Alarm und Bestürzung in den ganzen USA: Eine Lastwagenbombe hatte das Vorderteil des neunstöckigen Alfred P. Murrah-Regierungsgebäudes in Oklahoma City in die Luft gesprengt. 168 Menschen kamen ums Leben und Hunderte wurden verletzt, als herabstürzende Trümmer Regierungsangestellte und Besucher erschlugen. Das geschah vor fünf Jahren, am 19. April 1995. Nach anfänglichen Spekulationen über "islamische Terroristen" wurde damals schnell klar, der Täter war ein Einheimischer, ein US-Amerikaner, ein Golfkriegsveteran. Und, wie sich herausstellte, ein Mann mit rechtsextremen Ideen. Dann häuften sich Medienberichte über einen "rechten Untergrund", über bewaffnete "Milizen" mit angeblich Zehntausenden von Anhängern, die Amerika bedrohen wie keine andere Bewegung je zuvor.
Baptistenprediger und Kommandeur
Heute sitzt der Haupttäter Tim McVeigh in einer Todeszelle in Terre Haute in Indiana, sein Komplize Terry Nichols bekam lebenslänglich, der angebliche Mitwisser und Kronzeuge Michäl Fortier ein paar Jahre. Im Fernsehsender CBS lief kürzlich ein Interview mit McVeigh, der sich über seinen "unfairen Prozess" beklagte. Wo das Murrah-Gebäude stand, wird am 19. April eine Gedächtnisstätte eingeweiht. Bald kommt ein Museum dazu; ein neugegründetes Anti-Terrorismusinstitut veranstaltet bereits Konferenzen.
Viele hatten den Prozess gegen McVeigh besucht. Manche begrüßten die Todesstrafe, aber lange nicht alle. Ein weiterer Tod könne seinen Verlust nicht wettmachen, klagt zum Beispiel der Tankwart Bud Welch, dessen 23-jährige Tochter Julie Marie dem Anschlag zum Opfer fiel. Und die von "Experten" vielbeschworenen rechtsextremen Milizen? Man liest nichts mehr in den Zeitungen, man sieht die Männer nicht mehr auf dem Bildschirm.
Damals, ein paar Monate nach dem Anschlag, in Michigan, einem Bundesstaat im mittleren Westen: Einige Gruppen von Männern haben sich zu sogenannten "Milizen" zusammengeschlossen. Die Aktivisten haben Wut im Bauch und fühlen sich verraten, erklären mehrere in einem Trainingslager im Wald in der Nähe des Dörfchens Wolverine. Der Blockhausbunker ist halb fertig. Eine globale Verschwörung der Banker bedrohe die USA, die "Neue Weltordnung" würde amerikanische Patrioten in Konzentrationslager sperren, Clinton habe das amerikanische Militär unter das Kommando der UNO gestellt. Die Männer - Fabrikarbeiter, Selbstständige, Leute aus der Landwirtschaft - nennen sich "Milizionäre": Das soll an den antikolonialen Kampf gegen den britischen König erinnern. Man ist bewaffnet, übt, trainiert und legt Vorratslager an. Die Wirtschaft werde zusammenbrechen, die Männer wollen ihre Familien verteidigen. Baptistenpastor und Kommandeur Norman Olson predigt von der Apokalypse, Gott werde sein verfolgtes Volk retten. Der Sonntagsgottesdienst findet in einem Schusswaffenladen in Wolverine statt.
Ein Spendenaufruf vom Southern Poverty Law Center aus Alabama, ebenfalls ein paar Monate nach Oklahoma. Die Gruppe hat sich einen Namen gemacht mit ihren Prozessen gegen den Ku Klux Klan. Tim McVeigh, so erklärt sie, habe Verbindungen zu diesen "Milizen" und gehöre vermutlich "einer locker zusammengeknüpften Gruppe einheimischer Terroristen an, die möglicherweise jetzt schon eine neue Gräueltat plane". Man solle dem Zentrum Spenden schicken und dem Justizministerium schreiben. Wenn es gegen Rechtsextreme geht, wollen auch manche Linksliberale mehr law and order. Die Regierung müsse die Milizen verbieten.
Eine ähnliche Warnung kommt vom American Jewish Committee: Die Milizen breiteten sich mit "Blitzgeschwindigkeit" aus und rüsteten für einen Krieg gegen die Regierung. Bereitwillig glauben viele Journalisten der Milizenpropaganda von den zahlreichen "Brigaden" und "Divisionen". Wie viele es wirklich gibt, weiß niemand. Im Capitol in Washington werden daraufhin Gesetze vorbereitet, die Politiker nehmen die Warnungen der Antirassisten scheinbar ernst.
1996 unterschreibt Clinton das "Gesetz gegen Terrorismus und zur Effektivierung der Todesstrafe", das jetzt die Berufungsmöglichkeiten von Todeshäftlingen und anderen Verurteilten stark einschränkt, Deportationen von Ausländern erleichtert und rassistisch motivierte Verbrechen besonders hart bestraft.
Schockierte Milizen
Als "Vater" der Milizen gilt John Trochmann aus dem malerischen Bitterroot-Gebirge in Montana. Die Milizen seien sehr wohl am Leben, verkündete der bärtige Trochmann auf Fragen Ende März. Nur die mit den lauten Mundwerken seien ausgestiegen, und denen weine er nicht nach. McVeigh sei nicht mehr als eine Marionette, die von mächtigen Interessen benutzt worden sei. Der Regierung? Die "Neue Weltordnung"? Amerika sei heute noch immer bedroht, meint Trochmann, besonders die Bauern und Rancher. Die Reichen wollten alles wegnehmen. In Montana habe der Medienzar Ted Turner riesige Ländereien gekauft.
Nach Angaben des Montana Human Rights Network ist der rechtsextreme Aktivismus in Montana deutlich zurückgegangen. In Michigan hatte sich der Ausbilder Dick Whitten bereits 1995 beklagt, dass die Leute wegblieben. "Der Anschlag in Oklahoma hat viele in den Milizen schockiert", sagt Chip Berlet, ein Kenner der rechten Szene. Sie hätten sich zurückgezogen. Denn nur wenige nähmen es wirklich todernst mit ihrem paramilitärischen Training.
In mehreren Bundesstaaten kommen jetzt FBI-Beamte und Milizionäre zu Konferenzen zusammen: Beide wollten keinen Terrorismus, sagte ein Führer aus Indiana.
Norman Olson sieht das anders: Die Milizen hätten nämlich gewonnen, sagt er in seinem Häuschen in Alanson. Sie hätten ihr Hauptziel erreicht, ein zweites Waco zu verhindern. In Waco waren 1993 bei dem FBI-Ansturm auf die Branch Davidians-Sekte 80 Mitglieder ums Leben gekommen. Allein durch ihre bewaffnete Präsenz hätten die Milizen "den Tyrannen in Washington" gezeigt, dass das Volk sich nicht alles gefallen lasse. Jetzt seien die Milizen auf dem Rückzug. Aber es werde noch immer trainiert in Wolverine. "Und wenn ich den Alarm gebe, werden sich eine Million Männer versammeln". Olson ist so zuversichtlich, als glaube er es selber. Nur der Ausbilder Whitten sei leider vor ein paar Monaten an einem Herzversagen gestorben. Sonntags beim Gottesdienst im Waffenladen. Ein schöner Tod, meint Olson.
Der Leiter der FBI-Ermittlungen hat schon im Dezember 1998 das Resultat der Oklahoma-Untersuchung bekannt gemacht: Es gebe keinen einzigen glaubwürdigen Hinweis auf eine Verschwörung. McVeigh und sein Helfer Nichols hätten allein gehandelt. McVeigh stand auch nicht im Kontakt mit irgendwelchen Milizen. Viele der "Sofortexperten" hätten aus der Hüfte geschossen, kritisiert Berlet, und sehr unterschiedliche politische Strömungen in einen Topf geworfen. Die Milizenbewegung lässt sich nämlich auch politisch erklären. In den USA ist spätestens zu Beginn der neunziger Jahre eine "neue" rechte Bewegung hochgekommen. Für Schusswaffenrechte, gegen die Regierung, von Menschen, die von "Washington" alleingelassen werden wollen. Man hasst Clinton, den Vietnamkriegsdrückeberger. Manche Aktivisten finden ihre Heimat am Rande der Republikanischen Partei - andere weiter rechts - reden von bewaffnetem Aufstand.
Bauernaufstand gegen das Farmsterben
Damals wie heute lässt sich die Bewegung schwer quantifizieren. Unterschwellig ist sie präsent, aber es gibt eben keine Mitgliedskarten. Wer die politisch rechts Aktiven für Terroristen wie McVeigh veranwortlich macht, steht in Gefahr, so oberflächlich zu argumentieren wie die Konservativen während des Vietnamkrieges, die den Ursprung des gewalttätigen Weather Undergrounds in der gewaltlosen Antikriegsbewegung ausmachen wollten. Angetrieben werden die Rechten auch von der tiefen Krise der amerikanischen Landwirtschaft, kein Wunder also, dass man die "Brigaden" und "Divisionen" der Milizen vor allem dort findet. Seit 1980 sind in den USA 400.000 Bauernhöfe eingegangen und von Agro-Konzernen übernommen worden. Eine ganze ländliche Lebenskultur, die von denen in der Städtern ohnehin schon lange nicht mehr richtig verstanden wird, geht kaputt. 1960 gab es in den USA vier Millionen Bauernhöfe; jetzt sind es nur mehr halb so viele.
Der Filmemacher Jöl Dyer hat sich mit der Krise der Landwirtschaft und den Milizen beschäftigt. Er habe so manchen Milizenführer beim Lesen von Noam Chomsky gesehen; die Leute suchten Antworten. Aber: "Wenn man zu den Versteigerungen der Höfe geht, sieht man oft einen weinenden Bauern und jemanden, der ihm den Arm um die Schulter legt und ihn tröstet. Und es kann gut sein, dass dieser Arm zu einem örtlichen John Bircher (Mitglied der rechten John Birch Society) gehört, oder einem Milizionär, der versteht, was in dem Mann vorgeht". Einer, der sich sorgt, und sagt, dass die Regierung schuld sei, oder eine jüdische Verschwörung. Sonst sei ja niemand da. "Ich habe es oft gesehen, dass bei Leuten auf dem Land der Rassismus und der Hass auf die Regierung von ihrem ökonomischen Stress kommen - und nicht aus ideologischen Motiven".
Was nicht heißen soll, dass es in den USA keine antisemitischen und rassistischen Fanatiker gibt, die zur Waffe greifen gegen Schwule, Abtreibungskliniken, Frauenärzte, jüdische Einrichtungen, und Minoritäten. Am gefährlichsten sind wohl die vielen Unbekannten, die nicht mit Tarnanzügen durch die Nachbarschaft stolzieren. 1999 hat ein Anhänger der antisemitischen Christian Identity-Sekte in Kalifornien einen von den Philippinen kommenden Briefträger erschossen und fünf jüdische Kinder verwundet, und im Mittleren Westen erschoss ein mutmaßlicher Sektenanhänger einen Koreaner und einen Afro-Amerikaner. Vor allem im Nordwesten der USA hört man von Überfällen auf Banken, um Terrorgruppen zu finanzieren. Christian Identity, von denen es ein paar Dutzend Gruppen in den USA gibt, verkündet, dass Weiße Gottes Kinder sind, Afrikaner Untermenschen und Juden die Kinder Satans.
Nazischrott im Internet
Auch verschiedene Neo-Nazi-Gruppen und Skinheads treiben ihr Unwesen, unter anderem die Aryan Brotherhood, die Phineas Priesterschaft und die Arische Volksrepublik. Tim McVeighs Lieblingsbuch war angeblich Turner's Diary, ein wüster "Roman" des Nazipropagandisten William Pierce, in dem ein weißer Veteran aus Wut über Rassenmischung, Homosexualität, Korruption und Tyrannei in der Regierung einen "Feind" nach dem anderen umlegt. Nicht umsonst hatte McVeigh seine Bombe am 2. Jahrestag von Waco gezündet. Er war selber in Waco, um das niedergebrannte Sektenhauptquartier aus erster Hand zu sehen.
Antisemitismus hingegen habe in den USA einen historischen Tiefstand erreicht, sagt Ken Stern vom American Jewish Committee. Gleichzeitig fürchtet er, dass die verbliebenen antisemitische Gruppen zu erhöhter Gewaltbereitschaft neigen. Dieser harte Kern macht Stern langfristig Sorgen. Demographisch sehe es doch so aus, dass die Weißen immer weniger und ethnische Minderheiten immer zahlreicher würden. In ein paar Jahrzehnten könnten die "Minderheiten" in Kalifornien die Mehrheit stellen. Eine solche Entwicklung könnte extremistischen weißen "Hassorganisationen" enormen Zulauf bescheren. Aus der Luft gegriffen sind diese Befürchtungen ganz bestimmt nicht. Vor allem dann nicht, wenn man sie im Lichte der enormen sozialen Polarisierung zwischen ganz oben und ganz unten betrachtet. Früher haben Rechtsextremisten Flugblätter unter Scheibenwischer und in Briefkästen gesteckt. Jetzt bringen sie ihre Botschaft täglich auf Hunderten rassistischer Websites per Internet unters Volk.
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