Gift

Nichtraucherschutz Auch das Private ist manchmal politisch

Während beim Klimaschutz ein Vorschlag den andern jagt, haben die Schritte zum Rauchverbot, die das Merkel-Kabinett gehen will, nur für Tage die Schlagzeilen beherrscht. Denn die Öffentlichkeit neigt gerade hier zur Verdrängung. Menschen, die nicht von der Zigarette lassen wollen, gibt es in jedem Freundeskreis, in jeder politischen Gruppe und auch in jeder Zeitungsredaktion. Umso mehr muss daran erinnert werden, dass Rauchen in der Tat nicht bloß Privatsache, sondern eine politische Angelegenheit ist. Und das nicht nur, weil Gesundheitskosten entstehen. Zwar sollte jeder tun und lassen, rauchen und nicht rauchen können, wie es ihm passt. Aber wir übersehen zu leicht die nahe Schwelle, hinter der wir schon anfangen, andere zu schädigen.

Das Rauchen in Gaststätten illustriert dies am besten. Nicht ohne Grund hat sich darauf zuletzt die Debatte konzentriert. Man neigt dazu, eine Frage der Freiheit darin zu sehen. Warum nicht Raucher- von Nichtraucherzonen trennen und jedem Gast die freie Wahl lassen? Rauchen in der Bar macht besonders viel Spaß. Was man vergisst, sind die Lungen der Kellner und Kellnerinnen. Nicht zufällig kommt einem der Vergleich, mag er noch so übertrieben sein, mit Sträflingen im Quecksilberbergwerk in den Sinn. Es ist etwas ganz anderes, wenn ich Freunde zu Gast habe und hinterher auslüfte; dann schadet es mir nicht. Nur mit dem Begriff der "Zigarette beim Glas Wein", "zuhause oder in der Bar", sollte man sich nicht belügen. Er täuscht darüber hinweg, dass "in der Bar" zum Thema Passivrauchen am Arbeitsplatz gehört. Eine Studie des deutschen Krebsforschungszentrums hat das im vorigen Sommer unterstrichen und eine "Bundesgesetzgebung für komplett rauchfreie Arbeitsplätze unter Einbeziehung der Gastronomie" gefordert. Auf diesen Anstoß sind die jetzt angekündigten Schritte der Regierung letztlich zurückzuführen. Auch eine Zahl der Forscher erregte Aufsehen: In Deutschland sterben jährlich mehr als 3.300 Nichtraucher an den Folgen des Passivrauchens. Die Industrie hatte bis dahin immer behauptet, der Zusammenhang lasse sich nicht wissenschaftlich nachweisen.

Aber die Regierung hätte auf die Studie nicht zu warten brauchen. Deutschland gehört wieder einmal zu den Schlusslichtern: Umfassende Rauchverbote in Gaststätten gibt es bereits in Irland, Norwegen, Schweden, Lettland, Italien, Schottland und Teilen der Schweiz; mehr Schutz gegen Passivrauchen bieten zum Beispiel Finnland, Ungarn, Spanien und Holland. Dass man hierzulande besonders zögert, Unternehmern etwas abzuverlangen, zeigt sich eben auch bei diesem Thema. Schon die rot-grüne Koalition belastete mit immer höheren Tabaksteuern nur einseitig die Kunden. Die jetzige Regierung lässt zwar nicht das Rauchen, wohl aber die Zigarettenwerbung auf Bahnhöfen weiter zu. Dabei zeigt nichts deutlicher als diese Reklame, wie ideologisch das Gerede von "Konsumentenfreiheit" ist. Rauchen ist eine Sucht, bei der man die Freiheit rasch verliert. Und die Sucht fällt nicht vom Himmel. Sie wird von der Reklame gefördert.

Man kann sich sogar fragen, ob die Manipulationsgewalt nicht noch zunimmt, seit die Werbung Sprüche wie "Rauchen kann tödlich sein" aufdrucken muss - will sie doch ohnehin "Freiheit" nach dem Motto "Lebe wild und gefährlich" suggerieren. Beim Rauchen ist nichts interessanter als der unbewusste Anteil. Da sollte man auch nicht vergessen, dass Rauchen eine uralte Kulturtradition ist. Die "Friedenspfeife", von der wir als Karl-May-Leser wissen, hat die Gesundheit wahrscheinlich nicht zerrüttet, da sie nicht täglich vierzigmal aus dem Beutel des Medizinmanns gezogen wurde. Ginge man mit Rauchen um wie mit Safran oder Senf, würde gar keine Gefahr von ihm ausgehen. So vorsichtig war man in alten Zeiten. Tabak galt nämlich als ein Mittel, die Autorität der Toten in die Kommunikation der Lebenden mit einzubeziehen. Das geschah natürlich nicht ununterbrochen, sondern fallweise. Man wusste genau, es war Gift, gerade deshalb eignete es sich ja für den Kommunikationsvorgang. Weshalb aus dieser Tradition in der Moderne eine unendliche Sucht geworden ist, darüber sollte man einmal nachdenken. Ist die Frage zu platt, ob der Zwang der ökonomischen Basis dahinter steckt? Unendliche Profitmaximierung, Grenzenlosigkeit des Wachstums, "ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände" und "ewige Unsicherheit der Bewegung" - so die Formulierung des Kommunistischen Manifests -, das alles kann einen schon zum Kettenraucher machen.


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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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