Glück" als Thema in Zeiten von Arbeitslosigkeit, Hartz IV, Pleiten und allgemeiner Krisenstimmung, weil alle Perspektiven auf Anderes sich von vornherein als Lügen entlarven - ist das nicht eine Provokation? Jawohl! Es ist eine Provokation, an der wir festhalten sollten, denn die Frage nach dem Glück birgt ein radikales, auch politisches Potenzial in sich. Man muss nur weiter fragen und über die diffus-verschwommenen Vorstellungen des Glücks als rosarote Lollypop-Momente in unserem Leben hinauskommen, obwohl auch diese unbedingt dazu gehören und eine unglaubliche Kraft entfalten können.
Die Erfahrung des Glücks macht nicht dumm, sondern schlau! Und die Frage, was denn Glück überhaupt sein kann, lenkt nicht ab von den harten Themen des "wirkl
des "wirklichen" Lebens, sondern führt unbeirrt von allen angeblich unabänderlichen Fakten und Sachzwängen zu einem Fundamentalproblem: Nämlich zur Frage, wie wir eigentlich leben wollen und was wir uns unter einem erfüllten Leben vorstellen.Die Frage nach Sinn und Zweck des je eigenen Lebens überhaupt wird bekanntlich sehr verschieden beantwortet. Dabei spielen neben dem jeweiligen sozialen und kulturellen Hintergrund auch individuelle Präferenzen und Geschlechterdifferenzen eine entscheidende Rolle. Immer wieder aber taucht in diesem Kontext der Begriff des Glücks als Synonym für ein gelungenes und erfülltes Leben auf. Was aber ist Glück? Welche Formen und Anlässe des Glücks gibt es? Woran misst sich das Glücklichsein in der modernen Welt?Die neuere psychologische und sozialwissenschaftliche Glücksforschung hat diese Fragen hauptsächlich mit empirischen Befragungen und Statistiken zu beantworten versucht. Fast immer aber hinterlassen solche statistischen Glückserfassungsversuche ein Gefühl der Ratlosigkeit. Für eine weiter reichende inhaltliche Auslotung des Glücks lohnt sich so ein philosophisch-ideengeschichtlicher Blick.Von Aristoteles zum "flow" Die Philosophie hat sich seit ihren Anfängen in der griechischen Antike mit der Frage nach dem Glück beschäftigt. Dabei wurden im zentralen Begriff des guten Lebens die Dimension des moralisch Guten und des Glücks noch als eng miteinander verbunden gedacht. Das Glück der Einzelnen sollte sein Maß und seine Grenze finden in einer vernünftigen und kosmologisch gestützten gesellschaftlichen Ordnung. Für Aristoteles zum Beispiel bedeutete das Genießen von Lüsten und Zerstreuungen durchaus ein Glück, aber auch das gemeinsam gestaltete Leben in der Polis-Gemeinschaft und das freie, keinen unmittelbaren Zwecken unterworfene Denken in der Philosophie. Vor allem letzteres, nämlich die "selbstzweckhaften Tätigkeiten", also Handlungen, die ihr Ziel und Glück in sich selbst finden, wurden von ihm als zentral für ein gutes Leben ausgezeichnet. Handwerkliche Tätigkeiten (ein Tuch weben, ein Haus bauen usw.), "Poesis", sind für ihn ein "Herstellen" von etwas und zielen auf ein fertiges Produkt. Dagegen setzt er eben jene "selbstzweckhaften Tätigkeiten", "Praxis", die kein Werk produzieren, sondern ihren Sinn und ihr Glück im Vollzug selbst haben.In der heutigen Glücksforschung kennt man ein intrinsisches Glücksgefühl beim Handeln, ein Gefühl des völligen Aufgehens im Handlungsvollzug, ohne dabei weiter an den Zweck oder die Verwertung zu denken. Die Glücksforschung spricht hier vom berühmten "flow". Im Gegensatz zur antiken Konzeption meint man dies aber bei jeder Tätigkeit beobachten zu können, sofern die Leute in ihrem Tun ganz "aufgehen".Insgesamt kann für Aristoteles ein gutes und glückliches Leben nur in der möglichst weit gehenden Verwirklichung der eigenen Anlagen und Möglichkeiten bestehen. Im Unterschied zur Moderne denkt er aber diese "Selbstverwirklichung" immer gebunden an die überindividuelle menschliche Natur, und damit zugleich eingebunden in die vernünftige Ordnung der Polis und des Kosmos.Die Stoa will Seelenruhe Andere antike Vorstellungen des Glücks werden von den Epikuräern und der Stoa, den beiden großen Schulen der hellenistischen Philosophie vertreten. Hier steht - nicht zuletzt wegen der historisch erfahrenen politischen Ohnmacht - der Rückzug auf sich selbst im Zentrum des guten und glücklichen Lebens. Die Epikuräer empfehlen ein bescheidenes, ausgeglichenes und möglichst unabhängiges Leben, das Leiden und Unlust durch eine Begrenzung der Bedürfnisse minimiert. Die Stoa radikalisiert diese Empfehlungen dahingehend, dass eine totale Kontrolle der Affekte und Emotionen und eine möglichst vollständige Unabhängigkeit von allen inneren und äußeren Bedingungen angestrebt wird. Nur wer angesichts schwerster Leiden noch unberührt bleibt, hat die gesuchte Seelenruhe ("ataraxia", "apatheia") erreicht und damit die Erfahrung des wahren Glücks verwirklicht.Die Antike kennt also ganz verschiedene Haltungen gegenüber dem Leben und dem möglichen Glück. Dem Vertrauen auf die Fähigkeiten des Menschen, sein Leben - und damit auch sein Glück - aktiv zu gestalten, steht an manch anderer antiker Stelle ein tiefer Pessimismus entgegen, der am "Guten" des Lebens prinzipiell zweifelt. So erzählt Herodot von der lakonischen Antwort eines Weisen auf die Frage nach dem größten Glück: "Das Beste ist, nicht geboren zu sein. Das Zweitbeste ist, bald zu sterben." Allerdings ist für die meisten griechischen Denker ein solcher Pessimismus fast blasphemisch, weil er die "schöne Ordnung" des Kosmos nicht achte. Insgesamt verbinden die antiken Auffassungen vom guten Leben die Dimensionen des "gewollten Glücks" und des "gesollten" moralisch Guten zu einer Einheit.Individualisierung und ihr PreisDie Philosophie Kants markiert dagegen Ende des 18. Jahrhunderts den Übergang zu einer "Sollensethik", die das moralisch Gute strikt von der Suche nach dem Lebensglück trennt. Dies wurde für die moderne Philosophie prägend: Während das moralisch Gute an universalistischen Kriterien gemessen wurde, hat man zugleich das Glück mehr und mehr individualisiert. Damit gehen zwei wichtige Verschiebungen im Glücksbegriff einher: Erstens wird das Glück immer häufiger als Glücksgefühl, also als psychologischer Zustand aufgefasst.Zweitens gibt das vor allem in der Romantik formulierte und durch die künstlerische Bohème und die Alternativbewegungen des 20. Jahrhunderts weit verbreitete Konzept der Selbstverwirklichung der modernen Glückssuche eine ganz neue Richtung und Sprache. In den älteren Vorstellungen einer Selbstfindung wie in den neueren einer Selbsterfindung beziehungsweise Selbstproduktion wird dabei das Glück radikal an die individuelle Freiheit zur Gestaltung des eigenen Lebens geknüpft. Authentizität, Originalität, Kreativität und unverwechselbare Einzigartigkeit der Person sind hierzu die Stichworte. Gerade die postmodernen, an Foucault orientierten Konzepte einer "Ästhetik der Existenz" lassen sich nur aus dem Kontext der gesellschaftlichen Individualisierungsprozesse verstehen.Heute stehen uns weit mehr Alternativen und Handlungsspielräume offen als früher: Nicht nur in bestimmten Lebensabschnitten oder Lebenskrisen, sondern ganz alltäglich stehen wir vor Entscheidungen im beruflichen und privaten Bereich, die häufig irreversible Folgen haben und eine Wahl zwischen ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen beinhalten können. Seit religiöse und andere Traditionen an Verbindlichkeit verloren haben, gibt es mehr denn je Möglichkeiten und Freiräume zur Gestaltung des eigenen Lebens, damit einhergehend entstanden aber auch mehr Orientierungsprobleme.Der ökonomische und kulturelle Wandel führte zu einer zunehmenden Individualisierung, die als Chance, aber auch als Zwang erfahren wird. Trotz der erweiterten Möglichkeiten der Realisierung des je eigenen Lebensprojekts können diese ja nur unter bestimmten Voraussetzungen auch produktiv genutzt werden. Die ökonomische und gesellschaftliche Abhängigkeit der Menschen von Prozessen, die sie nicht kontrollieren können, bleibt ja bestehen, und die Verteilungskämpfe gewinnen an Schärfe. Sobald aber Erfolg oder Scheitern weitgehend als Folge eigener Entscheidungen gelten, werden die ökonomischen Zwänge als noch bedrückender erlebt. Was von den einen als neue Möglichkeiten und Freiheitsräume bejaht wird, wird für andere zum Zwang zu immer neuen Entscheidungen und zur Eigenverantwortung, die zur Überforderung zu werden droht.Die aktive Gestaltung eines glücklich gelingenden Lebens droht von einer Daueraufgabe zum Dauerstress zu werden. Ihr Gelingen oder Misslingen ist stark von der Entfaltung der eigenen Fähigkeiten, dem Markt-Bedarf nach entsprechenden Leistungen und Produkten, sowie der allseitigen Nutzung sich bietender Lebens- und Aufstiegschancen in einer flexibilisierten und globalisierten Arbeits- und Lebenswelt abhängig. Deswegen gewinnt die erfolgreiche Selbstvermarktung heute immer mehr an Bedeutung in fast allen Bereichen - vom Arbeits- bis zum Beziehungsmarkt.Obwohl die Bedingungen für die Realisierung eines guten und erfüllten Lebens gegenwärtig für die meisten Menschen nicht besonders günstig scheinen und die Ressourcen dafür vielfach knapper werden, ist dennoch allein die Insistenz auf ein gelingendes und produktives Selbst- und Weltverhältnis ein Protest gegenüber einem Leben als bloß "gutes Marketing"!Enttäuschung bleibt nicht ausDer Blick in die Antike wie in einen fernen Spiegel zeigt, dass die Frage nach dem Glück sich ähnlich stellt, die Antworten in der Moderne aber ganz anders ausfallen. In der individualisierten Gesellschaft unserer Gegenwart hat der alte Spruch "Jeder ist seines Glückes Schmied" verstärkt an Bedeutung gewonnen - und ist so wahr und falsch wie eh und je. Nach diesem Verständnis bedeutet Glück, dass ich völlig autonom über alle Aspekte meines Lebens verfügen kann, was eine Täuschung ist, wie wir wissen.Man könnte dagegen natürlich auch die ketzerische Frage stellen, ob dies überhaupt wünschenswert ist: Gibt es nicht auch ein Glück des Unverfügbaren? Ein Glück unreflektiert und habituell gelebter Selbstverständlichkeiten? Ein Glück der Eingebundenheit in Gemeinschaften und ihrer Vorentschiedenheit, die vom überfordernden Zwang ständiger Entscheidung und Verantwortung befreit?So lautete übrigens überwiegend die Argumentation westeuropäischer Frauen auf einer international besetzten Podiumsdiskussion bei der Feminale 2004, und es war eine nicht-europäische Frau, die diesen angesichts der sich zuspitzenden Lebensbedingungen zwar verständlichen, aber nostalgisch-romantisierenden Blick in die angeblich heile Vormoderne korrigierte. Sie verwies nämlich zu Recht entschieden darauf, dass das beschworene "Glück der Gemeinschaft" entgegen moderner individueller Selbstverwirklichung unausgesprochen selbstverständlich einen sehr modernen Begriff von Gemeinschaft meine: Eine Gemeinschaft nämlich, der man frei beitreten, die man aber jederzeit auch wieder frei verlassen könne.Mit Glücksvorstellungen sind offenbar auch immer schon Zwänge verbunden. Glücksbilder sind immer auch Kippbilder, die auf ihre eigene Ambivalenz und auf das in ihnen immer schon angelegte Potenzial einer notwendigen Enttäuschung verweisen. Andererseits birgt die trotzige Forderung nach Glück und einem selbstbestimmten Leben immer noch ein subversives Potenzial. An diese Dimension des Eigensinns sollte gerade auch in Zeiten der ökonomischen Krise erinnert werden.Undine Eberlein ist Philosophin in Berlin. Demnächst erscheint von ihr und der Fotografin Karen Seggelke ein Bild/Text-Band Vom Eigensinn der Schönheit - Schönheit in Bewegung.Literatur zum Thema: Susan Neiman/Matthias Kross (Hg.): Zum Glück, Akademie Verlag, Berlin 2004
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