ifa-Generalsekretärin Gitte Zschoch: „Es ist keine Kompetenz, aus dem Osten zu sein“
Interview Gitte Zschoch leitet seit gut einem Jahr das ifa – Institut für Auslandsbeziehungen. Sie ist die erste Ostdeutsche in dieser Position: Von hier aus kämpft sie in erster Linie für eine stärkere Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union
Blick hinter die Kulissen im Kunstlager in Berlin: Auch die eigene Geschichte wird aufgearbeitet
Foto: Victoria Tomaschko/ifa
Das ifa – Institut für Auslandsbeziehungen ist die älteste deutsche Mittlerorganisation für Auswärtige Kulturpolitik. Gegründet wurde es 1917 in Stuttgart, damals noch als „Museum und Institut zur Kunde des Auslanddeutschtums und zur Förderung deutscher Interessen im Ausland“. Während das Goethe-Institut vor allem die Kenntnis der deutschen Sprache im Ausland fördern und ein umfassendes und aktuelles Deutschlandbild vermitteln möchte, setzt das ifa auf weltweiten Kunst- und Kulturaustausch mittels Konferenzen und Ausstellungen. Seit Oktober 2021 ist Gitte Zschoch Generalsekretärin des ifa, das unter anderem auch den Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig betreut. Ein Gespräch über das Erbe des Zentrums f&
für Kunstaustellungen der DDR, ostdeutsche Identität und die Europäisierung der Kulturpolitik.der Freitag: Frau Zschoch, seit 1990 hatten mit Thomas Scheibitz und Olaf Nicolai nur zwei der 30 Künstler:innen im Deutschen Pavillon einen ostdeutschen Hintergrund. Ist es vorstellbar, dass das ifa künftig Vorgaben zu Geschlecht oder Herkunft macht?Gitte Zosch: Ich fände es wichtig, das deutsche Ost-West-Verhältnis zu beleuchten. Es gibt viele interessante Künstlerinnen, die dazu arbeiten. Die Frage ist, ob man mit einer solchen Vorgabe der gewählten kuratorischen Position einen Gefallen tut und die Jury Lust auf die Auswahl hat. Wichtig ist eine diverse Zusammenstellung der Jury im Hinblick auf Herkunft, Biografie und Alter.Sie sind 1984 bei Leipzig geboren, haben die Wiedervereinigung als Kind erlebt. Das Auswärtige Amt formulierte zu Ihrer Wahl als Generalsekretärin des ifa, dass man sich sehr freue, dass zum ersten Mal eine Kulturmanagerin aus Ostdeutschland eine wichtige Mittlerinstitution übernimmt. Empfinden Sie Ihre Ost-Biografie als Stärke?Bei meiner Bewerbung habe ich es nicht verschwiegen, aber auch nicht als Stärke ausgespielt. Es ist keine Kompetenz, aus dem Osten zu sein. Aber ich hoffe, eine andere Perspektive produktiv machen zu können, etwa auch im Hinblick auf Herkünfte in Beiräten und Gremien, die unsere Arbeit begleiten.Wann war es für Sie zum ersten Mal ein Thema, ostdeutsch zu sein?Meine Familie hatte Freunde im Westen, die uns in den 80er Jahren viel besucht haben. Da habe ich gemerkt, dass ich einen Dialekt habe. Als Jugendliche habe ich sehr bewusst angefangen, den abzulegen. Mein späterer Chef in Seoul hatte zuvor in Dresden gearbeitet und erzählte von Kleinigkeiten, an denen er erkennt, ob jemand aus dem Osten kommt. Er hat das wertschätzend erzählt, aber ich habe alles, was er aufgezählt hat, sofort abgelegt. Ich wollte auf keinen Fall, dass man merkt, woher ich komme.Was war Ihre Sorge?Dass ich als weniger kompetent wahrgenommen werde und nicht in diese Welt passe. Das hat wahrscheinlich auch etwas mit Klassismus zu tun. Erst kürzlich sagte ein Journalist zu mir: „Man hört ja gar nicht, dass Sie aus Sachsen kommen!“ Da schwang eine gewisse Abwertung mit. Würde man das jemandem, der aus Bayern kommt und keinen Dialekt hat, auch sagen?Beobachten Sie ein neues Selbstbewusstsein im Umgang mit der Ost-Prägung?Bücher von Steffen Mau oder Jana Hensel, insbesondere Die Gesellschaft der Anderen, das sie 2020 mit der Migrationsforscherin Naika Foroutan veröffentlicht hat, tragen sicher dazu bei. Bezüglich struktureller Unterschiede zwischen Ost und West haben diese Autor:innen mir die Augen geöffnet. Wir Ostdeutschen sind untereinander zu wenig vernetzt. In Stuttgart saß ich kürzlich auf einem Panel zu „70 Jahre Baden-Württemberg“. In Sachsen saß ich noch auf keinem Podium.Placeholder infobox-1Wie ist die Ost-Quote am ifa?Von 170 Mitarbeitenden sind elf in Ostdeutschland geboren. Acht geben Berlin als Geburtsort an, da müsste man nachfragen, ob in Ost oder West. Viele mit Ost-Biografie gaben sich mir am Anfang mit Freude zu erkennen. In den höheren Gehaltsstufen ist niemand aus dem Osten, auch nicht an unserem Standort in Berlin, der sich auf die im Einigungsvertrag von 1990 geregelte Übernahme des Zentrums für Kunstausstellungen (ZfK) der DDR durch das ifa zurückführen lässt. Unser Präsident Ulrich Raulff hat schon vor meiner Zeit initiiert, dass die Geschichte des ifa aufgearbeitet wird, nicht nur die Rolle im Nationalsozialismus, sondern auch die Gründung 1917, die in Verbindung zum Kolonialismus steht. Wir haben eine Vorrecherche in Auftrag gegeben, die das ZfK zunächst nicht berücksichtigt hatte. Ich habe angeregt, dass auch dessen Geschichte aufgearbeitet wird. Wir erinnern die mit. Das ist unsere gesamtdeutsche Verantwortung.Worin besteht das Erbe des ZfK?Es lagern circa 11.000 Werke in der Nähe von Stuttgart, einige sind derzeit auch in unserer Galerie in Berlin ausgestellt. Das ZfK hat wie das ifa Tournee-Ausstellungen organisiert. Karl Heinz Jakob, der Großvater der Künstlerin Henrike Naumann, ist darüber mit seinen Arbeiten nach Kuba gereist. Papierarbeiten von ihm sind bei uns im Archiv. Henrike Naumann wird mit uns ein Kunstprojekt entwickeln, das sich die internationalen Kulturbeziehungen der DDR anschaut. Das ist gerade besonders wichtig, da unser Verhältnis zum östlichen Europa massiv infrage steht und neu gestaltet werden muss.Wann haben Sie das ifa kennengelernt?Als ich das Goethe-Institut in Kinshasa aufgebaut habe, hat das ifa vor Ort eine Station der Tournee-Ausstellung mit Wolfgang Tillmans realisiert. Das war mutig und zeugte von großer Offenheit.Inwiefern?Es kann schwierig sein, in Kinshasa Kunstprojekte zu organisieren, weil vieles über mündliche Absprachen funktioniert oder die Zollfreigabe lange dauert. Zudem war das Goethe-Institut neu und ich konnte nicht auf ein bestehendes Netzwerk zurückgreifen. Das hat das ifa aber nicht gestört, und das fand ich toll.Warum haben Sie sich am ifa beworben?Als Geschäftsführerin des Netzwerks der Europäischen Kulturinstitute EUNIC in Brüssel war mein Fokus, Kultur tiefgreifender in der Außenpolitik der EU zu verankern und die nationalen Kulturinstitute stärker in eine europäische Zusammenarbeit zu bringen. In Kinshasa gibt es beispielsweise auch Institute aus Frankreich und Belgien; Italien und Spanien haben über ihre Botschaften ein Kulturprogramm organisiert. Die Konkurrenz belebt das Angebot, ist aber zugleich absurd, da vor Ort alle mit denselben Partnern arbeiten und ihnen zudem erzählen, dass sie besser zusammenarbeiten müssten, um den Kultursektor zu stärken.Was wäre eine Alternative?Wenn die einzelnen Kulturinstitute der EU enger zusammenarbeiten, auch in finanzieller Hinsicht, können Projekte mit mehr Wirkung entstehen. Nach drei Jahren in Brüssel war meine Schlussfolgerung, dass es sinnvoll ist, direkt in einem der Mitgliedsländer europäischer zu wirken. Wir müssen auch intern viel internationaler arbeiten, wir sollten in Sachen Herkunft und Sprachkenntnisse besonders Avantgarde sein. Da sind auch wir noch nicht weit genug.Welche Projekte gehen gerade über Ihren Schreibtisch?Das ifa ist unheimlich reich an klugen, kreativen Antworten darauf, wie wir Menschen über Ländergrenzen hinweg in den Austausch bringen. Die Kunstplattform C& hat zum Beispiel ein globales Netz für Kunst aus Afrika und der Diaspora aufgebaut und feiert nächstes Jahr zehnjähriges Bestehen. Die Zeitenwende bedeutet, dass wir unsere Programme genau prüfen und gegebenenfalls neu ausrichten und bestehende an den entscheidenden Stellen stärken müssen. Das „CrossCulture Programm“ unterstützt und vernetzt engagierte Menschen, die sich für Meinungsfreiheit in Kuba, Klimaschutz in Pakistan und LGBTIQ-Rechte in Ägypten einsetzen. Die „Martin-Roth-Initiative“ organisiert Schutzaufenthalte für gefährdete Künstlerinnen und Künstler in Deutschland oder anderen Ländern.Wir sehen nicht nur in Belarus, Russland oder Afghanistan, dass sich die Spielräume, Kunst zu machen, verengen. Kürzlich haben wir den „ifa-Preis für den Dialog der Kulturen“ an Osman Kavala verliehen, der in der Türkei als Kulturmäzen tätig war und sich zum Beispiel für Teilhabe der kurdischen Bevölkerung eingesetzt hat. Er wurde 2017 ohne Grund verhaftet und sitzt nun im Gefängnis. Kultur hat das Potenzial, bestehende repressive Systeme ins Wanken zu bringen. Dazu können wir einen Beitrag leisten.Placeholder authorbio-1
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