Getroffene Hunde

Pharma Entgegen den Beteuerungen der Industrie schützen Patente bisher eher Profite als Patienten
Ausgabe 19/2021
Die Mobilmachung der Branche gegen die Aussetzung des Patentschutzes lässt vor allem einen Grund vermuten: die Angst vor der Signalwirkung, die eine solche historische Entscheidung mit sich brächte
Die Mobilmachung der Branche gegen die Aussetzung des Patentschutzes lässt vor allem einen Grund vermuten: die Angst vor der Signalwirkung, die eine solche historische Entscheidung mit sich brächte

Foto: Sean Rayford/Getty Images

Die Entwicklung auf dem globalen Arzneimittelmarkt zuletzt zeigt: Patente setzen vor allem einen Anreiz zur Profitsteigerung. Die durch den Patentschutz ermöglichte Monopolstellung führt zu einer massiven Preissteigerung für Medikamente, wie man deutlich an den kontinuierlich steigenden Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland erkennen kann – allen Bemühungen um Einsparungen zum Trotz.

Doch die Hochpreispolitik der pharmazeutischen Industrie stellt nicht nur das deutsche Gesundheitssystem vor Herausforderungen. Für die Länder des globalen Südens bedeutet eben diese Preispolitik: Der Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten bleibt verwehrt. Ein Beispiel: der lange Kampf um bezahlbare Medikamente gegen HIV. Mit der Nutzenbewertung im Rahmen des Arzneimittelneuordnungsgesetzes müssen sich die Preisverhandlungen zwar am nachgewiesenen Zusatznutzen orientieren, dieses Instrument setzt aber erst ein Jahr nach Markteinführung an. Bis dahin dürfen Medikamentenhersteller weiter frei gewählte Preise ansetzen – ohne Grenzen nach oben. Von Seiten der Industrie werden hohe Preise mit den hohen Kosten für Entwicklung und Forschung gerechtfertigt: Bis zu 2,5 Milliarden Euro koste die Entwicklung eines einzigen Medikaments – eine Dimension, die von Insidern angezweifelt wird. Die Kostenaufstellungen sind wenig transparent, unabhängige Schätzungen kommen auf niedrige dreistellige Millionenbeiträge. Und: Dass die Grundlagenforschung für neue Innovationen meist durch öffentliche Mittel finanziert wurde, ist nicht erst seit den Covid-19-Impfstoffen bekannt.

Investitionen werden vor allem in Sektoren getätigt, in denen mit wenig Risiko hohe Gewinne warten: bei der Behandlung von Gesundheitsproblemen reicher Industrienationen. Wichtige Forschung zur Entwicklung global dringend benötigter Arzneimittel, etwa neue Antibiotika oder Mittel gegen Tuberkulose, wird wenig vorangetrieben.

Für die Länder des Nordens werden mit geringem Aufwand sogenannte Scheininnovationen entwickelt: Arzneimittel, die sich nur wenig von anderen, verfügbaren Medikamenten unterscheiden. Für diese wird Marktzulassung und Patentschutz erwirkt – mit hohen Gewinnen. Ein Beispiel ist das Hepatitis-C-Medikament Sofosbuvir, das „Mondpreise“ erzielte – in Deutschland nach Zulassung 60.000 Euro Kosten für drei bis sechs Monate Behandlung. Sofosbuvir weist gegenüber bereits vorhandenen Präparaten eine nur marginale Innovation auf. Sanofi Genzyme nahm 2012 das Leukämie-Medikament Alemtuzumab vom Markt und beantragte mit dem gleichen Wirkstoff – ohne erneute Entwicklungskosten – erfolgreich eine Marktneuzulassung zur Behandlung der Nervenkrankheit Multiple Sklerose – zum 44-fachen Preis!

Die Pharmabranche schafft es bis heute, gegen strengere Kriterien bei der Patentierung von Arzneimitteln oder die Einführung öffentlicher Register zu Preisverhandlungen zu lobbyieren. In der aktuellen Diskussion um Covid-Impfstoffe wird nun angeführt, dass eine Freigabe von Patenten gar nicht den gewünschten Effekt haben würde. Abgesehen davon, dass in Fachkreisen eine zügige Aufnahme der Produktion nach Transfer der Herstellungsunterlagen als möglich gilt – die Mobilmachung der Branche gegen die Aussetzung des Patentschutzes lässt vor allem einen Grund vermuten: die Angst vor der Signalwirkung, die eine solche historische Entscheidung mit sich brächte.

Manja Dannenberg ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und Vorstandsmitglied der Ärzteinitiative MEZIS „Mein Essen zahl’ ich selbst“

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