Glühen und Neugier

Basis Warum ich in die Partei eingetreten bin: Stimmen von (Neu-)Sozialdemokraten
Ausgabe 04/2018

Timon Karl Kaleyta, 37, ist Autor, Sänger der Elektropop-Band Susanne
Blech und seit einem Jahr SPD-Mitglied

Die Führung der SPD wäre gut beraten, jemanden wie mich als abschreckendes Beispiel in ihre Wahlanalysen zu integrieren.Wenn auch nur jeder zweite ihrer verbliebenen Wähler derart naiv, impulsiv und grobschlächtig an diese „Sozialdemokratie“ herangeht, dann gute Nacht. Januar 2017: binnen kürzester Zeit mit kochendem Blut und Parteieintritt entflammt durch ein paar halbgare Parolen zum Stand der Gesellschaft, wenige Wochen und Umfragen später zum blanken Zynismus konvertiert, in der Folge mit noch viel heißer siedendem Blut nun das tatsächlich endgültige Ende der SPD prognostizierend. Nein, mit Leuten wie mir ist wahrlich kein Klassenkampf zu gewinnen. Anders als genügsame Union-Wähler oder hoffnungslose Linke entsprechen SPDler dem Typus des verbitterten, abgewiesenen Liebenden: Einst hätte er Berge versetzt für die Frau seiner Begierde, nun vermutet er hinter dem kleinsten Atmer rücksichtslosen Verrat und zahlt es ihr mit neurotischer Verachtung zurück. Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Leute wie ich sind meist zu faul, ihr Parteibuch wieder zurückzuschicken.

Yves Heuser, 25, Jura-Student aus Freiburg, ist seit dem Jahr 2013 Mitglied der SPD

Eine Große Koalition ist nicht pauschal mit der SPD gleichzusetzen. Ich finde es, ehrlich gesagt, affig, wenn jetzt Mitglieder wegen ihr mit dem Austritt drohen. Die Abgeordneten haben verfassungsrechtlich verbriefte Rechte, weswegen Regierung und Partei zwei zu unterscheidende Dinge sind. Und die SPD existiert ja nicht nur auf Bundesebene, sondern regional und lokal in tausendfacher Ausführung. Das Eintreten in eine Partei geht nicht mit der Abgabe der Meinung an der Tür gleich dem Abgeben einer Jacke an der Garderobe einher. Wenn man einst wegen einer Grundhaltung in eine Partei eingetreten ist, dann sollte man diese verteidigen und sich auch weiterhin in der Partei dafür einsetzen, dass diese sich nicht ändert.

Daniel Maslowski*, 35, aus Duisburg, arbeitet als Psychotherapeut in Berlin und hat seine Mitgliedscha beantragt

Jedes Kind aus dem Duisburger Norden kennt das rote Glühen des Abendhimmels nach dem Abstich im Stahlwerk. Irgendwie war dieses Glühen für mich auch immer mit einem Gefühl von Stolz – und, ja, mit der SPD – verbunden. Ich bin mir nicht sicher, wann ich die SPD das letzte Mal gewählt habe – es ist lange her. Im Wahlkampf 2017 habe ich zwei Monate lang das Facebook-Profil von Martin Schulz geliked; er schien etwas zu haben, was dieser Partei in der Großen Koalition fehlte – eben ein Glühen, das Neugier weckt, eine Idee für die Zukunft, eine Wiederbelebung der linken Herzkammer. Bald ließen sein Schlingern und der Wankelmut der SPD davon nicht viel übrig. Dass man eine sozialdemokratische Linke mit der richtigen Haltung wiederbeleben kann, haben Jeremy Corbyn und viele Labour-Neumitglieder gezeigt. Also trete ich jetzt der SPD bei – 10 Euro pro zwei Monate, das ist neben 62 Euro Jahresbeitrag beim BVB drin. Ich will nicht nur die GroKo verhindern, ich will mit die linke Herzkammer defibrillieren.*Name geändert

Lisa Meyer, 24, lebt in Hamburg und studiert Medienwissenscha en. Sie trat der SPD Anfang 2017 bei

Hierzulande war Martin Schulz noch unverbraucht, und deshalb schien er gerade in diesen europakritischen Zeiten endlich für frischen Wind zu sorgen. In die SPD eingetreten bin ich jedoch nicht primär seinetwegen, sondern aufgrund der Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt. Die wollte ich nicht mehr passiv hinnehmen. Das Bild des staatsmännischen Martin Schulz bröckelte bei seinem würdelosen Auftritt nach der Wahl, bei dem er unbedacht in alle Richtungen austeilte. Seitdem basieren die Beschlüsse der SPD allein auf dem Bestreben, Neuwahlen zu verhindern und damit der eigenen Marginalisierung entgegenzuwirken. Das Ergebnis sind realpolitisch-pragmatische Entscheidungen, innerparteiliche Zerrissenheit und ein Sondierungspapier mit der Union, in dem ich die SPD, wie ich sie mir wünsche, nicht wiederfinde.

Michael Haal, 37, lebt in Rösrath (NRW), arbeitet im Bereich Jugendhilfe und hat soeben die SPD-Mitgliedscha beantragt

Ich habe 1998 als Erstwähler die SPD gewählt, voller Stolz, endlich mitentscheiden zu dürfen. Und tatsächlich ist es gelungen, Helmut Kohl abzuwählen. Ich war wirklich und aufrichtig stolz. Was dann alles kam, war eine so unfassbare Enttäuschung, so viel soziale Kälte, Neoliberalismus und Zynismus gegenüber den Armen. Ich verlor meine gerade erst gefundene politische Heimat, verfolgte 20 Jahre lang passiv das Geschehen. Bewunderte Piraten, hoffte auf die Linke und ihre sozialen Ansätze. Und betrauerte den fast kompletten Identitätsverlust der SPD. Bis ich kaum noch einen Unterschied zwischen CDU und SPD finden konnte. Vergangen Sonntag dann erwischte ich mich dabei, einen kompletten SPD-Parteitag im Livestream zu verfolgen. Ich fieberte mit, ärgerte mich und zum Schluss blieb ein schales Gefühl. In mir reifte der Entschluss, mir das nicht mehr gefallen zu lassen, nicht mehr passiv zusehen zu müssen. Ich werde jetzt endlich Mitglied der SPD.

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