Gespenst geht um

Kommentar Alle Jahre wieder: Die Debatte um die Rechtschreibreform

Na gut, bauen wir das Berliner Stadtschloss auf, führen alte Schreibweisen wieder ein und am besten gleich auch die Prügelstrafe, hat ja noch niemandem geschadet. Das Kasperletheater um die Rechtschreibreform geht in eine neue Runde, neben der FAZ proben jetzt auch Springer-Verlag, Spiegel und Süddeutsche Zeitung den Sommerloch-Aufstand und fordern in erpresserischem Kräftemessen die Rücknahme der Reform. Mal sehen, wer im Land das Sagen hat, Verleger oder Politik.

Ausländische Beobachter und auch inländische mögen die Köpfe schütteln und sich fragen, warum um alles in der Welt die kühlen Deutschen bei ein paar Rechtschreibregeln zu solcher Leidenschaft aufkochen. Nun ja, es handelt sich um eine Herzenssache, denn es geht im Kern - schon wieder - um die deutsche Einheit. Eine Sprache, einig Vaterland. Ein heikles Thema.

Im Grunde ist die neue Rechtschreibung kaum mehr oder weniger unsinnig als die alte. Im Allgemeinen (neu) oder im allgemeinen (alt) - wen kratzt das wirklich? Das wissen auch die Herren von FAZ Co, was sie aber so regelmäßig aufregt, ist etwas anderes: Die neue Rechtschreibung riecht für manche Menschen irgendwie nach Sozialismus. Thomas Steinfeld in der Süddeutschen Zeitung fasst die Reform, die "ihren Beitrag zur Aufhebung aller Klassen- und Bildungsunterschiede" hätte leisten sollen, mit spitzen Fingern an: Sie werde "fast nur noch von den sozialdemokratischen Kultusministern verteidigt". FAZ-Herausgeber Schirrmacher vergleicht die Neuregelung mit LPG und Planwirtschaft und versteht das ganze Reformvorhaben als ein Produkt des kalten Krieges, mithin heute überflüssig.

Das alte Gespenst geht also um. In Wahrheit hat die neue Rechtschreibung natürlich weniger von einer Staatsdoktrin als die alte, sie lässt Varianten zu und der preußische Drill ist einer begrenzten Anarchie gewichen. Die Reform hat zu mehr Nachsicht und einem spielerischen Umgang mit Sprache geführt. So viel Allerlei mag die kleinkarierten Großkopfeten von der Kulturpolizei ärgern, und dass immer diejenigen gemeinsam laut schreien, die es am besten (FAZ) und die es am wenigsten können (Bild), ist auch nichts Neues. Man handele nicht aus ideologischen Gründen, sondern aus Not, sagt Schirrmacher, ach ja, diese Nöte möchte man haben.

Alte und neue Rechtschreibung decken sich nicht mit den beiden deutschen Systemen, die DDR war - im Sinne einer einheitlichen Regelung - mit an der Reform beteiligt. In den Aversionen aber und im Machtkampf um die Kulturhoheit kehrt das Schema immer wieder. Sei´s drum, Fortschritt braucht Zeit. In den vergangenen Jahren sind wir mit zwei Rechtschreibungen gut parallel gefahren; man sollte die Verbindlichkeit der neuen noch ein bisschen aufschieben, bis auch FAZ-Redakteure sich freiwillig einen anderen Schauplatz für ihr Sommertheater suchen.


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