Graue Katzen

Farbblindheit Warum Männern der Sinn für Farben fehlt

Seit dem ersten Januar 2002 trägt jeder Europäer in seiner Geldbörse einen Schnelltest für Farbenblindheit mit sich herum: Das rötliche 5-Centstück ist für einen Rot-Grün-Blinden farblich nicht vom gelblichen 20-Cent-Stück zu unterscheiden. "Beim Euro-Design hat offensichtlich niemand an Rot-Grün-Blinde gedacht", bedauert die spanische Physikerin Maria Suero. Augenärzte könnten diese preiswerte Methode zur Diagnostik einsetzen. Denn viele Berufe erfordern normales Farbensehen. Bisher werden Screening-Tests mit Pigmentfarbtafeln durchgeführt. Doch zunehmend gibt es auch im Internet visuelle, allerdings nicht zuverlässige Funktionstests. In Zusammenarbeit mit einem Unternehmen haben Magdeburger Augenärzte jetzt einen internetbasierten Farbsehtest entwickelt (www.farbsehtest.de).

In der Netzhaut gibt es zwei Arten von Lichtempfängerzellen, die man nach ihrer Form als Stäbchen und Zapfen bezeichnet. Die Zapfen funktionieren bei starkem Licht und sind für das Farbensehen zuständig, während die Stäbchen auch bei schwachem Licht tätig sind, aber keine Farbe registrieren: "In der Nacht sind alle Katzen grau." Die Netzhaut des Menschen enthält drei Millionen Zapfen und etwa hundert Millionen Stäbchen.

Immerhin acht Prozent der europäischen Männer leiden unter einer angeborenen Rot-Grün-Farbsinnstörung. (Die Blau-Gelb-Sehschwäche ist mit 0,002 Prozent so selten, dass sie keine praktische Bedeutung hat.) Bei anderen Völkern ist Rot-Grün-Fehlsichtigkeit deutlich seltener. So weisen Jäger- und Sammlergesellschaften wie die Ureinwohner Australiens, die Indianer Amerikas und Schwarzafrikaner eine Häufigkeit von etwa zwei Prozent auf. Auch bei den Eskimos liegt die Häufigkeit nur bei knapp drei Prozent.

Der englische Physiker John Dalton war selbst betroffen. 1798 begann er als Erster, die angeborenen Farbsinndefekte systematisch zu untersuchen. (daltonisme ist seither das französische Wort für Farbenblindheit). Zu dieser Zeit war bereits aufgefallen, dass Rotgrünblindheit fast nur bei Männern vorkommt. 1778 veröffentlichte Lort dann einen Stammbaum mit einer farbuntüchtigen Frau. Die Genetik liefert die Erklärung: Die für die Rot-Grün-Wahrnehmung zuständigen Gene liegen auf dem weiblichen oder X-Chromosom. Alle praktisch wichtigen Farbsinnstörungen werden rezessiv vererbt. Da Frauen zwei X-Chromosomen haben, sind sie nur betroffen, wenn beide X-Chromosomen das defekte Gen enthalten. Ist dagegen ein X-Chromosom mit dem intakten Gen ausgestattet, so dominiert dessen Wirkung über das defekte Gen, und die Besitzerin ist farbtüchtig, während ein solcher Fehler bei Männern nicht ausgeglichen werden kann

Ein Mann hat sein Y-Chromosom immer vom Vater und sein X-Chromsosom immer von der Mutter. Demnach geben Frauen defekte Farbsinngene an ihre Söhne weiter, während ein farbuntauglicher Mann sein fehlerhaftes Gen niemals auf seine Söhne, wohl aber auf alle Töchter überträgt. Die sind jedoch nur dann beeinträchtigt, wenn auch eines oder beide mütterlichen X-Chromosomen das defekte Gen enthalten. Bereits 1876 wurde der X-chromosomale Erbgang in der sogenannten Hornerschen Regel erstmals zusammengefasst.

Lord Rayleigh verdanken wir die Unterscheidung zwischen Rot- oder Grünblindheit (Anopie) und -sehschwäche (Anomalie). Von den betroffenen Männern sind etwa 40 Prozent anop für eine der beiden Farben, der Rest weist ein Anomalie auf. Und auf einen Rot-Gestörten kommen drei Grün-Gehandikapte.

Farbsinnbeeinträchtigte verwechseln Farben. Falls das noch nicht genügen sollte, eine farbtüchtige und modebewusste Frau vor Entsetzen die Farbe wechseln zu lassen: Rot-Grün-Sehschwache neigen überdies dazu, Gelb oder Weiß neben oder nach Rot als grün und neben oder nach Grün als rot wahrzunehmen.

Doch es gibt auch Tröstliches: Von etwa sieben Millionen unterscheidbaren Farbvalenzen gehören nur einige Tausend zur Klasse der "bunten Farben". Die weitaus zahlreicheren "unbunten Farbvalenzen" vom hellsten Weiß über die verschiedenen Graustufen bis zum tiefsten Schwarz nimmt auch der Farbsinngestörte unverfälscht wahr. Ferner ist angeborene Farbenfehlsichtigkeit praktisch immer auf beiden Augen gleich.

Aussicht auf Heilung gibt es dennoch nicht: "Es erscheint genauso schwierig, die Augen dazu zu bringen, einen Farbensinn zu entfalten, der nicht durch die Chromosomen begründet wurde, wie einen Hund dazu zu bewegen, sich in eine Katze zu verwandeln." (Donald B. Judd, 1952)


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