Große Koalition auf ewig

Italien Silvio Berlusconi hat bei der Abstimmung über den Fortbestand des Kabinetts verloren. Doch Italien hat deswegen nicht zwangsläufig gewonnen
Ausgabe 41/2013
Enrico Letta (li) mit Innenminister Angelino Alfano
Enrico Letta (li) mit Innenminister Angelino Alfano

Foto: Andreas Solaro/ AFP/ Getty Images

Wird jetzt alles gut? Silvio Berlusconi verliert seinen Sitz im Senat, bald muss er einen einjährigen Sozialdienst (oder Hausarrest) antreten. Sogar das eigene Lager hat ihm demonstrativ die Gefolgschaft versagt. Es kam zur Palastrevolte gegen jemanden, der noch Ende September fünf Minister zum Rücktritt genötigt hatte. Selbst am Tag der Entscheidung über den Fortbestand des Kabinetts schien das unvorstellbar.

Bei einer Regierungskrise in Rom gab es selten einen derart klaren Verlierer. Nur wer ist der Gewinner? Diese Frage lässt sich weniger klar beantworten. Sicher, Premier Enrico Letta und die Demokratische Partei (PD) können weiter regieren, die Große Koalition mit dem Volk der Freiheit hat Bestand, Neuwahlen sind erst einmal vom Tisch. Die Chance eines – wenn auch minimalen – Politikwechsels ist freilich ebenfalls dahin. Denn die von Letta favorisierte neue Mehrheit aus Demokraten, der liberalen Mitte um Mario Monti, einigen Berlusconi-Dissidenten und Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung wurde durch Berlusconis Kapitulation verhindert. Was bleibt, ist die größtmögliche Koalition. Doch erscheint es zweifelhaft, ob die sich wenigstens auf ein Minimalprogramm verständigt. Zum Beispiel ein Wahlrecht reformiert, das zu unterschiedlichen Mehrheiten in beiden Parlamentskammern geführt und den Wählerwillen verfälscht hat.

Stattdessen geht es weiter wie bisher. Schon Lettas Rede vor der Vertrauensabstimmung strotzte vor Selbstzufriedenheit: Man sei auf gutem Wege, der Aufschwung in Sicht, der Haushalt stabilisiert. Nachdem die Jugendarbeitslosigkeit im September auf 40 Prozent angestiegen war, klang das in den Ohren der dauerhaft Abgehängten wie Hohn. Nennenswerte Initiativen zur Linderung der Not nannte Letta nicht – den „Erfolg“ seiner Politik misst er wie sein Vorgänger Monti am „gewachsenen Vertrauen der Finanzmärkte“, der EU-Partner und besonders Deutschlands.

Aus "Weiter so" wird ein Rollback

Dem „Weiter so“ in der Tagespolitik könnte ein strategisches Rollback von historischem Ausmaß folgen. 20 Jahre nach dem Zerfall der jahrzehntelang dominierenden christdemokratischen Quasi-Staatspartei Democrazia Cristiana gibt es Anzeichen für ihre Reanimation. Und das nicht nur im rechten Lager, wo man sich längst auf die Zeit nach Berlusconi eingestimmt hat. Wird eine rechte absolute Mehrheit immer unwahrscheinlicher, hängt alles von der Bündnisfähigkeit gegenüber Mitte-Links ab. Und für die steht neuerdings Berlusconis bislang treuer Vasall Angelino Alfano. Der zählt zu seinen Ansprechpartnern in der PD – neben Letta – auch den Bürgermeister von Florenz und neuen Hoffnungsträger Matteo Renzi. Alle drei wurden einst in der Democrazia Cristiana politisch sozialisiert. Dass sie die etwa neu gründen wollten, sei nicht zu befürchten, kommentiert die linke Tageszeitung Il Manifesto. Vielmehr müsse noch Schlimmeres befürchtet werden: Es entstehen zwei christdemokratische Parteien, die Italien jahrzehntelang als Große Koalition regieren.

Wer den Ton angeben würde, zeigte sich in den Tagen nach der Katastrophe von Lampedusa. Es gebe keinen Grund, an dem rigiden Anti-Migrationsgesetz aus der Ära Berlusconi etwas zu ändern, befanden namhafte rechte Politiker. Premier Letta zog es vor zu schweigen.

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