Gott ist groß, aber der Ball bleibt rund

Sportplatz Ein Fußball ist schwarz-weiß, und er ist von seinen Ausmaßen her eher klein. So klein, dass auf ihm keine Bäume wachsen, keine Flüsse fließen und - ...

Ein Fußball ist schwarz-weiß, und er ist von seinen Ausmaßen her eher klein. So klein, dass auf ihm keine Bäume wachsen, keine Flüsse fließen und - vielleicht mal abgesehen vom gemeinen Fußpilz - auch kein Leben herrscht. Vom Weltall aus ist er auch nicht zu sehen. Wenig Gemeinsamkeiten mit der Erde hat er also, der Fußball - und doch gibt es da Menschen, die der festen Überzeugung sind, dass sich das eine wie das andere Rund nur bewegt durch SEINEN Willen allein: wenn man ihnen Glauben schenken kann, so schuf der HERR nicht nur Himmel und Erde, sondern haut auch Samstag für Samstag das Ding in den rechten oberen Winkel.
Es ist Mode geworden unter den Torschützen, Gott einen Scorer-Punkt zukommen zu lassen, wenn sie getroffen haben. Sie drehen ab vom geschlagenen Schlussmann, der in diesem Moment sicherlich weit weltlicheren Gedanken nachhängt, lupfen ihr Trikot vorne an, und auf dem T-Shirt darunter erscheint die Frohe Botschaft: "Gott Ist Treu!" oder alternativ: "Jesus Kommt Wieder!" Meistens sind es die Südamerikaner in der Bundesliga, die uns darauf hinweisen. Man könnte abwinken und sagen, die suchen halt nach einer Rechtfertigung für die besonders im Vergleich zu ihrer Heimat vulgär hohen Gehälter. Das aber wäre zu einfach, denn die frommen Hemdchen werfen schwerwiegende sporttheologische Fragen auf:
1. Wem genau ist Gott treu? Einem Land? Warum wird in den USA, immerhin God´s own Country, dann so schlecht Soccer gespielt?
2. Einem Verein? Deutet eine Formschwäche des FC Bayern dann eventuell auf das Grollen von Gottvater hin?
3. Oder einem Spieler? Aber Diego Maradona ist fett, süchtig und alt, Ronaldo ständig verletzt, David Beckham an dieses dürre Spicegirl verheiratet, und auch ein Lothar Matthäus muss einmal als Trainer nach Österreich.
4. Ist Er nur Fußballern treu, oder auch Trainern? Die werden schließlich alle naselang gefeuert, weswegen eine dahingehende Aussage auf der Trainingsjacke von Ewald Lienen wohl nur wenig Überzeugungskraft entwickeln würde.
5. Hängt die Wiederkunft Jesu direkt mit dem Fußball zusammen, ja plant Er sie vielleicht sogar für ein besonders attraktives Champions-League-Finale? Oder aber kann sie zum Beispiel durch einen vernichtenden Turniersieg Italiens gegen Israel und die Islamische Republik Iran beschleunigt werden? Wäre es mit dem IX. Gebot (Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten) vereinbar, zum sicheren Erreichen dieses Ziels den Schiedsrichtern vor dem Spiel Ablassbriefe auszuhändigen?
6. Und wenn Er dann einmal hier ist - wird Er vielleicht sogar selber spielen wollen? Bedenkt man die Macht, mit der Seine Familie nach landläufiger Meinung ausgestattet ist, wer sollte sich Ihm entgegenstellen? Eine vergleichbare Konstellation gäbe es wohl nur, wenn Silvio Berlusconi die komplette brasilianische Selecao adoptieren würde. Das erste Spiel wäre sicherlich noch ganz nett - ein Torfestival wie noch nie seit Genesis 1,1 und das ganze Stadion grölt: "Es gibt nur ein Jesus Christus, ein Jeeeesus Chriiiiiiistus..." und "Je-sus-Chris-tus-Fußball-gott!" etc. Dann aber Tristesse: Meisterschaft, Pokal, Uefa-Cup und Champions-League von vorneherein entschieden, gähnende Langeweile, Zuschauerschwund und damit der endgültige Zusammenbruch der - na? - Kirch-Gruppe. Das kann kein kickender Christ wollen.
Alles in allem bleibt also zu konstatieren, dass zu intensive göttliche Anteilnahme am Fußballgeschehen mehr Probleme schaffen als lösen würde. Das Spiel würde merklich an Attraktivität verlieren. Spieler hätten Angst, bei einem Rückpass zur Salzsäule zu erstarren, Schiedsrichter, bei einem falschen Pfiff umgehend vom Blitz erschlagen zu werden. Die Stadien würden leerer, als es die Kirchen schon sind, und, Teufel nochmal!, Franz Beckenbauer wäre tatsächlich unfehlbar. Da möge dann doch der Herr vor sein.
Aber bis jetzt ist ja alles gut geblieben, und die einzig sichere Gotteserfahrung im Stadion bleibt wohl nach wir vor in folgendem kollektiven Aufschrei manifestiert: "Gott im Himmel!!! Wie konnte er den nur vorbeihauen???"

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