Es war genau ein Jahr nach der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings, da malte ein Fünfzehnjähriger „21. Aug. 1968 Dubček“ an eine Hauswand seines Heimatdorfes im Südharz. Die plakative Erinnerung an die Galionsfigur des reformkommunistischen Kurses war ein Unding in der DDR. Die Sache flog auf. Und es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass Lothar König mit den Polizeibehörden in Kontakt kam.
Heute ist er 57 Jahre alt und Jugendpfarrer in Jena. Und wieder kriegt er Besuch von der Polizei. In der vergangenen Woche durchsuchten Dutzende Beamte aus Sachsen seine Dienstwohnung in Thüringen. Das allein wäre schon Skandal genug, schließlich haben die Behörden des einen Freistaats offenbar nicht oder erst kurz vo
st kurz vorher erfahren, was die Polizei des anderen auf ihrem Territorium machte. Von Kompetenzüberschreitung und „absolutistischer Gutsherrenmanier“ ist bei der Landtagsopposition die Rede.Bekannter LautsprecherwagenDer Vorwurf gegen König klingt wie eine politische Farce: Die Staatsanwaltschaft wirft dem Pfarrer „aufwieglerischen Landfriedensbruch“ vor. Sein Dienstwagen wurde beschlagnahmt, ein blauer VW-Bus, der bei Castor-Transporten, G8-Aktionen und Antifa-Demos gelegentlich als Lautsprecherwagen unterwegs ist.Auch im Februar war König wieder einmal mit seinem Lauti-Bus vorgefahren. In Dresden protestierten Tausende gegen einen Naziaufmarsch, und als die Lage zwischen Demonstranten und Polizei zu eskalieren drohte, wollte der Pfarrer für Beruhigung sorgen. Die Staatsanwaltschaft erzählt eine andere Geschichte: Sie verdächtigt König, „eine gewaltbereite Menschenmenge dirigiert“ zu haben. Außerdem forderte er die Menge angeblich auf, „gegen Einsatzkräfte der Polizei vorzugehen“.Konflikte will König nicht deckeln, er will sie „austragen“ – und zwar friedlich. Anzeigen wegen Landfriedensbruchs oder Widerstands gegen die Staatsgewalt haben sich dabei nicht immer vermeiden lassen. Aber verurteilt, sagt König, wurde er in all den Jahren nie.Oppositionelle KirchengruppenWie viele andere Oppositionelle hatte sich König Anfang der siebziger Jahre unter das Dach der Kirche geflüchtet – ohne den Vorsatz, einmal Pfarrer werden zu wollen. Dort hatte sich eine „richtige Subkultur“ gebildet, erinnert sich König. Langhaarige junge Leute, vom Geist der 68er angesteckt, diskutierten darüber, wie der „richtige Sozialismus“ funktionieren könnte. Genau das habe der SED Angst gemacht, „denn wir waren ja nicht gegen, sondern mit ihnen. Wir wussten es nur besser.“ Eine gefährliche Gratwanderung. Damals hatte er zumindest damit gerechnet, „in den Knast zu gehen“, spätestens als zwei seiner besten Freunde Anfang der achtziger Jahre zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. „Man war es gewohnt, gegängelt zu werden“, erzählt König. Unter Walter Ulbricht wurden ihm auf einem Polizeirevier die Haare abgeschnitten. Das Abitur hatte sich bereits mit der Dubček-Aktion in seinem Heimatdorf erledigt.Pfarrer wurde der gelernte Werkzeugmacher auf dem „zweiten Bildungsweg“. Während und nach der Ausbildung an der evangelischen Predigerschule in Erfurt engagierte er sich in oppositionellen Kirchengruppen, bei der „Offenen Arbeit“, 1987 beim ersten „Kirchentag von Unten“ und als Pfarrer in Merseburg beim „Neuen Forum“. Ihn faszinierte vor allem Propst Heino Falcke, einer der bedeutendsten Denker der Evangelischen Kirche in der DDR. Falcke hatte zu Beginn der siebziger Jahre noch die Hoffnung auf einen „verbesserlichen Sozialismus“.Jetzt haben diese Erinnerungen einen bitteren Beigeschmack. „Viele werden damit bis heute nicht fertig“, erzählt König. Nach der Wende wurden nicht nur politische Hoffnungen enttäuscht. Welten brachen zusammen, weil sich Freunde und politisch Vertraute plötzlich als „Stasi-Zuträger“ entpuppten.Engagiert gegen Rechts1990 wurde König Jugendpfarrer in Jena und gründete dort die Junge Gemeinde. „Ein Glücksfall“, wie er heute findet, aber auch eine schwierige Aufgabe. Die Gemeinde war schnell zum Sammelbecken für Andersdenkende, unangepasste und linke Jugendliche geworden. Die wurden immer wieder zum Ziel von rechtsradikalen Attacken. Auch der Pfarrer der Jungen Gemeinde bekam das zu spüren: Durch Lothar Königs Gesicht zieht sich eine Narbe vom Haaransatz durch die Augenbraue wie ein Halbmond um seine linke Schläfe. Nazis hatten ihn nachts angegriffen und mit einem Gegenstand auf den Kopf geschlagen, ein Schlagring, vermutet König. Die Täter wurden nie angeklagt.Durch sein Engagement gegen Rechts ist König heute über Jenas Grenzen hinaus bekannt. Dank seines Einsatzes gibt es etwa die Rechtsrock-Veranstaltung „Fest der Völker“ nicht mehr. Die verbreitete Ablehnung von Rechtsradikalen nennt König „schön, aber zu bequem“. Neonazis würden nicht weniger, nur weil man sie an den Rand dränge. Jedenfalls nicht, solange die „gesellschaftlichen Vorraussetzungen“ für deren Tun weiter existieren.Zufällig hat König vor zwei Wochen erfahren, dass die sächsische Staatsanwaltschaft gegen ihn auch als Mitglied einer kriminellen Vereinigung ermittelt, die seit zwei Jahren Übergriffe auf Nazis verüben soll. König hat das ebenso erschrocken wie amüsiert, gegenüber dem Spiegel hatte er das Vorgehen der Behörden freimütig mit „SED-Methoden“ verglichen. Mit der Durchsuchung seiner Wohnung hätten sich die sächsischen Behörden zu einer „billigen Revanche“ hinreißen lassen, meint der Pfarrer, der zum Zeitpunkt der Polizeiaktion im Urlaub war. Die Beamten hätten nicht einmal vor dem kirchlichen Seelsorge-Geheimnis halt gemacht.