Zum dritten Mal in 30 Jahren unternimmt die internationale Staatengemeinschaft seit Wochenbeginn mit einer Konferenz in Brüsselden Versuch, die Least Developed Countries (LDC) stärker in Weltökonomie und -handel einzubinden. Zu den LDC gehören 49 Staaten - die meisten davon liegen im subsaharischen Afrika. Als "wenig entwickelt" gilt, wer ein jährliches Pro-Kopf-Einkommen unter 900 Dollar aufweist. Besonders die EU hatte sich im Vorfeld der Konferenz mit "Vorstößen" exponiert.
Den Ärmsten der Armen wolle sie helfen, verkündete die EU-Kommission Ende vergangenen Jahres als Begleitmusik zu ihrem Vorschlag, den 49 nach UN-Definition am wenigsten entwickelten Ländern (LDC) die Zölle auf "alles außer Waffen" für ihre Einfuhren in d
für ihre Einfuhren in die EU zu erlassen. Das klang wundervoll, regelrecht euphorisch begrüßte die Zivilgesellschaft das Aufspiel von EU-Außenhandelskommissar Pascal Lamy, der sich so couragiert gegen Agrarkommissar Franz Fischler durchzusetzen verstand. Dessen Intervention hatte den Beschluss in der Kommission monatelang aufgehalten. Ende Februar passierte die Vorlage mit ein paar kosmetischen Korrekturen den EU-Ministerrat und ist - sehr theoretisch - seit dem 5. März in Kraft."Die Entwicklungsländer könnten 40 Milliarden US-Dollar jährlich einnehmen, wenn die Industrieländer ihre Agrarmärkte nicht abschotten würden", ließ beispielweise das von der Sozialdemokratin Heidi Wieczorek-Zeul und der Grünen-Staatsekretärin Uschi Eid geleitete deutsche Entwicklungsministerium verlautbaren. Das sei fast genauso viel, wie derzeit weltweit für die öffentliche Entwicklungs-Zusammenarbeit aufgebracht werde, hieß es in einem am 26. Februar verbreiteten Pressetext der Ministerin.Doch der phänomenale Quantensprung steht beim Handel mit den LDC mitnichten bevor. Weniger als ein Prozent der gesamten EU-Einfuhren kommen von dort, Tendenz stetig fallend. Auf weniger als ein Prozent davon wiederum - auf ganze 0,01 Prozent aller EU-Importe - wurden überhaupt noch Einfuhrabgaben erhoben, durchschnittlich in einer Höhe von zehn Prozent. Mit seinem "pionierhaften Vorgehen" (Originalton Kommissar Lamy) lässt Brüssel längst unumwunden durchblicken, wohin es tatsächlich geht - in die ohnehin anstehende nächste Agrarhandels-Runde der Welthandelsorganisation (WTO), mit der die EU-Kommission auf Biegen und Brechen noch in diesem Jahr vorankommen will. Auf 7,1 Millionen Euro verzichtet die EU-Kasse durch ihren Zollerlass, wahrlich kein extremer Verlust mit bedenklichen Haushaltsfolgen. Außerdem, so Pascal Lamy, solle ja vor allem "ein positives Signal" für den Welthandel gegeben werden. Dies nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der jetzt zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder veranstalteten Brüsseler Konferenz zu den ärmsten Entwicklungsländern. Die "Lamy-Initiative" war ausdrücklich als Morgengabe einer großzügigen Europäischen Union an die LDC deklariert.Doch hier ist viel Etikettenschwindel im Spiel: Erstes Indiz - die nach dem Vertrag von Cotonou mit den EU-assoziierten Entwicklungsländern Afrikas, der Karibik und des pazifischen Raums (AKP/*), zu denen 39 aus der LDC-Gruppe gehören, vereinbarten Konsultationen zu "wesentlichen Belangen" blieben aus. Die EU beschloss ihre "Initiative" ohne ihre AKP-Klientel zu konsultieren. Zweites Indiz - einmal abgesehen von der Absurdität, dass die "Ärmsten der Entwicklungsländer" ausgerechnet Waffen in die EU exportieren sollten, sehen die AKP-Staaten mit dem winzigen Zollerlass für alle Entwicklungsländer auch noch den letzten Rest ihrer ohnehin geringen Vorteile im Außenhandel mit der EU schwinden. Und schließlich - EU-Agrarkommissar Fischler hatte in seiner Stellungnahme gegen die Freihandels-Ideologen in der Kommission auch geltend gemacht, dass mit der angekündigten radikalen Agrar-Liberalisierung innerhalb der WTO im Grund jedwede eigene Landwirtschaftspolitik - etwa für die AKP-Länder - zu Grabe getragen werde.Denn mit Pascal Lamys geschicktem Vorstoß werden nicht nur die LDC-Staaten gegeneinander ausgespielt, sondern auch hingehalten. Bis eine Unmenge von EU-Durchführungsbestimmungen geändert und Kontroll-Verfahren eingerichtet sind, gab ein Kommissionssprecher in Brüssel gerade bekannt, werde wohl noch eine gewisse Zeit vergehen. Nach den "Ursprungsregeln" müsse schließlich genauestens geprüft werden, ob Reis oder andere exotische Tropen-Exporte wie "frische oder gefrorene Trüffel" (EU-Zolltarifposten 07095200) oder "Zubereitungen nach Art der Müsli aus ungerösteten Getreideflocken" (EU-Zolltarifposten 19042010) von einer Südseeinsel auch mindestens zur Hälfte des Einfuhrwerts von dorther kommen und damit Zollbefreiung verdienen. Die Kapazitäten für ein derart hochkarätiges Kontrollvermögen müssen ebenfalls erst noch aufgebaut werden, das kann dauern.Immerhin kommt langsam Nachdenken in Gang. Ende März legte ein Verbund skandinavischer Entwicklungs-NGO eine Studie über "den fundamentalen Widerspruch" vor, "dass andere grundlegende Entwicklungs-Ziele wie Ernährungssicherheit oder umweltverträgliche Produktion gerade im Agrarbereich unmöglich erreichbar "seien, solange "ein expandierender Handel immer die oberste aller Prioritäten" bleibe. Real betreffe doch die EU-Zollfreiheit, von den Produktionsgegebenheiten in den LDC wie von den Marktbedingungen in der EU her, nahezu ausschließlich agrarische Rohstoffe als LDC-Ausfuhren. Einige der in der Landwirtschaft engagierten NGO wie Solagral, Solidar und CSA haben inzwischen ebenfalls die Frage gestellt, ob der beschriebene EU-Erlass nicht eher ein vergiftetes Zuckerchen aus Brüssel sei.(*) Der Vertrag hat die im Jahr 2000 ausgelaufenen Lomé-Vereinbarungen ersetzt, mit denen Sonderkonditionen für die AKP-Staaten im Handel mit der EU festgeschrieben waren.Anteil der Entwicklungsländer an der Weltökonomie (in Prozent)199819992000Welt-Bruttoinlandsprodukt21,621,722,5Welthandel30,730,733,4Bevölkerung85,085,285,3Direktinvestitionen25,918,915,9