Götterdämmerung bei VW

Super-Holding Vom politischen Korporatismus zur Clan-Dynastie

Wenn Europas bedeutendster Autokonzern seine Selbstständigkeit verliert, geht ein ganzes Zeitalter zu Ende. Die NS-Gründung Volkswagen bildete das Herzstück der berühmten "Deutschland AG". Hier wurde nach dem Zweiten Weltkrieg der sonst bei den großen Aktiengesellschaften bloß informelle korporatistische Verbund von Management, Banken, Politik und Gewerkschaften sogar durch eine juristische Grundlage festgeschrieben. Das VW-Gesetz von 1960 begrenzte das Stimmrecht auf 20 Prozent des Grundkapitals und sicherte damit dem Land Niedersachsen als staatlichem Anteilseigner eine Sperrminorität. Jetzt hat der Europäische Gerichtshof nach langer Kontroverse auf Antrag der EU-Kommission dieses Gesetz erwartungsgemäß gekippt - es behindere den freien Kapitalverkehr, so die Begründung. Damit ist eines der mächtigsten Bollwerke gegen feindliche Übernahmen geschleift worden.

Die Gerichtsentscheidung liegt im Trend. Überall lösen die Banken im Zuge der Globalisierung ihre Industriebeteiligungen auf und die so genannten "goldenen Aktien" der Staatsbeteiligung werden schubweise verscherbelt. Trotz Dementis ist das irgendwann auch bei VW zu erwarten. Bei ihrem Einstieg vor zwei Jahren haben die Eignerfamilien Porsche und Piëch auf den Fall des VW-Gesetzes spekuliert, seither ihren Aktienanteil zügig auf 31 Prozent aufgestockt und sich weitere Optionen gesichert, um schließlich nach der Mehrheit zu greifen. Als einer der größten Übernahmekandidaten wird VW also zunächst sozusagen in familiäre Schutzhaft genommen. Diese Machtverschiebung vom politischen Korporatismus zur Clan-Dynastie degradiert das VW-Management zu Statisten der zweiten Reihe. Bei der im Sommer gegründeten Porsche Automobil Holding, der alsbald VW einverleibt werden soll, hat VW-Chef Winterkorn nichts mehr zu sagen.

Auch der gewerkschaftliche Einfluss beim einstigen Herzstück der Deutschland AG wird ausgehebelt. Von der Götterdämmerung bei VW bleiben die Betriebsratsfürsten nicht verschont. Nach Plänen der neuen Eigner, die mit Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück ausgehandelt wurden, sollen die Belegschaftsvertreter der 12.000 Porsche-Beschäftigten im Aufsichtsrat der Super-Holding gleich viele Sitze erhalten wie die Repräsentanten der 325.000 VW-Beschäftigten. Unmittelbar nach dem Ende des VW-Gesetzes ist VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh mit seiner Klage gegen diesen Deal vor dem Arbeitsgericht Ludwigsburg gescheitert. Der Machtkampf geht mitten durch die IG Metall. Die Frankfurter Zentrale stützt Osterloh, der Bezirk Stuttgart hat sich auf die Seite von Hück geschlagen. Der Konflikt zeigt nicht nur, wie die von Korruptionsaffären längst ausgehöhlte gewerkschaftliche Mitsprache in einem unappetitlichen Postengerangel ihren Geist aufgibt. Es wird auch deutlich, dass sich der soziale Widerstand gegen die Folgen der Globalisierung zunehmend in eine erbitterte Krisenkonkurrenz unter den Belegschaften der großen Konzerne verwandelt.

Die Elite-Autobauer von Porsche sichern ihre Position und ihre Prämien vorbeugend zu Lasten der VW-Belegschaft, die bis jetzt von Werksschließungen und Massenentlassungen verschont blieb. Das könnte sich nach der Machtübernahme durch die Porsche-Autodynastie ändern. Große Sektoren der acht Marken von VW gelten als unrentabel. Schon kursieren Gerüchte, dass der VW-Konzern unter dem Dach der neuen Holding in seine Einzelteile zerschlagen werden soll. Die Vision vom neuen Auto-Giganten ist unglaubwürdig, zumal gerade erst der Traum einer industriellen "Welt AG" bei DaimlerChrysler geplatzt ist. Porsche stellt in Wirklichkeit einen globalen "Hedgefonds mit Automobilproduktion" (Wirtschaftswoche) dar. Die horrenden Gewinne, mit denen VW gekauft wurde, stammen größtenteils aus Währungsspekulationen und Optionsgeschäften, während der Beitrag des eigentlichen Autogeschäfts stetig sinkt. Auf längere Sicht ist es eher wahrscheinlich, dass Porsche VW filetiert und stückweise auf den globalen Unternehmensmarkt wirft, während die Beschäftigung abgeschmolzen wird. Der Wolfsburger Weltuntergang hat gerade erst begonnen.


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Geschrieben von

Robert Kurz

Publizist und Journalist

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