Susanne Uhlen allein
Ein Bild im Bild: Wie eingepfercht wirken die kindlichen Augen, als sie durch den Briefschlitz in der Tür so ungläubig wie schockiert den Mord beobachten, der sich in der Wohnung abspielt. Sie gehören Susanne Uhlen, die hier mit zehn Jahren ein irrlichternd phänomenales Leinwanddebüt gibt, und bilden die eigentliche Attraktion dieses Films: Die kleine Tochter beobachtet den Mord an ihrer offenbar im halbseidenen Milieu tätigen Mutter, wird deshalb von allerlei Parteien gesucht und wandelt daher fortan auf sich allein gestellt durch eine unachtsame bis feindliche Welt, die ihr rehäugiger Blick schlicht nicht fassen kann.
1965 in Wien gedreht, schwimmt das Regiedebüt des bis dahin in deutschen Kinoschwänken tätigen Schauspielers Adrian Hoven zwar auf der Krimiwelle. Dem comicartigen Pulp-Eskapismus der Wallace-Filme gibt es sich aber nicht preis. Deren mal heitere, mal gruselige, stets britisch-exotistische Puppenhaus-Kulissenhaftigkeit weicht hier einer immer wieder aufblitzenden, melancholisch-tristen, von fern mit dem Neorealismus flirtenden Großstadtpoesie. Als trauriger Drifter, als fragiles, die Welt durchtastendes Wesen macht Susanne Uhlen den im BRD-Krimi meist unverbindlich verhandelten existenziellen Schmerz wieder erfahrbar. Im nur von der Kamera registrierten jähen Schock in ihrem Blick, als ein Polizist sich verplappert und den Tod ihrer Mutter zur Tatsache erklärt, verrät sich, dass dieser Film vor allem von der Einsamkeit des Kindes handelt.
Sicher, es gibt Zugeständnisse ans Genre. Harald Juhnke liefert als faselndes Eddi-Arent-Pendant minder brillante Gags. Zwei, drei längliche Ermittlungspassagen. Doch gerade diese Verunreinigungen machen den janusköpfigen Charakter von Der Mörder mit dem Seidenschal im Umbruchsjahr 1966 aus. Für Adrian Hoven markiert er den Beginn einer ekstatischen Affäre mit dem Schmuddelkino, dem er erst 1973 als Darsteller mit einem Dauerengagement bei Rainer Werner Fassbinder wieder abhandenkam. Thomas Groh
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Der Mörder mit dem Seidenschal Adrian Hoven Auf DVD bei Filmjuwelen
Alfred Vohrer albern
Mit jeder neuen Vorspanntafel, mit jedem Kraftschrei der Titelmusik (von Peter Thomas) ein ruckartiger Zoom tiefer in einen schreckgeweiteten Frauenmund – bis am Ende in dessen leinwandfüllender Schwärze der Credit des Regisseurs erscheint: Alfred Vohrer. Der Wildbach groben Unfugs, der folgt, bestätigt solches Selbstbewusstsein gegen die Widrigkeiten des Produktionsetats.
Der Bucklige von Soho, 1966 beworben als erster Farbfilm der damals bereits in gediegener Routine angekommenen Reihe westdeutscher Edgar-Wallace-Verfilmungen, ist teutonisches Trivialkino in seiner verschrobensten Ausprägung. Erbschleicherei, Kidnapping, Mädchenhandel, darum geht es auf dem Papier. Die Eckpfeiler der Groschenheftgeschichte interessieren Alfred Vohrer aber nicht weiter (in den juvenilsten Episoden seiner Karriere war Vohrer, Jahrgang 1914, beinahe ein John Waters des deutschen Genrefilms). Im grinsenden Wissen um die verschämte Albernheit seines Stoffs begreift er das Fließbanddrehbuch von Herbert Reinecker als Herausforderung.
Mit einer penetranten Unverfrorenheit, wie sie sich im Kino nur ein abgebrühter Vollprofi leisten kann, sucht Alfred Vohrer zwischen tristkargen Studiozimmern und Berlin-Spandauer Waldwegen rastlos nach der Schmerzgrenze zwischen schundimmanenter Erhabenheit des Märchens und gerade noch nicht postmodern erzählter Hysterie des Lächerlichen. Eine zentrale, fast als Folterkammer inszenierte Waschküche mit monströs-bauchigem Kesselwerk und einem phallisch aus der Wand fahrenden Flammenwerfer darf als schwüle Lunge des Films gelten; seinen Atem findet dieser im entspannt orchestrierten Chargieren des altfilmindustriellen Darsteller-Ensembles. Sensationell: Gisela Uhlen als aasige Bordellbetreiberin, das sarkastische Understatement von Hauptdarsteller Günther Stoll, das sich mit komplizenhafter Freude an der Überpointierung der verwegenen Losung seines Regisseurs hingibt: Zu viel von allem ist immer richtig. Christoph Draxtra
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Der Bucklige von Soho Alfred Vohrer Auf DVD bei Universum
Udo Jürgens ehrgeizig
Etwas muss im Vorfeld schiefgegangen sein, und man entschloss sich, mit den Unzulänglichkeiten amüsiert umzugehen. So stelle ich mir die Enstehung des notgedrungen surrealen Films Das Spukschloss im Salzkammergut vor. Alles ist nur ein Kinderspiel, behelfsmäßig, unglaubwürdig, fadenscheinig, und wird scheitern. Das hat etwas ungemein Sympathisches.
Während einer Cabriofahrt durchs Allgäu erzählt die überirdisch fesche Hannelore Auer (heute Heinos Gattin) dem Schlagersänger und Eiskunstläufer Manfred Schnelldorfer die Story: Einst gerieten Udo Jürgens und Gertraud Jesserer in Konkurrenz und Streit über das Thema U und E. (Das sei aber spannend, beteuert süß ihr welpenhaft-erotischer Beifahrer, „Erzähl doch weiter!“.) Einer sabotierte den anderen. Schreckte mit Masken, sägte Bühnen an, kippte Wasser in die Saxofone. Eine Farce wie von Samuel Beckett oder bei Dick und Doof.
Sehr lustig fällt im Kulturkrieg Ruth Stephan, die kleine deutsche Doris Day, ohne Anlass, eigentlich unmöglich, aus Versehen von einer Mauer. Sie wird von einem Feind gerettet, liebes Krabbeln der beiden auf einer uns als vertikal verkauften Ebene. Ich habe Ruth Stephan noch nie so sexy, lebensgroß und lustig gesehen.
Regisseur Billian, der später Sexfilme drehte (Josefine Mutzenbacher – Wie sie wirklich war), lässt Frauen oft übermütig und utopisch frei spielen. Metaphysisch wirkt auch die Leere der unmotiviert eingestreuten Schlager. Peggy March im Saloon der toten Cowboys. Das vergessene brasilianische Kinderduo Candy Kids, das trüb und müde von seiner Reise mit der „Bimmelbahn, so lang sie bimmeln kann“ berichtet.
Einzig Udo Jürgens hat ein echtes Ziel. 1966 stand er vor dem Durchbruch, Merci Chérie war raus, der Weg zu Udo ’70 frei. Als ein Telefon in einem Medienhochhaus nach ihm klingelt, sehen wir ihn über unendlich viele Betontreppen und Flure eilen: der ganze ungeduldige Elan einer neuen Generation. Silvia Szymanski
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Das Spukschloss im Salzkammergut Hans Billian Gebraucht auf VHS zu finden
Nachschlag
Die Berlinale-Retrospektive mit dem geschmeidigen Titel Deutschland 1966 – Filmische Perspektiven in Ost und West begleitet ab Ende Februar auch ein filmhistorischer Essayband aus dem Verlag Bertz + Fischer: herausgegeben von Connie Betz, Julia Pattis und Rainer Rother, 204 Seiten, 110 Fotos, 25 Euro
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