Gestank in Bildern

Berlinale Fatih Akins Film über den Frauenmörder Honka ist eine Zumutung aus Gewalt, Kotze und Pisse
Ausgabe 07/2019

Die Filme von Fatih Akin stecken immer schon voller Wut. In Kurz und schmerzlos ist es die Wut gegen ein Milieu, aus dem es kein Rauskommen gibt, in Gegen die Wand gegen tradierte Konventionen. Und in Aus dem Nichts, dem vielleicht subjektivsten Film dieses stark subjektiv arbeitenden Regisseurs, ist es die Wut gegen den todbringenden rechtsradikalen Terror.

Mit Der goldene Handschuh hat Akin nun eine wütende Bestie von Film gedreht, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die Adaption des gefeierten Romans von Heinz Strunk lief im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale und wurde dort kontrovers aufgenommen. Was, angesichts des Stoffes, auch zu erwarten war. Schließlich taucht Strunk in seinem Buch ins Hamburg der 70er Jahre ein und erzählt die auf Tatsachen basierende Geschichte des brutalen Frauenmörders Fritz Honka. Auch „eintauchen“ ist hier wörtlich zu nehmen, denn wie Strunk mit zotiger Sprache den Ekel und den Gestank, von dem seine Geschichte nur so wimmelt, das Milieu überhaupt zum Leben erweckt, hat etwas Immersives.

Akin gelingt der Transfer dieser Welt weitestgehend, sein Film ist Gestank in Bildern. Der Geruch von Rauch, Sauferei, Kotze und Pisse macht sich langsam im Kinosaal breit, wenn wir bei Honka zu Hause sind oder im Goldenen Handschuh, der Stammkneipe des Alkoholikers. Da hängen sie herum, Soldaten-Norbert („Ich könnt’ schon wieder Fotzen fressen wie Kartoffelsalat!“), Tampon-Günther und wie sie alle heißen, und saufen literweise Doornkaat in der dicken Luft der 24-Stunden-Kneipe. Sie brüllen und fluchen in Hamburger Dialekt und lassen sich dabei von Schlagern wie Heintjes Du sollst nicht weinen einlullen.

Eine Insel der Gestrandeten mitten auf dem Hamburger Kiez, auf die Akin, wie Strunk, nicht herabblickt, die auch nicht verkitscht wird. Sozialromantik jedenfalls sieht anders aus. Dass Akin das Personal des Handschuhs teils mit tarantinoesken Stilisierungen vorstellt, erscheint als unnötige Spielerei.

Konsequent ist Akin hingegen bei der Zeichnung des Fritz Honka. Jede auch noch so kleine Menschlichkeit, die bei Strunk noch leise mitweht, fehlt bei Akin. Der Regisseur versucht nicht einmal, den Mörder zu verstehen. „Der war einfach krank“, erklärte er im Interview. Sein Film will auch nicht ansatzweise objektives Psychogramm eines Gestörten sein, sondern bildgewordene Verstörung. Was vorher immer Figuren galt, mit denen der Regisseur sich zumindest teilweise identifizieren konnte, fließt hier nun in das Böse: Die akinsche Wut generiert eine kaputte, alkoholkranke, animalisch-triebgesteuerte Bestie.

Und das tut in fast jeder Sekunde weh, in der Jonas Dassler als Fritz „Fiete“ Honka im Bild ist, und ist, wenn der Schänder zur Tat schreitet, kaum zu ertragen. Der Film beginnt gleich mit dem Grauen, wenn Honka sich einer Frauenleiche zu entledigen versucht. Die Tote wird die Treppe hinunter- und wieder hochgeschleppt, dann ein ekeliges Knallen, als das leblose Fleisch auf dem Wohnzimmerfußboden landet. Honka setzt die Säge an. Man sieht das nicht im Detail, aber die Sägegeräusche alleine sind widerwärtig genug. Und das will nicht enden, zwischendurch macht der Gestörte eine Schnapspause und legt Adamos Es geht eine Träne auf Reisen auf.

Es werden noch weitere Gewaltexzesse in der Dachgeschosswohnung folgen. Eingefangen in meist langen Einstellungen, stranguliert Honka gebrochene Frauen, die er aus dem Handschuh nach Hause schleppt, und penetriert sie mit Kochlöffeln und Knackwürsten. Dassler humpelt buckelig mit Vergewaltigerbrille, verrücktem Blick und fettigem Haar als Quasimodo vom Kiez durch die Szenerie. Was hart an der Überzeichnung schrammt, ist dennoch über die Maßen eindrücklich. Gerade weil man das eigentlich nicht sehen möchte. Der goldene Handschuh ist eine Zumutung ohne empathischen Anker, kontroverses Kino, das nicht kaltlassen kann.

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