Getriebe

Kommentar Berliner Literaturfestival

Ende dieser Woche hat in Berlin das erste "Internationale Literaturfestival" begonnen. Dass dieses ominöse Projekt tatsächlich zustande kommen konnte, verdankt sich der Methode Christo. Jahrelang warb der eher unbekannte Berliner Bauleiter Ulrich Schreiber, im Nebenberuf Vorsitzender einer selbstgegründeten Peter-Weiss-Gesellschaft, landauf landab für ein Projekt, bei dem immer unklar blieb, was es damit auf sich haben und wozu man es überhaupt brauchen könnte. Keine Buchmesse, auf der er die Szene nicht mit dem Projekt nervte. Aus der Imaginationsschimäre ward nun Wirklichkeit. Mit Lottoknete hat Schreiber es endlich geschafft.

Man tut sich zwar schwer in einer Stadt, die für die Literatur so wenig Geld übrig hat wie Berlin, eine so hartnäckige Kunstinitiative zu kritisieren. Doch wenn Schreiber auf die Berlinale verweist und unbedingt ein ebenso bedeutendes Festival für die Literatur aus dem Boden stampfen möchte, klingt das weniger nach einer inhaltlichen Begründung als nach Spartenegoismus. Nun lesen zehn lange Tage lang eine Unzahl auch international renommierter Autoren in einem Dauermarathon. Damit konterkariert das Festival zwar die deutsche Bauchnabelperspektive, die die Literaturszene in der Bundeshauptstadt so liebt. Doch so wahllos hier die Stadt mit berühmten und weniger berühmten Namen und höchst traditionellen Lesungen überzogen wird, fallen nicht die Wörter "uneinholbar ins Getriebe der Welt", wie der Plakattitel schwer poetisch verspricht. Eher wird das heiß gelaufene Getriebe des Literaturbetriebs noch weiter geschmiert. Berlin brummt vor Lesungen, Literaturevents, Symposien und den Zusammenrottungen diversester Autoren und Autorinnen. Keine einsturzgefährdete Weltkriegskatakombe, die noch nicht literatorisch bespielt worden wäre. Die Idee über diesen kaum noch abzulaufenden Veranstaltungsteppich nun noch einen dicken roten Festivalläufer zu legen, ist ungefähr so notwendig wie die Poetendampflok namens "Internationaler Literaturexpress" der Berliner Literaturwerkstatt, der vergangenes Jahr ohne nennenswerte Ergebnisse publizitätsfauchend durch Europa tourte.

Das neueste Beispiel der Festivalitis und Eventkultur, die den normalen Kulturbetrieb überall immer stärker überwuchert, überdeckt zudem die Berliner Strukturdefizite. Wenn Schreiber die zwei Millionen Mark, die er an Sponsorengeldern für sein Projekt eingeworben hat, an die vier, vom Senat sträflich und schändlich kurzgehaltenen und oft genug übel maträtierten Literaturhäuser verteilt hätte, die aus Geldmangel kaum noch eigene Programme machen können und zu Wurmfortsätzen und Lautsprechern der Verlage degenerieren, hätte die Hauptstadt das ganze Jahr über das schönste Literaturfestival.

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