London, Anfang August, eine vermeintliche Jobmesse des Konzerns Blackwell Briggs, in Wahrheit aber Tummelplatz skrupelloser Wirtschaftsgangster. Gerade noch strotzte der graumelierte Manager vor Selbstgefälligkeit, doch plötzlich stürmen Polizisten das Podium, legen ihm Handschellen an – dank der hartnäckigen Recherche einer verschworenen Gemeinschaft, der Conspiracy for Good.
Ja, die Geschichte ist wahr. Und nein, die Geschichte ist frei erfunden. Zwar konnten die Machenschaften des Konzerns nur mithilfe der guten Verschwörer beendet werden, doch war alles nur Fiktion, inklusive der nachgespielten Verhaftung in London. Sie ist Teil eines neuartigen Gesellschaftsspiels von ungekannter Vielschichtigkeit, einer Schimäre aus Schnitzeljagd, Laientheater, Flashmob und Videospiel, entworfen von einem professionellen Drehbuchautor, finanziert vom Handyhersteller Nokia.
Der Plot: Der global operierende Konzern Blackwell Briggs will die Mitglieder der Conspiracy for Good (CFG), einer Art wohltätigen Freimaurer-Clique, an guten Taten hindern. Die Geschichte beginnt mit der Meldung, Blackwell Briggs plane eine Pipeline in Sambia, der Bau würde eine Dorfschule zerstören. Wer dem finsteren Treiben Einhalt gebieten will, lässt sich auf ein mehrdimensionales Abenteuer ein – auf Twitter, Facebook und auf anderen Webseiten gibt es Nachrichten über die jüngsten Schachzüge des Konzerns. Per Smartphone-App erdaddeln sich die Spieler zudem Zugangscodes zu verschlüsselten Webseiten. Dort wiederum sind Hinweise auf Inszenierungen in der echten Welt versteckt.
Und dabei ist Nokia nicht eben sparsam: Neben den fiesen Blackwell-Briggs-Managern kreuzte eine ganze Spezialeinheit in schwarzer Kampfmontur beim Ortstermin in London auf. Auch die Webseite des fiktiven Konzerns wirkt derart real, dass nichtsahnende Arbeitssuchende versucht sein dürften, auf die Stellenanzeigen zu antworten. Das Ganze kann der Handy-Konzern dabei als gesellschaftliches Engagement verbuchen. Denn die virtuellen Verschwörer des Guten unterstützen auch wohltätige Projekte in der realen Welt: Eintrittskarte für ein Treffen in der echten Welt war beispielsweise ein aussortiertes Handy. Die gesammelten Telefone gingen an eine Einrichtung, die Altgeräte recycelt und den Erlös spendet. Stolz verkündet Nokia zudem, dass Bibliotheken in Sambia mit 10.000 von den Spielern gespendeten Büchern gefüllt worden seien – eine auch in jenem Dorf, durch das der böse Konzern eine fiktive Pipeline legen wollte.
Videogame in der echten Welt
Schöpfer der Geschichte ist der US-amerikanische Drehbuchautor Tim Kring, der sich auch die TV-Serie Heroes ausgedacht hat. Die Verschmelzung von Drehbuch, Videospiel und echter Welt, so der Autor, sei nur ein erster Schritt gewesen. „Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion wird weiter verschwimmen“, sagt Kring. In künftigen CFG-Folgen wären etwa Hologramme von Menschen denkbar – ein Science-Fiction-Traum würde wahr. „Das ist wirklich der Weg der Zukunft“, schwärmt Kring.
Man kann es aber auch so sehen: Ein Hersteller von Mobiltelefonen kurbelt den Absatz an. Denn bei CFG kann nur mitmischen, wer ein Nokia-Telefon mit dem hauseigenen Entertainment-Portal Ovi besitzt. Die notwendigen Spiele, das Kartenmaterial und versteckte Botschaften in Songs gibt’s nur bei Ovi. 4.000 Spieler haben laut Nokia aktiv teilgenommen, eine halbe Million der zugehörigen Handy-Spiele-Apps seien heruntergeladen worden.
Von bahnbrechender Innovation zeugen die CFG-Apps nicht, die frickeligen Puzzle wirken wie eine Reminiszenz an die Kindheit des Videospiels: Über den Bildschirm schwirren bunte Klötzchen, die der Spieler mit weißen Klötzchen beschießen muss. Auch dass erspielte Infos in der wirklichen Welt weiterhelfen, kennt man: Beim Geocaching, einer Schnitzeljagd mit GPS-Navigationsgeräten, laden die Spieler Hinweise aus dem Netz, um damit in der echten Welt auf Schatzsuche zu gehen. Die eigentliche Innovation des CFG-Spiels steckt noch in den Kinderschuhen: Bei den Ortsterminen waren Symbole für den Nokia-Dienst „Point Find“ versteckt, etwa als Graffiti an Mauern. Per Kamera erfasst das Handy die Objekte, gleicht das Bild mit einer Datenbank ab und verrät neue Hinweise für das Live-Spiel. Noch ist die Technik nicht ganz ausgereift und auf den abgesteckten Rahmen der Inszenierung angewiesen. Bald sollen Handys aber fremde Gesichter erkennen und aus den Bildbestand des Internets den passenden Namen herausfischen können.
Nokias Verschwörung des Guten mag der bisher ehrgeizigste Versuch sein, das Unterhaltungspotenzial des technischen Fortschritts anzuzapfen, der einzige ist es nicht. So hat die Telekom beispielsweise das Spiel Mister X nach dem Brettspielklassiker Scotland Yard für das iPhone veröffentlicht, 40.000 Nutzer haben sich dort inzwischen angemeldet. Das Prinzip ist einfach: Einer flieht, die anderen – allesamt ausgerüstet mit GPS-fähigen Handys – jagen ihn in deutschen Innenstädten. Auf eine komplexe Story müssen sie zwar verzichten – die Verknüpfung von Videospiel und echter Welt funktioniert dagegen schon gut. So kann der Gejagte etwa virtuelle Symbole auf der GPS-Karte einsammeln und wird dann für einige Zeit für seine Verfolger unsichtbar – ein typisches Videospielelement, bloß rennen die Spieler durch die echte Welt.
Verschlüsselte Daten
Mark von Zeschau, Informatiker an der Uni Bonn und an der Entwicklung von Mister X beteiligt, will künftig die reale Welt noch stärker ins Spielgeschehen einbinden. „Die Spieler müssten beispielsweise bestimmte Details des Kölner Doms finden, um Vorteile im Spiel zu kriegen“, sagt er. Von der aktuellen Debatte über den Datenhunger von Diensten wie Google und Facebook sieht Zeschau sein Programm nicht betroffen. „Alle sensitiven Daten sind verschlüsselt, werden vertraulich behandelt und bleiben Eigentum der Nutzer. Jeder kann sein Profil vollständig und eigenhändig wieder löschen“, beteuert Zeschau.
Dennoch dürfte die Motivation für die Entwicklung neuer Gesellschaftsspiele neben dem Imagegewinn auch noch eine andere für die Konzerne sein: Auf einmal haben sie tausende Freiwillige, um neue Techniken in der Beta-Phase auszutesten.
Sebastian Kretz schreibt für den Freitag über Gesellschaftsthemen. Außerdem ist er Gameboy-Spieler der ersten Stunde und kommt deshalb mit Klötzchenspielen gut zurecht.
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