Gott ist auch kein Teamplayer

A–Z Einzelkämpfer Die Zahl der Selbstständigen ist in Deutschland rapide gestiegen. Dass Einzelkämpfer oft Getriebene sind, zeigen die einsamen Figuren der Popkultur. Das Lexikon der Woche

A

Alleinseglerin Es ist die Geschichte einer Frau, die in der späten DDR sich selbst sucht, und eine Erzählung über Würde. Christine möchte alles vereinen: Als allein erziehende Mutter arbeitet sie in einem Forschungsinstitut, geht in der Arbeit auf, auch wenn sie aneckt. Ihre Beziehungen zu Männern bleiben eher unbefriedigend. Eines Tages erbt sie ein altes Segelboot, hat eigentlich keine Zeit dafür. Aber sie findet keinen Käufer. Also restauriert sie das Boot – und es fängt an, ihr Spaß zu machen. Die Alleinseglerin wurde nach dem gleichnamigen Roman von Christine Wolter gedreht. Der Film von Herrmann Zschoche bewegte 1987 weniger das große Publikum in der DDR als vielmehr Zuschauer, die sich für Widersprüche im Alltag interessierten. Und Frauen, die sich in der Hauptperson wiederfanden. Seine Kraft zog der Film aus dem Spiel von Tina Powileit, damals Drummerin der Band Mona Lise (Powileit galt als erste weibliche Schlagzeugerin der DDR). Am Ende kann Christine sich nicht mehr trennen von ihrem Boot. Und segelt allein davon. Müde, aber glücklich. Maxi Leinkauf

Aufstieg „Einzelkämpfer“ ist ein irritierender Begriff für DDR-Sportstars, die ein Film von Sandra Kaudelka wiedertrifft, der so heißt und gerade auf der Berlinale gezeigt wurde. Denn die Leichtathleten Udo Beyer, Marita Koch und die Wasserspringerin Brita Baldus siegten zwar für sich, wie letztere im Angesicht der Fahne bei der Siegerehrung meinte. Sie taten das aber im Namen eines Landes, das sich so systematisch Respekt und Weltgeltung erarbeitete. Von dieser Dialektik leben die vier Porträts, unter denen das von Ines Geipel ein wenig herausfällt: Bei der ehemaligen Sprinterin übertrifft der Nachruhm als Dopingkronzeugin und Vergangenheitsbearbeiterin die sportlichen Erfolge von einst deutlich. Von Geipel stammt auch der „Einzelkämpfer“-Begriff. Der Sinn ergibt, und das kann man durch Kaudelkas Film begreifen, wenn man im DDR-Leistungssport die Möglichkeit sieht, der Enge des Landes vor der Maueröffnung zu entkommen. Reisen und Privilegien – wie überall ließen sich Aufsteigerträume am leichtesten im Sport verwirklichen. So gesehen arbeitete das staatlich effizient betriebene Sportsystem der Wiedervereinigung vor, als ein Stückchen BRD in der DDR – zu Zeiten, in denen die Mauer stand. Matthias Dell

E

Ego-Shooter Der Ego-Shooter ist das spätmoderne Einzelkämpferprojekt par excellence. Den Spielern der virtuellen Schießbude kann man einfach alles unterstellen. Immerhin gehen sie mit Knarren und anderen tödlichen Waffen auf digitale Spielfiguren los, bis es Blut und Gedärme spritzt. Wer solche Videospiele in seiner Freizeit betreibt, kann nicht ganz richtig sein, so die Annahme vieler Kritiker. Und schrecklich einsam müssen diese Jungs sich fühlen, sitzen abgeschottet in Jugendzimmern, statt sich mit Freunden zu treffen und saufen zu gehen. Und hat nicht der eine oder andere Amokläufer auch dieses Hobby gepflegt?
Wie andere fiktionale Gewaltdarstellungen entbrannte auch um die Ego-Shooter eine Verrohungsdiskussion. Zwar lässt sich wissenschaftlich kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Spielen und realer Gewalt festmachen. Von pauschalen Verurteilungen hält das viele Kritiker aber nicht ab. Tobias Prüwer

Eremiten Als Eremit gilt, wer freiwillig in der Einsamkeit lebt, sei es in der geografischen (erēmos = altgriechisch für Wüste), gesellschaftlichen oder geistigen. Die ersten christlichen Eremiten im 3. Jahrhundert trieb radikale Religiosität in die Wüste. In allen Weltreligionen findet sich Eremitentum eng verbunden mit Askese. Ziele der Enthaltsamkeit sind Kontrolle über Körper und Geist zu erlangen, das Bewusstsein zu erweitern und so näher zu Gott zu gelangen. Aber es gibt auch nicht-religiös motivierte Eremiten, die einfach einsamen Jobs nachgehen, Hirten oder Bergbauern etwa.
Das Ausbrechen aus gesellschaftlichen Zwängen treibt auch heute immer wieder Menschen in die Einsamkeit. Ein besonders bekanntes Beispiel ist Christopher McCandless, dessen Lebensgeschichte Jon Krakauers Buch und der gleichnamige Kinofilm Into the Wild erzählen. McCandless’ Zivilisationsflucht endete tragisch. Er starb in der Wildnis Alaskas an Auszehrung oder einer Vergiftung, die genaue Ursache ist unklar. Sophia Hoffmann

F

Frauen In der zeitgenössischen Popkultur gehören weibliche Charaktere, die sich allein durch Comics, Computerspiele und Spielfilme kämpfen zum festen Inventar. Die Comicfigur Tank Girl etwa kennt keine Gnade, wenn es darum geht, das Böse zu bekämpfen, hat aber kuriose Freunde um sich. Im Gegensatz zu Lara Croft, der mit fundierten Archäologiekenntnissen, akrobatischen Fähigkeiten und enormer Oberweite ausgestatteten Heldin des Kult-Computerspiels und der Filme Tomb Raider. Meist turnt Croft den zu suchenden Schätzen allein hinterher. Schrecklich allein arbeitet auch „Die Braut“, Hauptfigur der Kill-Bill-Filme von Quentin Tarantino. Fast all diese Figuren haben eine tragische Biografie: Sie wurden verstoßen, missbraucht, müssen ihre Familien rächen. Dabei sehen sie verdammt gut aus. Aus der Reihe fällt Luc Bessons Nikita (1990), die straffällig gewordene Drogensüchtige lässt sich nur aus Eigennutz im Knast zur Kampfmaschine ausbilden. SH

G

Gott Ob sich Gott das gut überlegt hatte, als er Moses die zehn Gebote überreichte? Das erste Gebot lautet bekanntlich: „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.“ Gott zementierte so für alle Zeiten seinen Status als Soloselbstständiger – als hätte das bis dahin und seitdem irgendjemandem etwas gebracht außer vielleicht ihm selbst. Gott schuf den Himmel und die Erde, ganz allein. Er verwandelte sich in einen brennenden Dornbusch und ließ es zu, dass sein Sohn ans Kreuz genagelt wurde – ohne mit jemandem Rücksprache zu halten. Fast drängt sich der Verdacht auf, Gott sei nicht teamfähig. Dabei wäre im Himmel Platz für ein Firmenimperium, das die Welt noch nicht gesehen hat. Doch der christliche CEO will weiter schalten und walten wie ein trotziges Einzelkind. Ob Gott in diesen Tagen den Monotheismus insgeheim verflucht? Es ist noch einsamer geworden um ihn, seit sein irdischer Stellvertreter in Rom zurückgetreten ist. Mark Stöhr

I

Ich-AGs Erinnert sich noch jemand? Die Ich-AG galt mal als wirkmächtiges arbeitspolitisches Instrument. Lust, eine Würstchenbude oder einen Senfladen aufzumachen? Schon gab es staatlichen Existenzgründerzuschuss, um Leistungsbezieher aus der Arbeitslosenstatistik zu streichen. „Ich-AG“ wurde 2002 zum Unwort des Jahres gekürt, 2006 dann als Förderung nach dem Gießkannenprinzip abgestellt und wird heute nur in Einzelfällen noch bewilligt.
Seither treibt der Markt auch ohne staatliche Subventionen den Anstieg der Solo-Unternehmer voran. Wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung vergangene Woche bekanntgab, ist die Zahl der Ein-Personen-Firmen zwischen 2000 und 2011 um 40 Prozent gestiegen. Rund 2,6 Millionen gibt es nun, damit sind 57 Prozent aller Selbstständigen Einzelkämpfer und beschäftigen keine Mitarbeiter. Da es oft nicht zum Leben in der Selbstständigkeit reicht, müssen viele von ihnen mit Hartz IV aufstocken: 125.000 waren das im September 2012. TP

L

Lehrgang Das Wort „Einzelkämpfer“ stammt aus dem Militär. Folgerichtig bietet auch die Bundeswehr entsprechende Lehrgänge an. Sie sollen die Absolventen befähigen, sich allein durchzuschlagen und: schlichtweg zu überleben. Auch für den sogenannten Jagdkampf, vom Aufklären bis zum Aufspüren und Eliminieren, werden Einzelkämpfer trainiert. Durch das Heranführen an die physischen und psychischen Belastungsgrenzen sollen die Teilnehmer diese erkennen und im Ernstfall überschreiten können. In mehrwöchigen Trainings stehen Aufgaben wie Eilmärsche und Hindernisparcours, Fallenstellen und Nahkampf, Klettern und Orientieren auf dem Plan. Und auch wenn die Bundeswehr immer gern die Teamarbeit innerhalb ihrer Reihen betont – wer ein Einzelkämpfer-Abzeichen trägt, genießt dennoch besonderen Respekt. TP

R

Rambo First Blood hieß der erste Rambo-Film, der 1982 ins Kino kam. Im gleichen Jahr erschien auch Conan der Barbar. Diese Filme schufen eine neue Gattung. Der Körper kehrte zurück auf die Leinwand, nackt und muskulös. Aber Rambo war noch viel mehr: ein geniales Heldenepos, ein moderner Western und vor allem ein intelligenter, politischer Film.
Wenn man sich den Quatsch anguckt, den Sylvester Stallone später gemacht hat, vergisst man das leicht: Der Mann, der 1976 Rocky gespielt hatte, kann ein richtig guter Schauspieler sein. First Blood (oder auch Rambo I, wie er später in Deutschland hieß) erzählt die Geschichte eines Vietnam-Veteranen, der sich im Frieden schwer zurechtfindet, der als Gefangener gefoltert wurde und an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, der in der Heimat zum Opfer eines selbstherrlich-faschistoiden Sheriffs wird und in einem Orkan der Rache alles kaputt macht, was ihn kaputt gemacht hat. „Da drüben flog ich einen Hubschrauber, oder ich bin Panzer gefahren“, ruft er: „Ich war verantwortlich für eine Million Dollar Ausrüstung und hier krieg’ ich nicht mal einen Job als Parkwächter!“ Jakob Augstein

T

Tischtennis Sie heißen Zhang Jike, Ma Lin oder Wang Hao. Timo Boll heißt Timo Boll, und das schon seit 31 Jahren. Er ist einer – sie sind viele. Boll ist der beste deutsche Tischtennisspieler und kämpft seit Jahren gegen die chinesische Übermacht. Das Riesenland produziert Weltklassespieler am Fließband. Hat Boll mal einen Chinesen geschlagen oder ist mal einer verletzt oder zu alt, kommt gleich der nächste. Es ist wie in einem Computerspiel. Boll war nie Weltmeister, aber schon Erster der Weltrangliste. Er ist der einzige Nicht-Chinese, den die Chinesen seit Jahren fürchten. Ihr Teamchef sagte einmal: „Boll ist wie ein Staatsfeind, ein Gegner aller 1,3 Milliarden Chinesen. Solange er spielt, werde ich nicht ruhig schlafen können.“ Das war als Verbeugung gemeint. Boll ist in China so groß wie Dirk Nowitzki in den USA. Über 50 Mal war er schon im Reich der Mitte. Fast scheint es, als wäre er gerne wie die Chinesen: endlich einer von vielen. MS

Z

Zerstörung Mitunter führt, daran muss erinnert werden, das reine Einzelkämpfertum auch zu Zerstörung (Rambo) und Selbstzerstörung. Besonders anschaulich illustriert dies das Schicksal des Briten Donald Crowhurst. Eigentlich wollte sich der ins Straucheln geratene Geschäftsmann Crowhurst durch eine Weltumseglung dank Preisgeld gesundstoßen. Um zu gewinnen, beschloss er, beim Einmann-Segel-Rennen Golden Globe Race 1968/69 zu betrügen.
Statt den Globus auf Nonstop-Wettfahrt zu umrunden, gab der 36-jährige Vater von vier Kindern per Funk falsche Positionen an. Auf See wurde dem Hobbysegler rasch klar, dass er die Herausforderung nicht bestehen würde. Er befuhr abgelegene Routen im Südatlantik und schrieb zwei Logbücher. Im falschen fingierte er die Weltumrundung und steigerte sich von der Fiktion schließlich in den Wahn. Die letzten Einträge enthalten Meditationen über die Unendlichkeit und das Entfliehen der Existenz. Statt in Führung zu liegen, trieb er leckgeschlagen an der lateinamerikanischen Küste. Das Boot wurde im Sommer 1969 gefunden, vom Skipper fehlte jede Spur. TP

AUSGABE

Dieser Artikel erschien in Ausgabe 8/13 vom 21.02.20013

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