Gramsci, Bourdieu, Scheer und das große Geld

INTELLEKTUELLE GEGEN BANKEN - Die Linke braucht auch eine neue Diskussion um die Funktion des Staates

An diesem Wochenende wird in Frankfurt am Main, unter den Türmen der großen deutschen Banken, ein gegen ihre Macht gerichtetes "Fest der Menschlichkeit" stattfinden. Träger des "Banken-Knack-Festes" sind einige Zeitschriften, Vertreter der Gewerkschaften, der PDS, der SPD, der Christen ('Weiße Väter gegen die Deutsche Bank') und viele andere. Neben einer Reihe bekannter Künstler wie Konstantin Wecker werden u.a. Gregor Gysi, Hermann Scheer, Daniela Dahn, Jean Ziegler, Eberhard Czichon und Pierre Bourdieu auftreten.

Symbolisch anwesend ist auch der 1938 in faschistischer Haft gestorbene Antonio Gramsci. Er erkannte früh, dass historische Fortschritte - damals musste die Niederschlagung des Faschismus und die Wiedererrichtung der Demokratie erkämpft werden - für die Linke nur in überparteilichen Verzahnungen bis hin ins bürgerliche Lager erreichbar sind. Vom Volksfrontgedanken moskowitischer Prägung unterschied sich Gramscis Denken durch die stets beschworenen demokratischen Prinzipien, die in diesen Bündnissen herrschen müssen. So war seine letzte Botschaft an den PCI, dass nach einem Erfolg der Resistenza-Bündnisse keine Diktatur des Proletariats anvisiert werden dürfe, die Partei vielmehr an der Ausarbeitung einer verfassunggebenden Versammlung mitwirken müsse.

Eine überragende Bedeutung bei der Herausbildung dieser Bündnisse gab Gramsci den Intellektuellen aller Sparten: Künstlern, Technikern, Wissenschaftlern, Lehrern. Das Konzept der Aufklärung, das hier zu erkennen war, ist ein modernes: Der Intellektuelle ist - wie bei Brecht - nicht nur Lehrer, sondern immer auch Schüler. Pierre Bourdieu beruft sich weder auf Gramsci noch andere marxistische Klassiker. Doch auch er ruft zur Bildung von Netzwerken der Intellektuellen auf, die Multiplikatoren für soziale Bewegungen gegen die Macht des großen Geldes und die von dieser Macht bereits begonnene Zerstörung der Lebensgrundlagen aller Menschen sein könnten. Es ist ein scheinbares Paradox, dass sich ausgerechnet unter demokratischen Verhältnissen bislang so wenig Intellektuelle engagieren. Ein Großteil der Arbeiten Bourdieus befasst sich denn auch mit der Kritik an der materiellen Abhängigkeit der Intellektuellen von den Mächten des Geldes, die es nach seiner Analyse fast geschafft haben, die "Unabhängigkeit des Denkens" zu zerstören. Damit diese Unabhängigkeit hergestellt und für die gesamte Menschheit fruchtbar gemacht werden kann, hält Bourdieu eine Stärkung der staatlichen Verantwortung für Bildungs- und Sozialaufgaben im weitesten Sinne für notwendig. Da nicht die Linke den Staat zum "Absterben" brachte, sondern die Mächte des Geldes, braucht sie unbedingt eine neue Diskussion um die Funktion des Staates. Bourdieus Auftritte rufen in manchen Medien erhebliche Hassreaktionen hervor, in denen sich indes nur die Sorge zeigt, dass den Fusionen des großen Geldes auch Fusionen der Erniedrigten und Beleidigten folgen könnten. In der Tat hat die Allianz des "Banken-Knack-Festes" nicht nur Aktivisten aus Europa, sondern auch aus anderen Kontinenten eingeladen, um mögliche gemeinsame Programmpunkte zu diskutieren. Längst sind es nicht nur soziale, sondern auch dringende ökologische Gründe, die dies erforderlich machen. Hermann Scheer wird am 17.Juni in einem Workshop darlegen, wie die Deutsche Bank und die Dresdner Bank - buchstäblich als "Manager der Klimakatastrophe"(*) - mit Tausenden von Lobbyisten bei Politikern und in der öffentlichen Meinung den für sie selbst profitablen Vorrang der Ausbeutung fossiler Brennstoffe und der Atomenergie zu sichern suchen. Kommt es nicht bald zur entscheidenden Entwicklung umweltfreundlicher Energiegewinnung - vor allem der Sonnenenergie -, prophezeit Scheer schon in wenigen Jahrzehnten die fürchterlichsten Kriege um die immer knapper werdenden Energierohstoffe.

Bislang hat die - auch durch die Weltmächte des Geldes aufrecht erhaltene und im letzten Jahrzehnt sogar enorm gesteigerte Ungleichzeitigkeit der ökonomischen Entwicklung - auch eine Ungleichzeitigkeit des Widerstands erzeugt. Es wäre ein enormer Erfolg, wenn am 1. Mai 2001 u.a. von den Chiapas in Mexiko und von Studenten in Frankfurt am Main derselbe Minimalkonsens über die zu erkämpfende Form der Kapitalverkehrskontrolle gefordert würde.

Siehe auch

(*) siehe auch: Henrik Paulitz, Manager der Klimakatastrophe. Energie- und Verkehrspolitik der Deutschen Bank, hrsg. v. der Umweltorganisation Robin Wood.

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