Geteilter Müll ist vielfacher Müll

Sharing Economy Unsere Kolumnistin vermisst die Zeiten, in denen Start-ups nur den digitalen Raum vollmüllten
Ausgabe 31/2019
Mehrwegmüll der Mobilitätswende
Mehrwegmüll der Mobilitätswende

Foto: Imago Images/Snapshot

Ich weiß, man soll die guten alten Zeiten nicht glorifizieren, aber ich bin jetzt langsam in einem Alter, in dem man das ab und an mal machen muss. Zum Beispiel, wenn ich nach der Arbeit, am Feierabend zu Hause, auf meinem Fensterbrett lehne, auf meine Straße runterschaue – und mich über E-Roller, Jump-Bikes und anderen Leihfahrräderschrott aufrege. Da stehe ich dann und denke, ach, war das schön, als die Start-ups und Tech-Unternehmen nur unser Internet, unsere Smartphones und iPads vollgemüllt haben und nicht auch noch meine Straße und die ganze Stadt.

Meine Straße ist nicht mal besonders groß, in Sichtweite meines Fensters stehen fünf E-Roller – jeweils zwei davon als Paare abgestellt, einer liegt einfach so umgekippt rum –, zwei neonrote (ja, diese abscheuliche Farbe gibt’s neuerdings!) Jump-Bikes vom Klassenfeind Uber und zwei jeweils irgendwie orangefarbene Fahrräder, die aber von zwei unterschiedlichen Anbietern stammen und von denen eines schon seit letztem Jahr vor sich hin modert. An einem Zaun ist ein Fahrrad mit einem blauen Vorderrad angeschlossen, das auf den ersten Blick nicht als Leihrad erkennbar ist, das aber zum niederländischen Unternehmen Swapfiets gehört.

Bike- und E-Roller-Sharing nennt sich das Geschäftsfeld. Geteilt wird in dieser Sharing Economy jedoch herzlich wenig, es wird gemietet, es ist eine Renting Economy. Deswegen wird das ursprüngliche Versprechen der Sharing Economy, dass wir alle weniger kaufen und besitzen müssen, weil wir uns gegenseitig Dinge ausleihen, auch nicht eingelöst. Schon beim Carsharing hätte man es ja ahnen können. Hier geht es nicht ums Teilen, um weniger Autos, um Umweltschutz und Mobilitätswende und wie all die hehren Ziele heißen, welche die Unternehmen auflisten, um ihre Geschäftsmodelle bestens zu verkaufen. Die Autos mietet man sich lediglich von Autokonzernen wie BMW und Mercedes, die damit einen neuen Absatzmarkt für sich entdeckt haben. So treten jetzt verschiedene Anbieter von Verleih-Vehikeln gegeneinander an, in der Hoffnung, Sieger auf diesem Markt zu werden. Doch bis es so weit ist und ein, zwei Unternehmen den Markt beherrschen, müllen die anderen unsere Städte voll und verkaufen uns das Ganze als Mobilitätswende und sich selbst als Akteure, die gegen Autos, Stau und Klimawandel kämpfen.

Nur: Sozial und ökologisch ist daran nichts. Wird der Schrott tatsächlich mal weggeschafft, dann von unterbezahlten Freiberuflern, die mit Lastwagen durch die Stadt fahren und die gestrandeten, kaputten Roller wieder einsammeln müssen. Wenn das nicht passiert – oder eins der Unternehmen pleitegeht, was auch schon vorgekommen ist, dann müllen die Geräte die Städte noch mehr voll – oder formieren sich gleich in ganzen Schrottbergen so wie gerade in China (Bitte bei der Googlebildersuche „Radfriedhöfe“ und „China“ eingeben und abgeschreckt sein!). Und wie bei ganz traditionellen Apps und sozialen Netzwerken fischen die Unternehmen natürlich auch noch Daten samt interessanten Bewegungsprofilen, die andere Unternehmen so einfach sicherlich nicht zusammentragen können.

Ich habe natürlich nichts gegen Leihfahrräder und -roller per se. Ein vernünftiges System würde sich aber am tatsächlichen Bedarf orientieren und nicht gesteuert werden von der Konkurrenz verschiedener Unternehmen, bei der die Unterlegenen den Schrott von morgen produzieren. Ein vernünftiges Leihradsystem sollte auch keine miesen Arbeitsbedingungen fördern und nicht ungefragt Daten sammeln, von denen die Nutzer kaum wissen, was mit ihnen passiert. Und wenn es so ein Leihsystem geben würde, dann würde ich von meiner Fensterbank herab viel weniger meckern ... na ja, obwohl, aber eben über etwas anderes!

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