Gespräch mit Bärbel Bohley

Sonntag 1989 Zu den Sprechern der DDR-Opposition im Herbst 1989 gehört die Malerin Bärbel Bohley. Der "Sonntag" befragt sie November 89 zu ihrem Selbst- und Sozialismus-Verständnis

Die Nacht vom 28. zum 29.Januar 1990, die DDR-Oppositionsbewegungen sitzen den DDR-Regierungsparteien des Kabinetts von Premier Modrow im Ostberliner Hotel Johannishof gegenüber. Da die DDR um ein Minimum an innerer Stabilität ringt, trotz der offenen Grenze der Exodus in den Westen kaum nachlässt, in manchen Gebieten die öffentliche Verwaltung gerade noch überlebt und die Bevölkerung im Winter versorgt werden muss, soll die Exekutive eine erweiterte Plattform erhalten. Parallelexistenz und Konkurrenz von Rundem Tisch und Regierung erscheinen in dieser brisanten Lage nicht länger vertretbar.

Ohnehin hat sich das Dialogforum Runder Tisch als eine Art Vierter Gewalt zu einem inoffiziellen Teil des DDR-Machtgefüges entwickelt. Also könnte die Opposition auch offiziell der Regierung beitreten, regt Hans Modrow an. Die will sich diesem Ansinnen nicht verschließen, besteht aber – unterstützt vom Vorsitzenden der SED-PDS, Gregor Gysi – auf einem Junktim: Regierungsteilhabe gegen vorgezogene Neuwahlen, die vom 9. Mai 1990 auf einen Tag im März verlegt werden sollten.

Als man sich nach mehrstündigen Verhandlungen darüber einigt, treten Tatjana Böhm für den Unabhängigen Frauenverband (UFV)), Reiner Eppelmann für den Demokratischen Aufbruch (DA), Matthias Platzeck für die Grüne Partei, Gerd Poppe für die Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM), Walter Romberg für die SPD, Klaus Schlüter für die Grüne Liga und Wolfgang Ullmann für Demokratie Jetzt (DJ) als Minister ohne Geschäftsbereich in eine Regierung der Nationalen Verantwortung ein. Komplettiert durch Sebastian Pflugbeil vom Neues Forum. Letzteres hat keine 48 Stunden vor der Nacht im Johannishof seinen Gründungskongress abgehalten und ein Programm verabschiedet, in dem es unter anderem heißt: „Wir wollen nicht das 20. Jahrhundert politisch nachholen, nicht die Landschaft der Bundesrepublik abmalen, sondern die politische Kultur des 21. Jahrhunderts mit entwickeln“.

Der politische Wille, vor allem die Gelegenheiten, diesem Anspruch durch eine eingeständige Politik zu folgen, halten sich in den kommenden Monaten in Grenzen. Nicht zuletzt verursacht durch das enttäuschende Wahlergebnis, mit dem die größtenteils zum Bündnis 90 zusammengeschlossene Opposition der Wendezeit aus der Volkskammerwahl am 18. März 1990 hervorgeht. Mit 2,9 Prozent liegt sie weit hinter der mit 48 Prozent siegreichen Allianz für Deutschland(CDU/DSU/Demokratischer Aufbruch), aber auch der SPD (21,9) und der PDS (16,4).

Nicht Partei, sondern Plattform

Das Neue Forum – es entsteht am 10. September 1989 als erste Formation der DDR-Bürgerrechts- und Reformbewegung – muss damit leben, dass sich Ausstrahlung und Aktionsradius verändern. Beide nehmen ab, je näher die Einheit rückt. Die unter Reformhochdruck stehende DDR vom Oktober 1989 war für das Neue Forum ein anderer Resonanzboden als das der Vereinigung entgegen taumelnde Gemeinwesen vom März 1990, dem es an demokratischen Freiheiten nicht fehlt, dafür aber an Spielräumen staatlicher Selbstbestimmung.

Als die Wochenzeitung Sonntag Anfang November 1989 Bärbel Bohley interviewt, kommt nicht nur eine der Mitbegründerinnen des Neuen Forums zu Wort. Die zu diesem Zeitpunkt 44-jährige Malerin ist damals eine prominente Sprecherin der DDR-Opposition. Sie findet eine mediale Beachtung wie danach nie wieder. In der Sonntag-Ausgabe vom 12. November (46/89) abgedruckt, ist das Interview mit "Wege der Selbstfindung"überschrieben und wird wieder von Andreas Lehmann und Jens-Uwe Korsowsky geführt, die 14 Tage zuvor (Sonntag 44/89) bereits die Leipziger Bürgerrechtlerin Susanne Rummel aus dem Umfeld des Nikolaikirchen-Pfarrers Christian Führer befragt haben. Aufschlussreich, dass Bohley keinen Zweifel lässt, das Neue Forum verstehe sich nicht als Partei – es habe auch „kein Programm, sondern einen Problemkatalog“. Man wolle alle ansprechen, die mit den Zuständen in der DDR im Streit lägen.

Vom Runden Tisch in die Regierung

Der Gründungsaufruf des Neuen Forums vom 10. September 1989 begann mit dem Satz „In unserem Land ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört.“ Ein Hinweis darauf, dass sich die Gruppe in den Wende-Wochen des Herbstes 1989 vor allem als Plattform des Dialogs verstand. Als am 8. November die offizielle Zulassung durch des Ministerium des Inneren erfolgt, haben sich etwa 200.000 DDR-Bürger mit ihrer Unterschrift zum Reform- und Veränderungsanspruch des Neuen Forums bekannt. Es gibt Basisgruppen in allen 15 DDR-Bezirken, die sich unter anderem mit dem Entwurf für ein Programm und ein Statut beschäftigen. Im Dezember soll alles zusammengeführt und am 27. Januar eine Gründungskonferenz stattfinden, wie es Ingrid Köppe – ebenfalls NF-Gründerin – in einem Interview mit der Berliner Zeitung am 25. November 1989 formuliert. Sie schließt darin nicht aus, dass man bereit sei, politische Verantwortung zu übernehmen. Das bezieht sich zunächst auf den am 7. Dezember 1989 erstmals tagenden Runden Tisch, gilt dann aber ab Ende Januar 1990 auch für die Regierung der DDR.

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