Die Schlange vor der Kasse des Deutschen Theaters ist so lang wie vor jeder Premiere. Das Objekt der Begierde ist jedoch keine neue Inszenierung, sondern eine neue Gesprächsreihe, die an diesem Sonntagmorgen aus der Taufe gehoben wird.
»Talkshow« ist der Sammelbegriff, der sich auch im Deutschen für dieses Format eingebürgert hat, unter dem jede Veranstaltung firmiert, in der mindestens zwei Menschen zusammensitzen, die mehr als zwei zusammenhängende Sätze unfallfrei aussprechen können - Beispiele wie der Boxer Norbert Grupe alias »Prinz von Homburg«, der in gesunder Selbsteinschätzung einst sämtliche Fragen, die ihm der Moderator Rainer Günzler stellte, ignorierte, bilden die rühmliche Ausnahme von der Regel.
Während
Während sich in Fällen wie diesem die »Show« der Tatsache verdankt, dass der »Talk« ausfällt, sind neuere Vertreter des Genres bestrebt, die beiden Bestandteile so auszubalancieren, dass sich das Resultat aus der Flut der zum Verwechseln ähnlichen Produkte hervorhebt. Aus demselben Grund wird neuerdings gern alter Wein in neue Schläuche gefüllt und wieder zum »Gespräch« geladen, das der Spaßgesellschaft schon im Etikett Paroli bietet. Die beiden jüngsten Kreationen der »aufgeklärten« Lesart dieses Genres präsentiert mit Gregor Gysi ein »Tausendsassa«, der es als Politiker und PDS-Vorsitzender zu gesamtdeutscher Prominenz und Beliebtheit gebracht hat. Doch während er sich im MDR-Fernsehen die Rolle des Gastgebers mit dem schwäbischen »Cleverle« Lothar Späth teilt, ist er im Deutschen Theater alleiniger Hausherr, der an diesem Sonntag zum ersten Mal einem »Zeitgenossen« die Tür öffnet, um sich mit ihm knapp zwei Stunden lang zu unterhalten. »GGTZ« steht an der rückwärtigen Wand, die den Gesprächsraum begrenzt. Der Superstar, nach dem Deutschland seit Monaten angeblich gesucht hat, ist erst wenige Stunden gefunden, da bringt das DT den Titel der neuen Gesprächsreihe auf einen populären Kurznenner, den sich die Vorreiter dieses Trends auf RTL erst hart erarbeiten mussten. Scherz? Satire? Ironie? Oder haben solche Vorschusslorbeeren doch tiefere Bedeutung?Die vom Intendanten des Hauses vorab artikulierte Hoffnung, die neue Gesprächsreihe möge sich »aufs Spannendste« von anderen unterscheiden, lässt es ebenso vermuten wie der Andrang des Publikums. Weil nicht jeder im Saal mit den Chiffren der modernen Medienwelt vertraut sein kann, ist auch der vollständige Titel der Veranstaltung vermerkt. Gregor Gysi trifft Zeitgenossen ist das Motto, unter dem der Moderator von nun an regelmäßig einen prominenten Gast empfängt. Um das Prinzip des Wechsels anschaulich zu machen, steht das Wort »Zeitgenossen« auf der Tür. Sobald der Gastgeber sie öffnet, gerät ein auswechselbares Namensschild in den Blick, das in großen Lettern verkündet, wen er heute in die gute Stube lässt, die mit einem roten (!) Plüschteppich ausgelegt ist, auf dem zwei graue Clubsessel um ein Aquarium (!!) herumdrapiert sind. Dorthin führt der mit dem »Goldenen Mikrofon« ausgezeichnete Wortakrobat an diesem Morgen den Theaterregisseur Peter Zadek, der in Sachen Selbstauskunft nicht gerade als redselig gilt.Entsprechend gelassen erwartet der trotz seiner 76 Jahre wohl noch immer Jüngste aller sich jugendlich gebärdenden Regisseure die erste Frage. Die, wie originell, der Kindheit gilt, zugegeben nicht irgendeiner, sondern der eines Berliner Juden, der 1933 im Alter von sieben Jahren seine Heimatstadt verlassen musste. Zadek streckt sich aus, legt die Hände hinter den Kopf und lächelt, ehe er erklärt, dass er mit der erwünschten Antwort nicht dienen kann. Um sich als aus Deutschland Ausgestoßener zu empfinden, sei er zu sehr damit beschäftigt gewesen, am neuen Wohnort London und in der neuen Sprache heimisch zu werden.Auch im Folgenden wird Zadek kaum Anlass haben, es sich weniger gemütlich zu machen. Dazu sind die Fragen des sonst so scharfzüngigen Gregor Gysi nicht angetan. »Sie haben mal gesagt« leitet er sie allzu oft ein, um auf seinen Karteikarten nach dem Stichwort zu suchen, das ihm just entfallen ist. Nicht nur deshalb erinnert seine Gesprächsführung eher an Biolek als an Friedmann, wobei Ersterem zugute zu halten ist, dass die Milde, mit der er seine Gäste behandelt, Konzept und nicht dessen Abwesenheit ist.Vielleicht hat es dem vielbeschäftigten Rechtsanwalt, Kolumnisten, Buchautor und nun auch noch Talkmaster schlicht an Muße gemangelt, sich auf die Themen, die er sich notiert hat, in der gebotenen Gründlichkeit vorzubereiten - der Spannungsbogen, den er kühn, aber sinnfällig von Shylock bis Scharon spannt, will an diesem Morgen jedenfalls nicht recht tragen. Um dem Gast präzise Antworten zu entlocken, geraten die Fragen zu oberflächlich, und da Nachfragen weitestgehend ausbleiben, kann Zadek mehrfach unwidersprochen zu Attributen wie »toll« und »spannend« greifen, um selbst schwierigste Sachverhalte zu beschreiben. Sofern es um die Haltung des Kanzlers in der Irakfrage geht, findet das beim Publikum ungeteilte Zustimmung. Unmut macht sich hingegen breit, wenn sich Gysi mit einer solchen Ausflucht auf die Frage nach der zänkischen »Fünferbande« abspeisen lässt, die Anfang der Neunziger unter Zadeks tätiger Mithilfe das Berliner Ensemble in die Krise leitete.Unter solch falsch verstandener Friedfertigkeit des Moderators muss der »Talk« zwangsläufig leiden, doch weil Gysi sein zweites Talent über Gebühr zügelt, kommt auch die »Show« arg kurz. Nur selten findet er sich bereit, eine jener Anekdoten zu erzählen, die über Erheiterung zum Erkenntnisgewinn führen. So erlebt das Gespräch seinen Höhepunkt, als er sich danach erkundigt, warum Zadek 1958 in die BRD und nicht in die DDR »gekommen« sei. Indem er ausdrücklich nicht von »gegangen« spricht, deutet sich eine historische Bruchlinie an, an der entlang zu diskutieren lohnend und möglich gewesen wäre, auch ohne über jedes Detail der Biografie des Gastes informiert zu sein. Doch allzu schnell fällt Gysi in die Rolle des »parteilosen« Moderators zurück, der die Gelegenheit verstreichen lässt, mehr über die Motive zu erfahren, die den bekennenden Brecht-Abstinenzler Zadek dazu bewogen haben, noch im März mit den Proben zu Mutter Courage zu beginnen. Dafür ergreift er umso massiver Partei, wenn er etwa die Frage nach der »Werktreue« des Regietheaters mit einer Naivität anspricht, die jedem Wertkonservativen zur Ehre gereicht.Über die Erstsendung seiner MDR-Talkshow hat Gregor Gysi selbstkritisch gesagt, dass sie »schlicht und ergreifend schlecht« war. Die nüchterne Einschätzung lässt annehmen, dass er auch die Erstauflage der Gesprächsreihe einer kritischen Revision unterziehen wird, ehe er sich am 6. April mit Daniel Barenboim trifft. Dass er dabei auf ein treues Publikum zählen darf, belegt der freundliche Applaus, mit dem es Gast und Gastgeber entlässt.
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