich markiert, wird von einem elektronischen Störgeräusch begleitet, und für die wechselnden Orte werden Bilder von puppenstubenartigen Miniaturen auf die Rückwand projiziert, die wie Dias wirken, aber Live-Videos sind. Das zeigt sich an einer Wanduhr, die in Echtzeit tickt, oder an einer Fingerspitze, die das winzige Mobiliar zurechtrückt.

Mal mit dem Holzhammer, mal mit einem Augenzwinkern wird so zwar die Illusionsmaschine Theater ausgebremst, doch auch das Spiel mit wechselnden Identitäten gerät dabei ins Stocken. Dazu trägt Lars Rudolph bei, der für Gantenbeins Blindheit außer einer dunklen Brille kein anderes Ausdrucksmittel findet, als den guten Whiskey zu verschütten. Zudem fuchtelt er, egal in welcher Rolle, unentwegt mit den Armen, was sämtliche Alter Egos Gantenbeins gleich aussehen lässt. Und dass er ein Mikro trägt, bleibt bei seiner durchdringend lauten Stimme ohne jede Notwendigkeit.

Ungleich präziser agiert Annika Kuhl, die zu einem goldenen Kleid mal einen Kittel, mal eine Perücke trägt, zur Figurenzeichnung aber weder ausladende Gestik noch einen stimmlichen Parforceritt braucht. Prompt will sie selbst dann noch weiterspielen, wenn ihr Kollege schon darüber klagt, er habe keine Rolle mehr. Und während sie an der Rampe die Geschichte eines Mannes erzählt, der seine eigene Todesanzeige liest, schleppt der Spielverderber aus dem Hintergrund braune Dämmplatten heran und verbaut damit die vierte Wand. "Das war´s", sind Kuhls Worte, mit denen sich die letzte Lücke schließt. Und das war´s dann auch.

Was nur insofern zu bedauern ist, als dass man Annika Kuhl noch länger hätte zusehen und -hören mögen und sich unwillkürlich fragt, was gewesen wäre, wenn ... Aber über eine Theateraufführung im Konjunktiv zu berichten verbietet sich bekanntlich ja.


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