Was er vorführt, ist furchtbar. Weil es furchtbar ist, ist es auch komisch", schreibt Peter Brook über Samuel Beckett; während die in den fünfziger und sechziger Jahren abgebildete, kritisch analysierte oder komödiantisch reflektierte Welt der damaligen Dramen heute eher alt aussieht, haben dessen Stücke "die Eigenart von Panzerwagen und Idioten - man kann sie beschießen, man kann sie mit Crèmetorten bewerfen: sie setzen ihren Weg gelassen fort." Das gilt auch für Happy Days. Glückliche Tage, dieses scheinbar außerhalb jeder Tradition und jedes national-kulturellen Kontexts stehenden Stückes, das seit 1961 überall - in New York oder London, Berlin, Paris oder Mailand - mit demselben präzise vorgegebenen Bühnenbild,
d, denselben Requisiten, denselben bis ins Detail vorgeschriebenen Augen-, Mund-, Hand- und Körperbewegungen der beiden Schauspieler fasziniert und zugleich irritiert. "Wir lassen uns ja noch immer", so noch einmal Peter Brook, "auf einen Theaterabend ein in der frommen Hoffnung, dass noch ehe zwei Stunden um sind, der Dramatiker eine Lösung präsentiert haben wird. Zwar würden wir nicht im Traum daran denken, seine Lösung auch zu akzeptieren (gesetzt den Fall, er teilte sie uns mit); aber ein seltsam schizophrener Denkvorgang setzt uns in die Lage, weiter auf diese Lösung zu warten." Mit Warten auf Godot hatte Beckett bekanntlich seinen Weltruhm begründet.Die Bühne besteht aus einem einzigen strahlend-hellblauen, unendlichen Himmel über verbrannter Erde und dem inzwischen fast berühmt zu nennenden Hügel, in den eine Frau mittleren Alters, blond, Arme und Schultern frei, bis zur Hüfte eingebettet ist; sie schläft. Das erste, was wir hören, ist ein schrilles, langanhaltendes Klingeln, dann nach einer Pause ein zweites. Dann endlich das erste gesprochene Wort: "Wieder ein himmlischer Tag." Woher das Klingelzeichen kommt - wir erfahren es nicht. Im zweiten Akt ertönt das Signal öfter - ein direkter Bezug zum gesprochenen Wort ist nicht erkennbar, obwohl die Protagonistin von einer "Klingel zum Schlaf" spricht, auf den sie sich vorbereitet. Es wird erkennbar: Sie ist abhängig, unterliegt einer fernen Kontrolle, steht in Bezug zu irgendeiner Form von Transzendenz - sie weiß es, und weiß es wiederum nicht. Von "große Gnaden, große Gnaden" spricht sie an Punkten, wo ihr unzusammenhängend-zusammenhängendes Gerede besondere Leerstellen erreicht. Einmal fällt das Wort "Gott" - da hat sie eine ihre Eier tragende Ameise gesehen und muss darüber lachen, dass da offensichtlich Leben weitergehen soll: "Wie kann man den Herrn besser verherrlichen, als indem man mit ihm über seine kleinen Witze kichert, vor allem aber über die faulen?" Das Stück ist ein einziger, großer Monolog über nichts, über das alltägliche Nichts. Beim Lesen ist man leicht frustriert von der Monotonie der Banalität dieses Gequassels, das mit Regieanweisungen für Mimik, Kopf- und Körperbewegungen geradezu überladen ist - auf der Bühne aber und vor allem durch die Person Jutta Lampes beginnt dieser karge Text zu leben. Da setzt diese großartige Schauspielerin eine stimmliche und mimische Variationsbreite ein, die das unbewusste Unglück der vorgeblich glücklichen Frau hör- und sichtbar macht, ohne deswegen zur Psychologisierung zu werden, die Beckett ganz fremd wäre. Und es stellt sich nun, wo wir Lampe diese alltäglichen Versatzstücke der Oberflächlichkeit sprechen hören, heraus, dass dieses Gerede keineswegs so banal ist, wie es die bloßen Worte nahelegen. Unter und vor allem zwischen ihnen eröffnen sich Abgründe und Vieldeutigkeiten, eine unaufgeklärte Vergangenheit mit dem anwesend-abwesenden Mann Willie (Urs Hefti) wird ahnbar, die aber auch wiederum das Individuelle übersteigt und die Frage ans Publikum zurückgibt: Wo liegt die Auflösung des Rätsels dieser zeitübergreifenden Typisierung? Etwa in jenem Revolver, diesem neben Schirm und Tasche wichtigsten "Ding" ("das sage ich immer, Dinge haben ein Leben"), mit dem man alles zu Ende bringen kann: vorzeitig.Aber sie werden es nicht tun, weder Winnie noch Willie, dessen letzte Anstrengung diesem Revolver gegolten haben mag: Denn das Ende dieser Menschen ist auch so absehbar - die Natur ist schon zu einer Wüste unter glühender Sonne verbrannt, die "von Stunde zu Stunde sengender" wird. Winnie lebt auf den Tod hin, ist im ersten Akt schon halb, im zweiten bis an den Hals begraben - Glückliche Tage ist ein Spiel vom Sterben und vom Tod, dem man rückblickend "trotz allem" Lebenswertes abgewinnen kann: "Dies ist ein glücklicher Tag, dies wird wieder ein glücklicher Tag gewesen sein." Denn: "Es bleibt immer etwas übrig. Etwas bleibt übrig ... O ja, große Gnaden." Was das ist - Beckett sagt es nicht, weil er es nicht weiß. Er ist ehrlich mit seiner unbarmherzigen Wahrhaftigkeit. Auch woher das bedeutende Klingelzeichen kommt, weiß er nicht - aber er weiß, dass es eines gibt, Winnie hört es, ihr Mann Willie nicht. Nicht alle hören es - es sei denn, wir hören hin, auch auf das Gequassel der Alltäglichkeit.An dem Punkt aber macht die Regie (Edith Clever) einen folgenschweren Eingriff, der die suggestive Offenheit des Stückes fast tödlich verletzt: Sie behauptet nämlich zu wissen, woher jene Klingelzeichen kommen, die diesem Symbolstück die Dimension der Transzendenz einschreiben. Mit einer einzigen kleinen - und von Beckett nicht vorgesehenen - Zutat teilt sie mit, dass wir hier einem Theater im Theater oder auch einer Fernsehaufzeichnung beiwohnen, womit sich die geheime Ambivalenz der unsichtbaren Vertikalen dieses Monologs auflöst und einen Adressaten bekommt: Links oben hängt im Innern des Bühnenrahmens die Attrappe eines Strahlers zum bühnengerechten Ausleuchten der Szene. Den sollte man rasch entfernen.
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