Gravur

Linksbündig Ein Mahnmal-Entwurf setzt auf Abwesenheit

Der renommierte Architekt und Theoretiker Robert Venturi hat einmal gesagt, die US-Amerikaner bräuchten keine Piazzas und öffentlichen Räume, weil sie zu Hause vor dem Fernseher besser aufgehoben seien. Ironisch war das gemeint, und doch bekommt der Satz im Falle "Ground Zero" einen bitter ernsten und zweideutigen Beigeschmack. Der Entwurf für die Gedenkstätte auf Ground Zero, der in der vergangenen Woche vorgestellt wurde, wie überhaupt die New Yorker Diskussionen über den weiteren Umgang mit dem Areal des ehemaligen World Trade Center (WTC), sind ein guter Spiegel für Ambivalenzen zum Thema öffentlicher Raum und Erinnerungsort. Es geht um eine kollektive mentale Gravur in der Mitte der Stadt: Was hierzulande bei solchen Aufgaben durchaus die Regel ist, stellt in den USA eher die Ausnahme dar, nämlich die Auslobung eines Wettbewerbs. Die unglaubliche Zahl von 5.201 Arbeiten wurde im Sommer 2003 eingereicht, woraus die 13-köpfige Jury im November dann acht Favoriten herausfilterte. Nun wurde der Sieger gekürt. Und der stellte in doppelter Hinsicht eine Überraschung dar: Zum einen, weil es sich um einen vergleichsweise karg anmutenden, stringenten und jeglicher Gedächtnispädagogik abholden Entwurf handelt. Zum anderen, weil der Architekt Michael Arad und der Landschaftsgestalter Peter Walker weithin unbekannt sind. Ihren Vorstellungen gemäß sollen neben dem 533 Meter hohen Freedom Tower zwei annähernd quadratische Wasserbassins dort zum Mahnmal werden, wo einst die Zwillingstürme des WTC die Skyline Manhattans dominierten. Diese beiden foot prints haben indes wenig mehr zu tun mit jener "furchtbaren Leere", die Daniel Libeskind derart beeindruckte, dass er sie bei seinem Masterplan für das Gesamtareal zum konzeptionellen Herzstück machte. Die bereits legendären slurry walls, jene urtümlichen Betonwände, die das WTC wie eine Wanne umgaben, die nach der Katastrophe bloßgelegt wurden und auf Libeskind "so eloquent wie eine Verfassung" wirkten, diese Spundwände sollten als eine Art klaffender Wunde das vorrangige Symbol des Verlustes darstellen. Davon bleiben hier allenfalls einige schachtartige Gänge übrig, die zu dem festen Grund führen, auf welchem die Türme einst standen. Statt eines Kraters im Urzustand nun also eine hochgradig artifizielle "Leere" von nahezu klösterlicher Anmutung. Reflecting Absence haben die Autoren ihren Vorschlag getauft: eine Abwesenheit also, die physisch gespiegelt, über die aber auch nachgedacht werden soll. Und eine Negativform, die dem Realraum Konkurrenz macht. Um den konkreten Aspekten des Erinnerns zu genügen, und in Analogie zum Washingtoner Vietnam-Memorial, sollen die Namen jedes einzelnen Toten auf der umgebenden Steinbrüstung eingraviert werden. Ansonsten setzt der Entwurf ganz auf die beiden hofartigen Becken, in deren Mitte das Wasser abfließt. Er balanciert auf dem schmalen Grat zwischen aseptischer Entsinnlichung und einer auf subtile Mittelbarkeit zielenden Architekturkonzeption. Dass der Appell ans Gefühl unterlassen, dass kein skulpturales Pathos in Szene gesetzt, dass auch einer allzu ostentative Monumentalität entsagt wird: Dies will gerade in der US-amerikanischen Mahnmal-Kultur etwas heißen. Jener bewusste, unbeirrte Minimalismus, der insbesondere bei den Hinterbliebenen der Opfer auf erhebliche Kritik stößt, stellt einen Versuch dar, den ikonoklastischen Furor des 11. September gleichsam auf einer höheren Abstraktionsebene aufzufangen. Just damit bricht der Entwurf allerdings mit den üblichen Erinnerungs-Traditionen. Nun steht zwar New York ohnehin nicht im Verdacht, besonders vergangenheitsselig zu sein. Aber der Vorschlag des 34-jährigen Arad, Angestellter der städtischen Baubehörde, ist so zurückgenommen, dass er weithin bildlos und assoziationsarm wirkt. Was wiederum die Gefahr in sich birgt, dass sukzessive Änderungen vorgenommen werden. In der Tat hat die Jury bereits dekretiert, dass ein baumbestandener Garten jene mehrgeschossige seitliche Wand ersetzt, die den Wasserflächen als ruhender Komplementär hätte dienen sollen. Sie erschien ihr einfach als zu abweisend. Das vorgestellte Projekt stellt einen kalten Schnitt zwischen Bild und Geschichte dar, doch ist zu befürchten, dass die reale Form dem gewünschten Gedenken noch angepasst wird. Und die Ahnung eines "mehr Sein als Schein" droht dann schnell zu zerstäuben. Ground Zero bleibt ein Ort voller Ambivalenzen.

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