Die Bruttobezüge der rund 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner werden zum 1. Juli nicht erhöht. Minimale Lohnsteigerungen und neue Anpassungsformeln verhindern eine Rentenanhebung. Betroffen von der Nullrunde bei den Altersbezügen sind aber auch die über sechs Millionen Hilfebedürftigen der neuen Grundsicherung für Arbeitsuchende, da die Anpassung von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld ihrerseits an die Rentenentwicklung gekoppelt ist.
Paradigmenwechsel unter Rot-Grün
Mit der Riester-"Reform" aus dem Jahre 2001 und der Schmidt-"Reform" 2004 hat Rot-Grün endgültig Abschied genommen von der solidarischen Rentenversicherung. Deren Ziel ist seither ausdrücklich nicht mehr, nach einem "erfüllten Arbeitsleben" den bisherigen Lebensstandard zu
erigen Lebensstandard zu sichern, sondern die Beitragssätze stabil zu halten. Dieser Paradigmenwechsel hin zu einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik fordert seinen Tribut auf der Leistungsseite. Wer einen Höchstbeitragssatz zur allgemeinen Rentenversicherung von 20 Prozent bis zum Jahre 2020 und 22 Prozent bis zum Jahre 2030 gesetzlich vorschreibt, muss die Ausgabenentwicklung entsprechend dämpfen. Und die kassenwirksamste Ausgabenbremse ist zweifellos, die Renten immer weiter von der Lohnentwicklung abzukoppeln.Die amtierende Bundesregierung hat innerhalb weniger Jahre ganze Arbeit geleistet. Selbst wenn man die Neuregelungen bei der Besteuerung von Alterseinkommen und Vorsorgeaufwendungen durch das Alterseinkünftegesetz unberücksichtigt lässt: Ein Versicherter mit 45 Beitragsjahren, der im Jahr 2003 rund 70 Prozent des Durchschnittslohns erhalten hat, wird im Jahr 2030 nur noch 58,5 Prozent beziehen. Dieser Standardrentner ist allerdings ein statistischer Exot, denn der Durchschnittsrentner wird weniger in der Tasche haben. Weil weniger Ausbildungszeiten anerkannt werden, erreicht ohnehin kaum jemand mehr 45 Jahre Beitragszeit. Wie heute schon die allermeisten Frauen, so werden bei den künftigen Rentnern auch immer mehr Männer die Annahmen der Standardrente nicht erfüllen. Selbst das abgesenkte Standardrentenniveau wird also von der Masse der Versicherten gar nicht mehr erreicht werden können.Wie es dazu kam? Blicken wir kurz zurück ins Jahr 1998: Der damalige Kandidat und heutige Kanzler ließ im Bundestagswahlkampf keine Gelegenheit aus, um die Blümsche Rentengesetzgebung, die eine Absenkung des Rentenniveaus bis zum Jahre 2030 auf 64 Prozent bewirken sollte, als "unanständig" zu geißeln. Diese Grenze zur Unanständigkeit hat die rot-grüne Rentenpolitik inzwischen weit hinter sich gelassen. Die Nullrunde 2005 bietet insofern nur einen kleinen Vorgeschmack auf die Rentenentwicklung der Zukunft.Anders als die Nullrunde des Jahres 2004, die auf einer Aussetzung der Rentenanpassung beruhte, ist das Einfrieren der Rente im Jahr 2005 Ergebnis der rot-grünen Anpassungsformel. Diese schreibt zwar vor, dass die Bruttorenten entsprechend der Entgeltentwicklung des jeweiligen Vorjahres angepasst werden - allerdings modifiziert durch den so genannten "Riester"-Faktor und den neuen Nachhaltigkeits-Faktor (siehe Kasten). Beide Faktoren bewirken je für sich und erst recht in ihrem Zusammenspiel die politisch gewünschte Abkoppelung der Renten- von der Lohnentwicklung vorausgesetzt, die Durchschnittsentgelte steigen in nennenswertem Umfang; dies aber war 2004 (mit 0,12 Prozent in den alten und 0,21 Prozent in den neuen Ländern) nicht der Fall. So ist die diesjährige Nullrunde bei den Renten hauptsächlich der Stagnation der Arbeitsentgelte im Vorjahr geschuldet.Die Sicherungsklausel bremst nochAuf Grund der geringen Bruttolohnsteigerung 2004 trugen "Riester"-Faktor und Nachhaltigkeitsfaktor nicht erheblich zur Senkung der Renten bei. Eine gesetzliche Sicherungsklausel verhindert gegenwärtig noch, dass die beiden Faktoren zu einer Kürzung der Bruttorenten führen, solange Löhne und Gehälter zumindest stagnieren. Erst bei sinkenden Durchschnittslöhnen müssten der Anpassungsregel zufolge auch die Bruttorenten gekürzt werden. Eine Rentenkürzung ist nach geltendem Recht demnach nicht ausgeschlossen: wenn Löhne und Gehälter sinken, wäre die Kürzung begrenzt auf den Umfang des Rückgangs der Bruttoentgelte. So paradox es klingt: je geringer die Lohnsteigerungen, um so weniger sinkt das Rentenniveau infolge der rot-grünen Anpassungsformel. Ihre volle Wirkung hätten "Riester"- und Nachhaltigkeitsfaktor erst bei einer Lohnsteigerung von mehr als 1,26 Prozent (West wie Ost) entfalten können. Denn erst ab einer Lohnsteigerung oberhalb dieser Schwelle wären die Bruttorenten zum 1. Juli - eventuell minimal - erhöht worden.Auch in den kommenden Jahren dürfte eine verhaltene Lohnentwicklung die beabsichtigte Wirkung der beiden rentenniveausenkenden Faktoren bremsen. Damit aber geriete in Gefahr, was unter Rot-Grün festgezurrt worden ist: die politisch willkürlich gesetzte Obergrenze für den Beitragssatz. Schon fordern Einzelne, die Sicherungsklausel abzuschaffen und den Weg frei zu machen für fortgesetzte Bruttorentenkürzungen - so etwa der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, kurz vor dem "Job-Gipfel" Mitte März. Ohne die erwähnte Sicherungsklausel wären die Bruttorenten in diesem Jahr um 1,11 Prozent in den alten und 1,0 Prozent in den neuen Ländern zu kürzen gewesen.Gesundheitsreform fordert TributAb Juli mindert sich die Rente erstmals auch durch den zusätzlichen Beitragssatz zur Krankenversicherung in Höhe von 0,9 Prozent (siehe Freitag 25). Im Gegenzug sind die Krankenkassen zwar gesetzlich verpflichtet, den allgemeinen Beitragssatz um 0,9 Prozent-Punkte zu senken, so dass lediglich eine zusätzliche Nettobelastung in Höhe von 0,45 Prozent der Bruttorente bei den Rentnern verbliebe; bei einer Reihe von Kassen ist allerdings bereits sicher, dass der gesetzlich vorgeschriebenen Beitragssatzsenkung unmittelbar eine Beitragssatzerhöhung folgt, so dass die Belastung der Versicherten und Rentner am Ende deutlich höher ausfallen wird.Doch sehr viel weit reichender als die Kürzung, die durch zusätzliche Kassenbeiträge entstehen, ist die perspektivisch drastische Senkung des Rentenniveaus. Nicht ohne Anlass sprach der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger in einer ersten Reaktion auf den rot-grünen Nachhaltigkeitsfaktor von einem "nach unten offenen Rentenniveau". Mit den unter Rot-Grün vorgenommenen Weichenstellungen wird die solidarische Rentenversicherung sehenden Auges gegen die Wand gefahren. Wenn selbst eine erwerbslebenslange Beitragszahlung am Ende nicht einmal mehr eine Alterssicherung garantiert, die deutlich oberhalb des Sozialhilfeniveaus liegt, gerät die soziale Rentenversicherung in eine tiefe Legitimationskrise. Und die ist heute bereits absehbar. - Ein Zyniker, wer darauf verweist, dass es zu einer solchen Konstellation gar nicht erst kommen werde, weil vorher die Sozialhilfe gekürzt würde.Johannes Steffen ist Referent für Sozialpolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen. Mehr zum Thema unter: www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik/Nachhaltigkeitfaktor: Ab 1.7.2005 wird die Rentenerhöhung um den Prozentsatz reduziert, um den die Zahl der Beitragszahler (im Verhältnis zu den Rentnern) fällt. Bis 2020 soll das Niveau der Durchschnittsrente jedoch nicht unter 46 Prozent, bis 2030 nicht unter 43 Prozent fallen.Riester-Faktor: Seit 2003 verringern sich die Rentenerhöhungen um den Prozentsatz, den die Erwerbsbevölkerung für die staatlich geförderte private und betriebliche Altersvorsorge aufbringen muss.