Große Namen nützen nichts

Lauschangriff Ghettokids haben keine Ferienhäuser mit Blick auf den Atlantik oder: Was aus der Idee des Jazzfestivals beim Transfer nach Deutschland geworden ist

Vor bald 60 Jahren gründete George Wein in Newport ein Jazzfestival, das allen weiteren Jazzfestivals als Vorbild dienen sollte. Vor der Kulisse des Yachtclubs in Newport traf sich ein gut bestalltes Publikum und feierte Jazz und Rhythm and Blues. Schwarz war die Musik, und weiß der Stil. Ghettokids haben keine Ferienhäuser mit Blick auf den Atlantik.

Das Newport Jazz Festival hat Nachahmer gefunden, bürgerliche und weniger bürgerliche. Rotterdam, Montreux, London – die großen Festivals fahren auf, was abgesichert und teuer ist, und lassen nach einigen Jahren des Überbietungswettbewerbs um die größten Namen den Rahmen des Jazz zumeist hinter sich. In kleinerem Maßstab gilt das auch für die feine „JazzBaltica“ auf einem Gutshof bei Kiel oder das Jazzfestival Leverkusen bei Köln: Es gibt Geld, es gibt Stars, aber was es nicht gibt, ist eine ästhetische Idee. Kein Wunder, dass solche Festivals in diesem Jahr – in Abhängigkeit vom Grad ihrer öffentlichen Finanzierung – in Bedrängnis kamen: Unter dem Druck von Sparvorgaben denken viele Gemeinden und Länder darüber nach, Mittel für die Festivals teilweise drastisch zu kürzen.

Am anderen Ende des Spektrums stehen lokal orientierte Festivals, die nicht viel mehr wollen, als an einem Ort, in dem der Jazz sonst übersehen wird, ein, zwei Abende lang ein wenig Jazz zu präsentieren und örtlichen Musikern die Chance zu bieten, einmal neben großen Namen auf dem Plakat zu stehen. Sechs Jahre lang waren die Hamburger Jazztage ein solches Festival, engagiert und bemüht, aber nicht mit den Mitteln ausgestattet, um den Bann zu brechen, der in der Hansestadt über dem Jazz zu liegen scheint.

Wie man sich gegen die Krise wappnet

Was vielversprechend begann, nutzte sich bald ab. Angesichts der Aufmerksamkeitskonkurrenz in der Stadt wurde das Publikum von Jahr zu Jahr schütterer. In diesem Jahr schlugen die Hamburger Jazztage einen anderen Weg ein. Angeregt vom enormen Zuspruch des neuen Festival-Events „elbjazz“, das im Frühjahr mit Enthusiasmus, touristischem Bohei und großen Namen Sponsoren aus der Deckung gelockt hatte, versuchten sich die Veranstalter der Jazztage nun gleichfalls in der Montreux-Klasse. Sie zogen aus dem vertrauten Altonaer Umfeld in die Kampnagelfabrik, präsentierten einen spektakulären Reigen mit big names, Hamburgensien und entfernt Jazzverwandtem und betitelten das Ganze mehr großspurig als originell als „Überjazz“.

Und siehe da, man muss die Vorurteile über hanseatische Reserviertheit gegenüber gewagten Formen des Jazz noch einmal überdenken: Plötzlich gibt es in der störrischen Hansestadt Hamburg ein Publikum für Jazz, das mehrere Hallen zugleich füllt. Es drängt sich der Schluss auf, dass wer die äußeren Bedingungen schafft, dieses Publikum anzulocken, hier musikalisch vieles bewegen kann.

Zwei Eigenschaften scheinen hilfreich zu sein, Jazzfestivals in Zeiten, in denen die öffentlichen Schatzmeister die Truhen schließen, eine gewisse Stabilität zu geben. Zum einen: nicht zu stark abhängig von öffentlichen Zuwendungen zu sein. Elbjazz“ segelt prall auf Kurs. Zum anderen: mit durchdacht abenteuerlichem Programm aufzuwarten, das Tradition nicht mit blindem Engagieren der Altvorderen gleichsetzt und Innovation nicht mit jedem neuen Hype.

Wie bei „enjoy jazz“, einem Sechs-Wochen-Festival im Rhein-Neckar-Raum, das sich zur einsamen Spitze der deutschen Jazzfestivalszene, zum alljährlich an Pfingsten stattfindenden Moers Festival vorgearbeitet hat. Festivals von solchem Format sind nicht leicht verzichtbar. Qualität schützt eben doch.

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