Gesinnungsstark und renditeschwach

Im Gespräch Für den Leipziger Medienwissenschaftler Jochen Schlevoigt haben Wochenzeitungen noch lange nicht ausgesorgt

FREITAG: Haben Wochenzeitungen heute noch eine Existenzberechtigung?
JOCHEN SCHLEVOIGT: Ja, die haben sie, und man kann ihren Stellenwert vermutlich sogar noch ausbauen. Mit dem Trend zu mehr Magazin-Elementen und Hintergrundinformationen in Tageszeitungen wird den Wochenzeitungen nicht der Boden entzogen. Die vielen denkbaren wochenzeitungsähnlichen Angebote der Tagesblätter erreichen den Leser nur in Bruchstücken, allein schon aus Zeitgründen. Die Wochenzeitung bringt die Zusammenschau, das gezielte Angebot. Dazu kommt ein finanzieller Aspekt: es gibt viele anspruchsvolle Leser, die mit dem Geld rechnen müssen und sich nicht zwei, drei Tageszeitungen leisten, wohl aber eine Tageszeitung für die alltägliche, lokale Orientierung und eine, die eine weitergehende Orientierung vermittelt - wie die Wochenzeitung.

Was sind aus Ihrer Sicht deren Vorzüge?
Dort sitzt in der Regel eine Redaktion, die jene Themen setzt, die sie für notwendig hält. Dabei gibt es einen Unterschied: Magazine wie Stern oder Spiegel bieten eine sehr selektive Zusammenschau aller denkbaren Themen an. Wochenzeitungen wie Zeit oder Freitag hingegen stellen ein für bestimmte Lesersegmente ein Angebot zusammen. Sie sorgen sich auch um den nötigen Lesegenuss. Ich denke, dass eine gesinnungsnahe Wochenzeitung wie der Freitag Bedeutung behalten, sogar gewinnen wird.

Warum gibt es dann nur noch so wenige Wochenzeitungen? In den vergangenen Jahren sind unter anderem die "Deutsche Allgemeine Sonntagszeitung", die "Wochenpost" und die "Woche" eingestellt worden.
Das hatte jeweils unterschiedliche Gründe. Die Wochenpost zum Beispiel war ein Opfer der Wende und später des Missmanagements. Die Deutsche Allgemeine Sonntagszeitung ist ein großer Verlust. Sie war ein hervorragendes Blatt, auch für einen atheistischen Leser. Aber sie fand einfach zu wenig Käufer. Anspruchsvolle Wochenzeitungen haben ein kleines Publikum und müssen deshalb mit schmerzhaften ökonomischen Imperativen kämpfen.

Sie können also keinen allgemeinen Trend erkennen, der gegen Wochenzeitungen spricht?
Es war immer schon so, dass Wochenzeitungen hierzulande keinen leichten Stand hatten. Die Wochenpost in der DDR war allerdings eine Ausnahme, sie bewegte sich - legt man die heutige Zeitungslandschaft zugrunde - vom Anspruchsniveau zwischen Welt am Sonntag und Bild am Sonntag, wollte also ein populäres, aufklärerisches, gut lesbares Massenblatt sein. Die anderen Titel, die Sie nannten, waren eher für ein intellektuelles Publikum gedacht mit ziemlich hohen kulturellen Ansprüchen. Bei allen ökonomischen Problemen - nur mit diesem Standard werden Wochenzeitungen eine Zukunft haben, auch wenn die Auflage nie gewaltig sein wird. Die Zeit mag da eine Ausnahme sein, sie ist aber ein Traditionsblatt. Ob sie von ihren 460.000 Käufern wirklich gelesen wird, bezweifle ich. Ich wünsche es ihr aber.

Kann man sozial oder beruflich eingrenzen, welche Leserschichten von Wochenzeitungen heute angesprochen werden?
Das ist schwierig, man kann von einem kulturell und politisch ambitionierten Publikum ausgehen, das vom Diskursiven angesprochen wird und zumindest rezeptiv an laufenden Debatten teilnehmen will. Das ist nicht an Berufsgruppen oder Einkommen gebunden, sondern mehr an Lebensstile und Milieus.

Für wie wichtig halten Sie beim "Freitag" den Untertitel "Ost-West-Wochenzeitung"?
Ich halte den Freitag für eine Zeitung, die etwas dafür tut, dass Ost und West keine Gegensätze sind. Eine Zeitung, die auch dadurch Anwalt kultureller Standards ist, indem sie Ostthemen und Ostbefindlichkeiten Raum gibt. Man sollte nicht übersehen: Die Vorgängerzeitung SONNTAG hatte eine relativ hohe Bedeutung in der Ostgesellschaft, während die Volkszeitung als Westmutter des Freitag in der westdeutschen Kultur doch einen eher marginalen Stellenwert hatte. Unter den westdeutschen Intellektuellen blieb sie fast ohne Bedeutung. In einem überschaubaren Zeitraum wird im Osten noch eine andere geistige Kultur vorhanden sein, die von einem nicht geringen Teil der ostdeutschen intellektuellen Elite - in Anführungszeichen - ausgeht. Dann werden die Karten neu gemischt. So wie sich die Gesellschaft verändert, werden sich die Zeitungen verändern müssen. Das heißt, in den nächsten fünf bis zehn Jahren sehe ich für den Freitag eine relativ starke Ostkomponente - auf jeden Fall unter den Lesern. Das Blatt hat sich zwar nie sektiererische Scheuklappen angelegt, erschien mir aber stets mehr für ein ostdeutsches intellektuelles Milieu lesenswert als für ein vergleichbares westdeutsches.

Was missfällt Ihnen aus Sicht des Medienwissenschaftlers am "Freitag"?
Das Themenspektrum wünschte ich mir manchmal noch etwas breiter, als Leser, nicht als Medienwissenschaftler. Was mir gefällt, ist das Diskursive, ein intellektuelles Angebot primär außerhalb des Mainstreams, das - zumindest von dem Publikum, das jetzt erreicht wird - ganz offenkundig gewollt wird.

Das Gespräch führte Steffen Vogel


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