Freitag: Braucht die PDS ein neues Grundsatzprogramm?
Sahra Wagenknecht: Die Entscheidung dafür ist auf dem letzten Parteitag gefallen und wurde damit begründet, dass eine Reihe von neuen Entwicklungen sich seit 1993 zugetragen hätten. Dem ist eigentlich nicht zu widersprechen. Ich denke schon, dass die PDS sehr genau zum Beispiel die veränderten internationalen Konstellationen seit dem Jugoslawien-Krieg analysieren sollte, die Erfahrungen von zwei Jahren rot-grüner Bundesregierung aber auch ihre eigenen Erfahrungen als Mitregierende in Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern. Das Problem, das ich sehe: die bisherige Diskussion hat mit dem Mehrheitsentwurf eine ganz andere Richtung genommen.
Nämlich?
Nämlich in Richtung einer In-Fragestellung essenzieller programmatischer Positionen, die die PDS in ihrem bestehenden Programm formuliert hat. Knackpunkt ist beispielsweise die Frage der Systemalternative, des Antikapitalismus. Mit der Moderne-Konzeption werden wieder Positionen auf den Tisch gelegt, die alle schon mal in der alten Programmdiskussion zur Debatte gestanden hatten und nach massivem Widerspruch der Basis zurückgezogen werden mussten. Jetzt versucht man es wieder. Gleiches bei der Einschätzung des vergangenen Sozialismus: Das differenzierte Bild im gültigen Programm wird durch ein einseitig negatives ersetzt. Oder die Frage der Uno-Kampfeinsätze: die bisherige klare und eindeutige Anti-Kriegshaltung der PDS soll durch eine diffuse Einzelfallprüfung aufgeweicht werden. Damit hat Fischers Karriere zum Kriegsminister auch angefangen. Alle Punkte haben nichts damit zu tun, dass man neue Entwicklungen analysiert. Eher lässt sich vermuten, dass hier Vorleistungen für mögliche Regierungsfähigkeit im Bund erbracht werden sollen.
Kritische Beobachter vergleichen die aktuelle Debatte innerhalb der PDS immer wieder mit dem Weg zum Godesberger Programm der SPD. Wie weit hält dieser Vergleich?
Gegen den "Moderne"-Schwulst des Mehrheitsentwurfes war Godesberg fast fortschrittlich. Aber der Vergleich ist nicht aus der Luft gegriffen: Das Godesberger Programm wurde von Wehner und anderen durchgedrückt, um die SPD regierungsfähig zu machen und um zu demonstrieren, wir sind eine Partei, die sich in dieser Gesellschaft einrichtet und die keine grundsätzlichen Alternativen mehr verfolgt. Wenn ein neues Programm der PDS auf Grundlage des Mehrheitsentwurfes beschlossen würde, dann wäre das genau dieses Signal. Ich habe aber nach dem bisherigen Verlauf der Debatte Hoffnung, dass das nicht geschieht. Es gibt sehr viel Kritik an dem Mehrheitsentwurf. Programmatische Anbiederung ist in der PDS nicht mehrheitsfähig und wird es hoffentlich nie werden.
Das Godesberger Programm ist mehr als 40 Jahre alt. Kann man denn heute noch sagen, dass ein Grundsatzprogramm eine solche Ausstrahlung in die Gesellschaft haben kann wie damals?
Die Einführung des Sozialismus ist sicher keine tagespolitische Frage. Man könnte deshalb meinen, dass die ganze Programmdebatte die Tagespolitik kaum tangiert. Dem ist aber nicht so. Es geht um die Stellung der PDS zu einer sozialistischen Gesellschaft. Wer keine Ziele und Visionen mehr hat, der passt sich auch in der Gegenwart an. Dafür gibt es genügend Beispiele. Außerdem ist die Debatte längst tagespolitisch geworden, etwa in der Frage der UNO-Einsätze. Verlieren wir die realen Machtverhältnisse dieser Welt aus dem Blick und fangen auch an, über die mögliche Humanität von Kriegs- und Militäreinsätzen zu debattieren? Oder bleiben wir uns bewusst, welche Interessen auch im UN-Sicherheitsrat dominieren? Immerhin sitzen da die Rüstungsexportweltmeister dieser Erde.
Die PDS ist inzwischen ein sehr großes und heterogenes Sammelbecken geworden. Haben Sie den Eindruck, der Vorstand will die Partei auf Linie bringen?
Bisher hat nur Gregor Gysi offen zugegeben, dass er die Programmdebatte nutzen will, um - wie er sagt - einen Trennstrich zu ziehen. Der Leitantrag des Vorstandes an den Parteitag ist ausdrücklich anders formuliert. Hier wird betont, dass es nicht darum gehen darf, Pluralität in der PDS einzuschränken. Ich finde es etwas seltsam, dass zeitgleich zum Vorschlag des Vorstands, die programmatische Debatte zu verlängern, Gysi mit Positionen in die Öffentlichkeit tritt, die den Eindruck vermitteln, dass für ihn das neue Programm bereits feststeht. Das zeugt nicht gerade von Respekt vor der Diskussion und der Meinung der Basis.
Jetzt hat es im Sog der CDU-Finanzaffäre bei den Grünen hinsichtlich Amt und Mandat eine Wendung in der Grundsatzdebatte gegeben. Die Diskussion der PDS scheint von der Affäre eher unberührt. Woran liegt das?
Die PDS hat sicher noch kein Problem mit üppigen Wirtschaftsspenden. Doch das Problem, das hinter der Spendenaffäre steckt, tangiert uns auch. Es geht um zunehmende Integration in die Institutionen des betreffenden Systems, Zerriebenwerden in den Mühlen des politischen Alltags, so dass der Blick für Alternativen verloren geht. In PDS-Positionen zur so genannten Haushaltskonsolidierung merkt man das schon ganz deutlich. Auch die offiziellen Äußerungen zu der Spendengeschichte waren ja eher peinlich.
Sehen Sie das schlechte Wahlergebnis der PDS in Schleswig-Holstein auch als Folge dieser fehlenden Profilierung?
Es gibt sicher viele Ursachen. Ich habe nie geglaubt, dass der PDS ein kometenhafter Aufstieg im Westen gelingt. Die Vorurteile sind zu groß. Aber Chancen auf bessere Ergebnisse hat sie schon. Eine Aufweichung unserer Antikriegshaltung ist allerdings kaum das geeignete Mittel, enttäuschte Wähler im Westen zu erreichen. Und wenn ein Landesminister Holter untertariflicher Bezahlung im öffentlichen Sektor das Wort redet, dürfte das auch keinen von der SPD verdrossenen Gewerkschafter begeistern.
Was müsste passieren, um in NRW besser abzuschneiden?
Es geht darum - das ist auch im nordrhein-westfälischen Landeswahlprogramm deutlich formuliert -, dass man die soziale Frage in den Mittelpunkt stellt. Aber gerade, wenn man das tut, muss man auch die Frage der Wirtschaftsordnung mit thematisieren. Nicht als kurzfristige Zielstellung, sondern einfach als Wurzel der Probleme. Man kann über Arbeitslosigkeit nicht reden, ohne über Kapitalismus zu sprechen. Ich würde mir natürlich wünschen, dass grundsätzliche Alternativen auch in der Bundespolitik stärker thematisiert würden, weil wir nur dadurch in die Offensive kommen.
Werden Sie selbst im Wahlkampf in NRW auftreten?
Ja. Mir ist das auch sehr wichtig, weil ich es für wesentlich halte, dass die PDS im Westen eine stärkere Position gewinnt. Die Voraussetzungen sind in NRW auch etwas besser, weil wir dort schon in verschiedenen Kommunalparlamenten vertreten sind. Die kommunalen Ergebnisse, die die PDS im Herbst hatte, waren sehr ermutigend.
Das Gespräch führte Jörn Kabisch
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