Geschwiegen, vertuscht und gelogen

Justizskandal Wie die Polizei im Fall Oury Jalloh den Rechtsstaat sabotiert
Ausgabe 47/2017
Der Fall Oury Jalloh macht deutlich, zu welchen perversen Folgen die „polizeiliche Fehlerkultur“ führt
Der Fall Oury Jalloh macht deutlich, zu welchen perversen Folgen die „polizeiliche Fehlerkultur“ führt

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Die Frage, warum der Asylsuchende Oury Jalloh vor zwölf Jahren in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, wird wohl ungeklärt bleiben. Daran ändern weder die vor einem Jahr durchgeführten Brandversuche der Experten etwas, mit denen die Stichhaltigkeit der These von der Selbstverbrennung überprüft werden sollte, noch die jetzt bekannt gewordenen Einschätzungen von Strafermittlern. In denen spricht ein Leitender Oberstaatsanwalt aus Dessau nun zwar von einem „begründeten Mordverdacht“; und mehrere Sachverständige bezeichnen es in ihren Gutachten als wahrscheinlicher, dass der in der Zelle angekettete Oury Jalloh angezündet wurde, als dass er seine Matratze selbst in Brand setzte. Aber wird das dazu führen, dass dieses Verbrechen endlich gesühnt wird? Wohl kaum.

Dabei hätte es die Möglichkeit gegeben, das aufzuklären, was sich am Vormittag des 7. Januar 2005 auf der Dessauer Polizeiwache abspielte. Doch Behörden und Politikern ging es schon kurz nach dem Feuertod von Oury Jalloh vor allem darum, die Akten schnell zu schließen. Es war ja nur ein betrunkener Afrikaner, der dort verbrannte, noch dazu einer, der (deutsche!) Frauen belästigt haben soll. Also wurden die Ermittlungen nur nachlässig geführt. Sogar Beweismittel verschwanden – etwa Videoaufnahmen aus dem Zellentrakt und eine Handfessel, mit der das Opfer Oury Jalloh angekettet war.

Die letzte Hoffnung, den Fall doch noch aufzuklären, ruht nun ausgerechnet auf den Dessauer Polizeibeamten, die bisher geschwiegen, vertuscht und gelogen haben. Die Chance jedoch, dass einer von ihnen sein Gewissen erleichtern will, ist wohl eher gering. Der Korpsgeist steht davor, und die Angst, als Verräter und Nestbeschmutzer ausgegrenzt zu werden. Der Kriminologe Martin Herrnkind hatte vor einigen Jahren für eine Studie über „polizeiliche Fehlerkultur“ an die 100 Fälle analysiert, in denen Beamten Kollegen wegen Straftaten im Dienst angezeigt, Übergriffe gemeldet, vor Gerichten und Untersuchungsausschüssen ausgesagt hatten. Das Ergebnis der Studie war bestürzend: Alle Beamten, die sich gegen Kollegen gestellt hatten, wurden ausgegrenzt und gemobbt. Bei manchen hintertrieben Vorgesetzte die Bewerbung auf bessere Posten, vereinzelt gab es Racheaktionen. In einigen Fällen erhielten die „Verräter“ Morddrohungen, oder sie bekamen Rattenkadaver mit der Dienstpost zugeschickt. Zwei Beamte wurden sogar in ein Zeugenschutzprogramm übernommen.

Sicher: Der Fall Jalloh ist, was die Grausamkeit und Kaltschnäuzigkeit der verantwortlichen Beamten betrifft, einmalig. Doch Übergriffe und Gesetzesverstöße gehören längst zum Alltag in der Polizei. Polizisten, mit denen man darüber spricht, finden Ausflüchte: Eine überbordende Kriminalität, immer weniger Beamte, die immer mehr Überstunden machen müssten, Vorgesetzte und Politiker, die sich nicht um die Probleme der Beamten scherten – all dies führe nun mal zu einem enormen physischen und psychischen Stress, sagen sie. Aber kann das eine akzeptable Begründung dafür sein, dass viele Polizisten sich und ihre Kollegen als verschworene Kampfgemeinschaft sehen, in der nicht alles, aber vieles erlaubt ist?

Der Staat kann es nicht hinnehmen, dass ihm das Gewaltmonopol von seiner eigenen Polizei streitig gemacht wird. Er muss ein Zeichen dagegen setzen. Die Einstellung der Ermittlungen zum Tod von Oury Jalloh, wie sie die Staatsanwaltschaft Halle im Oktober verkündet hat, war das falsche Signal. Es lässt sich noch korrigieren.

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