Es ist ein dreistöckiges Eckhaus mit aufgemalter Jahreszahl 1939. Wie eine dunkle Festung liegt es an der großen Straße, die aus der Stadt nach Süden führt. Blankpolierte Eichenholzstufen führen nach oben, die Wohnung liegt im ersten Stock. Sie kostet weniger als mein Zimmer in der Stadt, aus der ich komme.
Die Mieter grillen zusammen, hatte der Hausmeister gesagt, als wir auf dem Balkon standen und hinunter in den Garten sahen. Eine richtige Hausgemeinschaft.
Als ich einziehe, öffnet sich die Wohnungstür gegenüber. Die Frau trägt einen Synthetikkittel. Sie hat einen kleinen, runden Kopf mit ordentlich gelegten Locken. Sie sagt, dass sie an diesem Samstag noch einmal die Hausordnung übernimmt, damit ich mich in Ruhe einrichten kann. Am n
ichten kann. Am nächsten Samstag bin ich dann dran. Sie geht zurück in ihre Wohnung. Auf dem Schild an ihrer Tür steht Penzel und Kufe.Über mir wohnt eine Mutter mit drei Söhnen, die alle gleich aussehen und auf dem Fußboden herum trampeln. Das stört mich nicht. Mich stört, dass ich unten hören kann, wenn sie oben ihre Toilette benutzen.Frau Penzel fängt mich im Flur ab. Wo meine Familie ist, will sie wissen. Ob ich alleine in dieser Wohnung lebe, wo ich herkomme, was ich arbeite. Ich sage, dass ich in Eile bin und ziehe die Tür hinter mir zu.Seit gestern bin ich dran mit der Hausordnung. Ich stelle fest, dass ich keinen Aufsatz für den Wischmopp habe. Ich fege kurz durchs Treppenhaus und versuche, dabei möglichst wenig Lärm zu machen.Ich werde von lauten Geräuschen im Treppenhaus geweckt. Frau Penzel macht die Hausordnung. Ich warte, bis sie fertig ist, bevor ich die Wohnung verlasse. Industriell nachempfundener Pfirsichduft erfüllt den Hausflur. Es regnet, und ich fahre hier zum ersten Mal mit der Straßenbahn. Die Sitze sehen aus wie Kindersitze. An den Stangen zum Festhalten gibt es einen Druckknopf, darüber steht Bitte Fahrgastwunsch betätigen.Frau Penzels Stimme dröhnt durchs Treppenhaus, ihre Tür fällt ins Schloss. Aus dem Fenster sehe ich, wie ein hagerer Mann mit einem Baumwollbeutel über die Straße zum Bäcker geht. Herr Kufe, nehme ich an. Ich habe immer noch keinen Mopp. Immerhin habe ich schon ein spezielles Holzbodenpflegeprodukt. Es war im Supermarktregal mit einem Wappen gekennzeichnet und mit dem Slogan Ich bin von hier.Vor meiner Wohnungstür finde ich einen akkurat zusammengekehrten Staubhaufen. Ich lege meine Fußmatte darüber. Am nächsten Morgen bin ich spät dran. Obwohl ich die Wohnung leise verlasse, spüre ich Frau Penzels Blick durch den Spion in ihrer Tür.Als ich nach Hause komme, klebt an meiner Tür ein Zettel. Frau Penzel teilt mit, dass es mein Dreck ist und dass sie meine Hausordnung zum letzten Mal übernommen hat.Der Rauch aus dem Garten zieht durch die offenen Fenster, und das laute Gelächter stört mich beim Lesen, aber es ist zu heiß, die Fenster zu schließen. Ich gehe spät ins Bett. Draußen reden und lachen sie bis tief in die Nacht.Es zirpt in meiner Wohnung. Ich kann es nicht lokalisieren, denn wenn ich näher komme, wird es still. Es kommt aus dem Badezimmer und klingt wie eine verirrte Grille. Ich finde sie nicht.Der Hausmeister ruft an. Frau Penzel ist eine ältere Dame, an ihre Ordnung gewöhnt, da muss man Rücksicht nehmen. Ich habe noch eine knappe Stunde Zeit, bevor ich zum Bahnhof muss. Ich fege und wische ein paar Mal gegen ihre Tür.Obwohl ich über das Wochenende die Balkontür offen gelassen habe, ist die Grille noch da, als ich wiederkomme. Sie hat sich unter der Badewanne verkrochen, hinter der Verschalung. Das Geräusch wird durch den Hall verstärkt und dröhnt durch die Wohnung. Ich versuche, sie herauszubekommen, mit einem Besen, einem Handfeger und einem Kehrblech, ich erwische sie nicht.Wegen einer Grille kann ich keinen Kammerjäger bestellen. Ich rufe den Hausmeister an, mobil, weil ich ihn in seinem Büro nicht erreiche. Sie werden nicht glauben, wo ich gerade bin, sagt er, ich sitze auf dem Klo. Können Sie mich gleich noch einmal anrufen? Ich kann schwer einschätzen, wie lange Sie brauchen, sage ich, am besten, Sie rufen mich zurück, wenn Sie fertig sind. Er hat gerade nichts zu schreiben da, sagt er, und er hat meine Nummer nicht parat.Ich werfe meine Kündigung in den Briefkasten und kaufe mir eine lokale Zeitung für die Wohnungsannoncen. Im Treppenhaus treffe ich Frau Penzel. Sie fragt mich, ob ich eine Schrankwand brauche. Ich lehne dankend ab.Johanna Straub, geboren 1970 in Hamburg, lebt als freie Autorin und Filmemacherin in Berlin.