Gleichere unter Gleichen

Streit ums Weltgericht Die Einlassungen der EU-Staaten offenbaren ein grundsätzliches Problem - im internationalen Strafrecht hat der Legalitätsgrundsatz keinen Platz

Keinen Monat ist es her, dass die 79 Delegationen von der Vertragstaaten-Konferenz für den Internationalen Ständigen Strafgerichtshof (IStGH) in New York mit einem dicken Bündel von Beschlüssen zufrieden nach Hause reisen konnten, da macht sich unter den Förderern des neuen Tribunals Enttäuschung breit. Schuld sind diesmal nicht in erster Linie die USA, die EU-Staaten sind plötzlich ins Visier der Kritik gerückt: "Feigheit vor den Freunden" konstatierten die Kommentatoren oder "Umfaller".

Die verbalen Angriffe sind angesichts der hochgeschraubten Erwartungen an das neue Gericht mit Sitz in Den Haag, vor dem Kriegsverbrechen und Völkermord verhandelt werden sollen, nicht überraschend. Tatsächlich haben die EU-Staaten mit ihrem Beschluss, der bilaterale Abkommen mit den USA ermöglicht, der Idee eines weltumspannenden Strafrechts, vor dem alle Menschen gleich sein sollen, schweren Schaden zugefügt. Diese Abkommen stellen sicher, dass US-Bürger nicht in Den Haag angeklagt werden können. Tatsächlich wenig bedeutsam sind dabei die als "streng" bezeichneten Bedingungen, die Voraussetzung für die Abkommen sein sollen. Dass die US-Regierung eher ablehnend auf das Entgegenkommen der EU reagiert hat, beschreibt nur, wie kompromisslos ihr eigener Standpunkt ist. So sollen mutmaßliche Kriegsverbrecher und Beschuldigte schwerer Menschenrechtsverletzungen nach dem Willen der EU-Außenminister wenn schon nicht vor den Strafgerichtshof gebracht, so doch wenigstens in den USA vor Gericht gestellt werden: Im Zweifelsfall bewirkt das nichts, das zeigt die Tradition der nationalen Kriegsgerichtsbarkeit in den USA, worin sie sich übrigens nicht von anderen Ländern unterscheidet. Auch dass die so zugesicherte Immunität nur für entsandtes Personal gelten soll, also für Diplomaten oder reguläre Soldaten, nicht aber beispielsweise für Söldner US-amerikanischer Herkunft, bedeutet keine Einschränkung der politisch-militärischen Handlungsmöglichkeiten - und nur darum geht es den USA wirklich.

Der moralisierende Ton der Kommentare zum Beschluss der EU-Außenminister ist aber dennoch unangebracht. Sichtbar wird in dem Beschluss der EU-Politiker nur das grundsätzliche Problem des IStGH, der suggeriert, es gäbe eine verfasste internationale Gemeinschaft, in deren Struktur ein Element der Gewaltenteilung, wie sie ein Strafgericht darstellt, sinnvoll integriert werden könnte. In Wirklichkeit fehlen aber nahezu alle Elemente, die die Umsetzung eines im westlichen Sinn rechtsstaatlichen Strafrechts auf internationaler Ebene ermöglichen: Es gibt keine Öffentlichkeit, die ähnliche Einflussmöglichkeiten auf internationale Akteure hätte, wie sie das im nationalen Bereich ansatzweise hat; es existiert kein Gewaltmonopol, um einen Strafanspruch durchsetzen zu können. Und ob die Vertragsstaatenkonferenz als legitime Gesetzgeberin angesehen werden kann, erscheint zumindest fragwürdig.

Die Folgen dieser Defizite für das Strafrecht auf internationaler Ebene zeigen sich gegenwärtig: Es ist ein Recht, in dem Gleichbehandlung und Legalitätsgrundsatz keinen Platz haben und in dem besondere Eigenschaften der Personen, vor allem ihre Staatsangehörigkeit, eine jeweils besondere Anwendung des Rechts zur Folge haben. Der Internationale Ständige Strafgerichtshof, der eingerichtet wird, um schwerste Menschenrechtsverletzungen nicht ungesühnt zu lassen, droht damit zu einem Instrument zu werden, das ähnlich wie ein Schlachtermesser in der Hand eines Chirurgen nur selten eine Chance lässt, durch einen, zumeist dann wohl auch recht groben Eingriff, erfolgreich zu operieren.

Der Punktsieg der USA im Streit um das neue Strafgericht bestätigt zudem, dass auch den Ministern der Europäischen Union - allen hehren Erklärungen zum Trotz - der IStGH in erster Linie Mittel zum Zweck und damit auch politische Verhandlungsmasse ist, über die bei Gelegenheit verfügt werden kann und muss. Es besteht also kein Anlass zur Empörung. Stattdessen werden sich die Unterstützer des Internationalen Strafgerichtshofs aus dem Lager der NGOs überlegen müssen, welchen politischen Preis sie zu zahlen bereit sind, um ihren Traum weiter hegen zu können, dass den Menschenrechten vor einem internationalen Gericht Geltung verschafft wird.

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