Gnade? Gnade!

Kommentar Wie lange soll das "Lebenslänglich" für Mohnhaupt und Klar noch dauern?

Da sitzen die als Mitglieder der RAF zu lebenslanger Haft verurteilten Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar nun schon 24 Jahre im Gefängnis. Sie sind darüber 57 und 54 Jahre alt geworden, haben also das Alter von Frühpensionären erreicht, ja überschritten - und wären auf dem Arbeitsmarkt schon längst nicht mehr vermittelbar. Vor fast einem Jahr, im Februar 2006, hatte es das Oberlandesgericht Stuttgart abgelehnt, die Reststrafe der Brigitte Mohnhaupt zur Bewährung auszusetzen. Es hat die Mindestzeit der Verbüßung - normalerweise 15 Jahre - wegen der "besonderen Schwere der Schuld" auf 24 Jahre festgesetzt. Bei Christian Klar sind es 26 Jahre. Beide waren - unter anderem - wegen des Mordes an Generalbundesanwalt Buback, an dem Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank, Jürgen Ponto und an dem Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer verurteilt worden. Jetzt aber hat die Bundesanwaltschaft beantragt, Brigitte Mohnhaupt freizulassen - sie lehne Gewalt nunmehr ab.

Der Antrag in Stuttgart und das bei Bundespräsident Köhler liegende Gnadengesuch von Klar haben hitzige Debatten ausgelöst: Der bayerische Ministerpräsident Stoiber ist selbstverständlich gegen die Freilassung der beiden Häftlinge; sie hätten keine Reue und kein Bedauern über ihre Taten gezeigt und müssten sich zum Rechtsstaat bekennen. Die Sozialdemokraten Beck und Thierse, gleichfalls der frühere FDP-Bundesinnenminister Baum, sind für Haftentlassung, während der Sohn Buback auch erst über "Bekenntnis und Reue reden" möchte.

Ganz selten wird die Frage gestellt, ob es einen einzigen Nazi gegeben hat, der auf Grund eines deutschen Urteils so lange wie die RAF-Täter hat sitzen müssen - man hat sie nach wenigen Jahren wieder laufen lassen, wenn sie denn überhaupt angeklagt und verurteilt worden waren. Und niemand hat sie gefragt, ob sie ihre Tat bedauern oder bereuen. Natürlich kann man dem entgegenhalten, es sei unzulässig, die Versäumnisse der Vergangenheit zugunsten noch aktueller RAF-Fälle ins Feld zu führen. Die Nazis haben zwar gemordet und alles kurz und klein geschlagen, aber sie haben die - westdeutsche - Gesellschaft nie in so existenzielle Unruhe, ja Hysterie, versetzt wie die Studentenrevolte und die Versuche, die westdeutsche Restaurationsgesellschaft zu verändern. Hinzu kamen noch die mit dem angeblichen "Machtwechsel" durch die Regierung Brandt 1969 verbundenen Anstrengungen. Tief drinnen mag bei der westdeutschen Mehrheit mitgeschwungen haben, die Nazitäter hätten ja nur Befehle befolgt, ihre "Pflicht erfüllt". Und: wir seien als traditionelle Antikommunisten doch auf der richtigen Seite gewesen. Die Spirale drehte sich seinerzeit - die Pogromhetze wurde immer stärker, je lauter die APO war; dann schoss noch einer den Rudi Dutschke über den Haufen. Die RAF - verzweifelt über die Unfähigkeit der Gesellschaft, sich überhaupt oder rasch genug zu verändern - fing dann auch noch mit dem Schießen an, wodurch die Forderungen nach drakonischen Strafen und der Einschränkung unserer Freiheit zugunsten der Sicherheit immer lauter wurden.

Vielleicht ist die Frage, wie die Westdeutschen mit den Nazis umgegangen sind, doch erlaubt, wenn es darum geht, ob man zwei hoch verurteilte RAF-Mitglieder nach 24 Jahren laufen lassen kann, ohne unsere Gesellschaft in Gefahr zu bringen. 26 RAF-Täter waren zu "lebenslänglich" verurteilt worden - drei haben sich in Stammheim selber umgebracht: Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Jan-Carl Raspe. 19 Lebenslängliche sind auf freiem Fuß - kein einziger von ihnen ist inzwischen wieder straffällig geworden. Das Oberlandesgericht Stuttgart wird kaum darum herumkommen, Brigitte Mohnhaupt freizulassen: Sie hat ihre 24 Jahre abgesessen. Und wer immer noch nicht weiß, wovon die Rede ist, sollte sich das Interview von Günter Gaus in seiner Reihe Zur Person aus dem Jahr 2001 anschauen. Schon vor über fünf Jahren war Klar nach der langen Haftzeit zerbrochen und kaum noch imstande zu sprechen, ein erschütterndes Dokument. Damals hat sich Gaus des Gnadengesuches von Klar angenommen und den Bundespräsidenten Rau bedrängt, ihn laufen zu lassen. Im Mai 2004, nach der Trauerfeier für Günter Gaus darauf angesprochen, sagte Rau nur kurz, das sei alles außerordentlich schwierig. Damit war offenkundig, dass er sich für Klar nicht einsetzen wolle. Und wie wird CDU-Präsident Köhler entscheiden?

Heinrich Senfft ist Buchautor und Jurist, war früher u. a. Anwalt der Zeit und des Spiegel.


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden