Gleich die Demokratie mit abschaffen

Das eine Prozent Zentralbanker und Ökonomen wollen, dass Scheine und Münzen der Vergangenheit angehören. Das würde ihnen lästige Einmischung von außen ersparen
Ausgabe 22/2015

Robert Brusca hat in seiner Karriere als Ökonom schon so einiges erlebt. Er leitete eine Research-Abteilung der Notenbank in New York und hat Zentralbanken und instiutionelle Kunden in über 30 Ländern beraten. Inzwischen hat er sein eigenes Beratungsinstitut an der Upper West Side Manhattans.

Gerade sieht sich der Wall-Street-Veteran ungeahnten Herausforderungen gegenüber: Es geht dabei weniger um die beiden Katzen, die Bruscas Tochter nach ihrem College-Abschluss bei ihm abgeladen hat. Viel mehr Kopfzerbrechen bereitet ihm, und nicht nur ihm, die neue Normalität negativer Zinsen. Haben die Investoren den Verstand verloren? Brusca lacht. Ja, das sei völlig irrational.

Rund 16 Prozent der Staatsanleihen auf der Welt haben mittlerweile negative Renditen erreicht. Das bedeutet, Investoren zahlen drauf, wenn sie Ländern wie der Schweiz oder Deutschland Geld leihen. Wer der verdrehten Wall-Street-Logik folgt, kann das sogar nachvollziehen: Große Investoren sitzen auf so viel Geld, dass sie, anders als Kleinanleger, keine Einlagensicherungsfonds schützen können. Staatspapiere sind für sie die Alternative zur Matratze.

Negative Zinsen sind kein Betriebsunfall. Sie sind Absicht der Zentralbanken. Nachdem sie die normale Geldpolitik ausgereizt und die Leitzinsen so nahe wie machbar gen null gesenkt hatten, begannen sie Kreditpapiere aufzukaufen. So gelang es, die Zinsschraube weiter nach unten und schließlich unter null zu drehen. Inzwischen ist Europas Zentralbank dieser Politik der monetären Lockerung gefolgt.

Geld zu horten, das soll so unattraktiv wie möglich sein. Das Kapital soll arbeiten. Banken sollen Kredite vergeben, Unternehmen investieren und die Bevölkerung konsumieren. Die Erfolge sind zweifelhaft. Studien ergaben minimale Vorteile bei der Erholung in den USA, die Nebenwirkungen – Spekulationsblasen etwa im Bondbereich – könnten uns die nächste Krise bescheren. Zugleich wurden Zweifel an der lockeren Geldpolitik der Notenbanken laut, heftige politische Diskussionen brachen aus. Dies würden die Notenbanker in Zukunft gerne vermeiden. Wie wäre es, könnten sie die Zinsschraube beliebig drehen, ohne Widerstand aus der Öffentlichkeit oder gar von Volksvertretern?

Eben daher weht der Wind der Debatte um die Abschaffung von Bargeld, wie sie zuletzt auch in Deutschland entbrannt ist (Freitag 21/2015). Bargeld stellt die letzte Barriere für Notenbanker dar. Fordern die Banken zu hohe Strafzinsen, wenn ein Kunde sein Geld bei der Bank parkt, dann kann der die Summe in bar abheben und zu Hause in den Tresor legen. Ohne Bargeld gibt es dieses Druckmittel nicht mehr.

Zentralbanken können dann völlig frei festlegen, wie teuer es wird, Kapital nicht arbeiten zu lassen. An der Wall Street machen bereits Schwergewichte wie der Chefökonom der Citigroup, Willem Buiter, ganz offen mobil: Ein Cash-Verbot habe den Vorteil, „politische Debatten um monetäre Lockerung künftig zu vermeiden“. Heißt: Mit dem umständlichen Kleingeld und den Scheinen werden wir praktischerweise gleich auch diese Last demokratischer Einmischungen los.

Jens Korte lebt in New York und berichtet vor allem aus dem Epizentrum der Finanzwelt

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