Gewissensprüfung

Kommentar Debatte um die Abschaffung der Wehrpflicht

The same procecedure as last year? Aber natürlich! Der deutsche politische Sommer ist zuweilen ritualisierter als ein Jahreswechsel. Und deswegen hatte auch dieser Juli wieder seine Debatte um die Wehrpflicht, wenn auch viel verhaltener als der vergangene. Das hat seine eigenen Gründe: Im Jahr 2000 hatte sich die Republik vom Krieg im Kosovo gerade ein wenig erholt und das Krisengebiet Balkan galt vielen als endgültig befriedet. Die nächsten Einsatzmöglichkeiten für deutsche Soldaten schienen räumlich wie zeitlich so weit entfernt, dass eine Kommission eine Armee mit einem Söldner als dem idealen Soldaten konzipieren konnte - freilich nun »Krisenreaktionskraft« genannt. Im Sommer 2001 dagegen befindet sich der nächste Bundeswehreinsatz - diesmal in Mazedonien - schon wieder in Reichweite, Rudolf Scharping längst wieder in der Etappe, und wer will da der - sich ohnehin in der Mangelwirtschaft befindlichen - Truppe auch noch moralisch an den Kragen?

Es lohnt sich, die heutige Debatte im Lichte der vorjährigen zu betrachten, weil die Argumente sich ohnehin nicht geändert haben, der Streit aber ausgeprägter war. Auch in dieser Zeitung entwickelte sich damals ein reger Streit zum Thema Abschaffung der Wehrpflicht. Pro und Contra unterschieden sich nur in ihrer Perspektive auf den Gegenstand: Für die Abschaffung votierte, wer den Blick vor allem auf gerade oder künftig dienende Wehrpflichtige gerichtet hatte. Zunehmende Wehrungerechtigkeit wurde da beklagt, weil kaum mehr als die Hälfte eines Jahrgangs noch Zivildienstleistender oder Wehrpflichtiger wird. Und das ist eine Quote, die noch weiter schmilzt, wenn Frauen freiwillig an die Waffe dürfen und es eigentlich keine Gründe mehr gibt, sie nicht wie Männer einzuziehen.

Gegen die Abschaffung der Wehrpflicht war, wer vor allem militärpolitisch die Konstruktion der Bundeswehr im Fokus hatte und den Anfängen einer hochtechnisierten Interventionstruppe von morgen wehren wollte. Die alte Angst vorm »Staat im Staate« wurde da neu aufgelegt und das Argument reaktiviert, eine Wehrpflichtigenarmee repräsentiere und politisiere die Gesellschaft besser.

Es ist das Dilemma dieser Sichtweisen und nicht nur das Dilemma, dass mit der Abschaffung des Kriegsdienstes - eine pazifistische Uralt-Forderung - heute ein wehrtüchtiges Task-Force-Militär am Horizont erscheint. Junge Leute aber weiter an den Waffen zu halten, um eine »neue« Armee zu verhindern, und das obwohl die damit verbundene Chancenungleichheit eklatant geworden ist: Werden diese Menschen dadurch nicht noch mehr instrumentalisiert, als es die Wehrpflicht früher je getan hat? In der derzeitigen Lage wäre es am Vernünftigsten, den Zivil- zum Zwangsdienst und den Wehr- zum Ersatzdienst zu machen. Dieser Vorschlag kommt vielleicht im übernächsten Sommer. Dann aber Prost, Admiral Snyder.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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