Gorillataktik

Ideologie Im Internet wächst die Gemeinde der neuen Maskulinisten. Deren Gedankengut hat schon Leben gekostet
Ausgabe 24/2018

Keine Frau will mit Raphaël schlafen. „Die Sexualität ist ein System der sozialen Hierarchie“, schreibt Michel Houellebecq in seinem Roman Ausweitung der Kampfzone, und der junge Kollege seines Protagonisten steht in dieser Hierarchie ganz unten. Raphaël konkurriert im Wettbewerb des freien Sexualmarktes – und verliert.

Der Roman erschien 1994. Heute wäre Raphaël vielleicht ein „Incel“. So nennt sich eine maskulinistische Szene „unfreiwillig zölibatär“, also ohne Sex lebender Männer in den USA und Kanada. Wie Houellebecqs namenloser Protagonist gehen sie davon aus, dass der Feminismus an der Liberalisierung des Begehrens schuld ist, an der Ausweitung des freien Marktes auf den Bereich der Sexualität, der Gewinner und Verlierer schafft. Die „Incels“ sind letzere. Auch Alek Minassian, der im April in Toronto zehn Menschen mit einem Lieferwagen überfuhr, zählt sich zu dieser Szene. Ihre Ideen lesen sich diese Männer jedoch nicht bei französischen Skandalautoren an, sondern entnehmen sie den zahlreichen antifeministischen Blogs, Foren und Webseiten der sogenannten „Manosphere“ im Netz. Hier formiert sich seit einer Weile eine neue Riege reaktionärer Maskulinisten, die mit einer Mischung aus Selbsthilfe und Antifeminismus vor allem junge Männer adressieren. Ihr Weltbild ist jedoch keineswegs neu, sondern das Ergebnis einer langjährigen Entwicklung antifeministischer Männerbewegungen.

Lebewohl, John Wayne

Die ersten politischen Männergruppen bildeten sich bereits Ende der 60er Jahre. Als die Kämpfe des Feminismus die gesellschaftliche Stellung der Frau kritisierten, konnten auch Männer sich nicht taub stellen. Traditionelle Männerbilder wurden, anfangs noch mit profeministischer Haltung, in Frage gestellt. In Männergruppen und mithilfe therapeutischer Angebote wollte man sich vom Bild des grimmigen Einzelgängers à la John Wayne verabschieden. Schnell wurde jedoch nicht mehr über feministische Kritik an männlichen Verhaltensweisen oder über den Zusammenhang von Männlichkeit und Gewalt diskutiert, sondern darüber, wie sich Männer selbst unterdrückt oder eingeengt fühlten: in ihren Beziehungen zu anderen Männern, ihrem Verhältnis zu Frauen, zu ihren Kindern oder zur Vaterschaft. Dass diese Enge das Resultat einer patriarchalen Gesellschaftsordnung war, die auch Männer betraf, geriet zusehends in Vergessenheit – wie schließlich auch die ersten Männergruppen selbst.

In den 90er Jahren setzte eine neue Männerbewegung ein. Männer diskutierten über eine empfundene Identitätskrise, deren Ursprung sie in der Vernachlässigung „spiritueller Männerenergie“ sahen. Der US-amerikanische Poet Robert Bly etwa entwarf in seinen Werken eine vormoderne Fiktion ursprünglicher Männlichkeit. In seinem 1990 erschienenen Buch Eisenhans zählt er männliche Initiationsriten, Verbundenheit mit der Natur, und das Spiel mit der Gefahr zu den Eckpfeilern eines Mythos des „wilden Mannes“.

Während die „mythopoetische“ Männerbewegung um Bly die Mythologie in Stellung brachten, widmeten sich Maskulinisten zur gleichen Zeit der Politik. „Und wer befreit die Männer?“, fragte Felix Stern 1991, und monierte, der Mann sei „Frauenknecht“ im „Mütter-Patriarchat“. Für Paul Elam, Galionsfigur des US-amerikanischen Männeraktivismus, war der Feminismus gar „die dominante Ideologie auf diesem Planeten“ geworden. Diese Männer machten den Feminismus, der die Auseinandersetzung mit Geschlechterbildern erst ins Rollen gebracht hatte, verantwortlich für ihre Unzufriedenheit mit der Männerrolle. Gegen die Macht der Frauen sollte eine männliche Vorherrschaft errichtet werden, um die ins Wanken geratene Selbstverständlichkeit der patriarchalen Ordnung wiederherzustellen. Für viele Maskulinisten war traditionelle Männlichkeit nicht mehr die Ursache ihrer Probleme, sondern deren Lösung.

Diese Ansichten beeinflussen auch viele der heutigen Selbsthilfe-Gurus in der US-amerikanischen „Manosphere“. Neu ist, dass ihre Ideen auf Internetforen, auf anonymen Imageboards wie 4chan.org, oder auf unzähligen Youtube-Kanälen nachhallen. Wenn der kanadische Professor und Autor Jordan Peterson mit bebender Stimme über seine Zwölf Regeln für das Leben spricht, schauen ihm dabei auf Youtube teils mehrere Millionen Nutzer zu. Es mache ihn traurig, seine verunsicherten Studenten so tief in der Identitätskrise zu sehen, sagt Peterson. In seinem Ratgeber flößt er ihnen sein „Gegengift für das Chaos“ der Gegenwart ein. Es besteht aus simplen Alltagsweisheiten („Suche dir Freunde, die das Beste für dich wollen“), angereichert mit Antifeminismus. So sei der Aufstieg Donald Trumps die männliche Antwort auf den wachsenden Druck der Verweiblichung – eine verständliche Gegenreaktion auf die Verschwörung des Feminismus, der „Postmoderne“ und des „kulturellen Marxismus“.

Sex und Matrix

Peterson ist nicht alleine: Der neurechte US-Verschwörungstheoretiker Mike Cernovich rät in den sozialen Medien zur Kultivierung eines „Gorilla-Mindsets“ und verkauft Nahrungsergänzungsmittel zur Wiederaneignung einer verlorenen Männlichkeit. Der Autor Daryush Valizadeh propagiert das Ideal einer „Neomasculinity“, die übergriffige „Flirt“-Strategien der sogenannten „Pick-Up-Artists“ mit dem Wiederaufbau einer patriarchalen Gesellschaft verbindet. Zu dieser „neuen“ Männlichkeit gehören laut Valizadeh regelmäßiger Sport, eine gute Arbeitsmoral und die Einsicht, dass der Feminismus Schuld am gesellschaftlichen Verfall trage.

Rund um diese Promis der „Manosphere“ sind im englischsprachigen Netz Kanäle und Foren entstanden, in denen sich ihre Bewunderer austauschen. Dabei hat sich ein spezielles Vokabular entwickelt: Nutzer sprechen über Hierarchien aus „Alpha-“ und „Beta“-Männern und über die verhassten Idealtypen der „Chads“ und „Stacies“ (Männer und Frauen, die auf dem Sexualmarkt erfolgreich sind). Neben kleineren Seiten wie „Return of Kings“ oder „Château Heartiste“ bildet das 250.000 Abonnenten starke Forum„r/TheRedPill“ das Zentrum. Die „Rote Pille“, eine Anlehnung an den Film Matrix, müssen Männer schlucken, um einen vermeintlich klaren Blick auf die Welt werfen zu können– und sich vom feministischen Gedankengut zu lösen, das als politische Strategie von Frauen zur Unterdrückung von Männern dargestellt wird.

Der Feminismus sei, heißt es auf r/theRedPill, nicht nur eine politische, sondern eine sexuelle Strategie zur Beherrschung des „Sexualmarktes“. Die Idee, die Welt werde vom ewigen Kampf um Sex bestimmt, bildet die Basis der digitalen „Manosphere“. Ohne Institutionen wie Zwangsehen müssten sich Männer nun ganz nach dem Begehren der Frauen richten, heißt es in den Foren. Um sich dieser Unterwerfung zu widersetzen, diskutieren Männer, wie sich ihr „Wert auf dem Sexualmarkt“ gezielt erhöhen und das vermeintliche System der weiblichen Herrschaft hintergehen lässt. Durch Fitnesstraining oder richtige Kleidung, durch teure Statussymbole oder Pick-Up-Strategien hoffen sie, vom „Beta“-Mann zum „Alpha“ zu werden.

Während ein überwiegender Teil der „Manosphere“ sich also in einer Art „Selbstoptimierung gegen den Feminismus“ übt, werten andere diese Arbeit als hoffnungslos. In der „Black Pill“-Gemeinschaft sammeln sich Männer, für die die von Maskulinisten propagierte Selbsthilfe erfolglos bleibt. Ihre Anhänger sehen sich als Männer, die niemals zu Gewinnern auf dem Markt des Begehrens werden können, die feministische Herrschaft scheint ihnen unumkehrbar. Ohne gutes Aussehen, soziale Fähigkeiten oder Geld empfinden sie sich als ewige Verlierer im Kampf um Sex. In Foren wie incels.me oder sluthate.com (Schlampenhass) wird daher abschätzig auf die Praktiken der „Pick-Up-Artists“ und der „Red-Pill“-Männer herabgeblickt. Sexuell erfolgreiche Männer und Frauen, sogenannte „Chads“ und „Stacies“ sind hier gleichzeitig Objekte des Begehrens und des tiefen Hasses. In diesem Zusammenhang sind „Incel“-Gewalttäter wie Alek Minassian zu verorten. Hier verbinden sich sexuelle Frustration und nihilistische Weltbilder zu einem toxischen Gemisch, welches bei weitem nicht immer, doch mit erschreckender Regelmäßigkeit in Gewalttaten mündet. „Die Incel-Rebellion hat bereits begonnen. Wir werden alle Chads und Stacys stürzen“, schrieb Minassian vor seiner Attentat auf Facebook. Auch Michel Houellebecqs depressiver Protagonist rät seinem Kollegen Raphaël am Ende zur Rache an den Frauen. Wenn er schon nicht mit Frauen schlafen könne, so könne er doch das besitzen, was am wertvollsten an ihnen sei: „ihr Leben“.

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