Grüner als die Grünen werden? Streit um Klima und Soziales in der Linkspartei
Meinung Braucht die Linkspartei einen neuen Markenkern, der die Klimakrise mehr betont? Oder ist sie zunächst – und gerade jetzt – als Partei der einfachen Leute gefragt? Zwei Positionen zur Programmdebatte
Die erhobene Faust: Bald Symbol eines linken Klimakampfes?
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Pro
Der Wind bleibt rau, der den „Klimaklebern“ der Letzten Generation entgegenweht. Bundesjustizminister Marco Buschmann warnte schon zu Beginn der anhaltenden Verkehrsblockadewochen in Berlin vor „Weimarer Verhältnissen“, wo sich junge Menschen gewaltfrei auf der Straße festkleben und widerstandslos wegtragen lassen. Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner witterte „physische Gewalt“, Gesundheitsminister Karl Lauterbach sorgte sich schrill um die Durchfahrt von Rettungswagen, obwohl eine Gasse für die längst Aktionskonsens ist. Und dieser Tage nennt Verkehrsminister Volker Wissing die Aktionen „intolerabel und kriminell“, nachdem er sich – immerhin – mit der Gruppe getroffen hatte. Aber sollten Regierung
en Regierungsmitglieder nicht dafür sorgen, dass die Bundesrepublik die verbindlichen Klimaziele einhält, zu denen sie sich verpflichtet hat?Aus linker Perspektive lässt sich einiges an den Aktionen der Letzten Generation kritisieren. Vor allem irritiert es, dass sie sich nicht symbolisch mit den Schaltstellen der Macht und des globalen Kapitalismus anlegen. Stattdessen bringen sie jene breiteren Bevölkerungsteile gegen sich auf, um deren Unterstützung sie eigentlich werben. Dennoch sollte man erwarten, dass Linke ihre Bedenken erst einmal zurückstellten und sich solidarisch mit den Aktivist:innen zeigten, da sie einer öffentlichen Kriminalisierung nicht schutzlos ausgeliefert werden sollten.Diese Solidarisierung findet gegenwärtig aber nur unzureichend statt. Laut dem Politbarometer des ZDF vom 21. April gehen für 61 Prozent der Wähler:innen der Partei Die Linke die vom Sender als illegal gelabelten Blockaden zu weit. Vor allem im linkskonservativen Umfeld von Sahra Wagenknecht wiederholt man geradezu mantrahaft, dass die politische Linke nicht „grüner werden dürfe als die Grünen selbst“. Statt zu erörtern, was für die Durchsetzung einer ökologisch nachhaltigen und sozial gerechten Gesellschaft das Richtige wäre, orientieren sich die Linkskonservativen an solchen Umfragen und versuchen, populistisches Kapital aus solchen Stimmungen zu schlagen.Die enge Schnittstelle ökologischer und sozialer FragenDies ist aber politisch falsch. Die Linke hat auf der einen Seite viel zu verlieren, wenn sie sich der Menschheitsaufgabe der Klimagerechtigkeit nur unzureichend widmet. Auf der anderen Seite hätte sie aber einen Markenkern zu gewinnen – und dies bei einem Thema, das zunehmend Relevanz bekommt und sämtliche politischen Fragen absehbar überlagern wird. Die enge Schnittstelle von ökologischer und sozialer Frage ist der Ort, an dem linke Profilbildung stattfinden kann. Klimaschutzmaßnahmen gehen nur allzu oft einseitig zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung und die vorherrschende Vorstellung, dass ein umweltbewusster Konsum dazu geeignet sei, die Umweltkrise zu lösen, schreit geradezu nach einer radikalen Ideologiekritik des ökonomischen Liberalismus im Anschluss an Karl Marx.Die Linkspartei muss deutlich machen, dass die Folgen des Klimawandels nach Klasse und Geschlecht ungleich verteilt sein werden. Und sie muss genau vor diesem Hintergrund Menschen organisieren und politisch in Bewegung setzen. Ansonsten kann sie an einer Hand abzählen, wen die Auswirkungen von Ernteausfällen, von Hitzewellen und Überschwemmungen treffen werden – und wen wiederum nicht.Die Aufgabe der gesellschaftlichen Linken und ihrer Partei ist es, die Tür zu einer anderen Gesellschaft offenzuhalten. Umfassende materielle Einschränkungen werden auf uns alle zukommen, wenn die Umweltkrise auf einem gesellschaftlich bearbeitbaren Niveau gehalten werden soll. Ohne eine positiv ausformulierte gesellschaftliche Alternative, die etwas im Gegenzug anzubieten hat – nämlich mehr Gleichheit, mehr Menschenwürde und radikale Demokratie –, wird dafür kaum Akzeptanz zu erzielen sein. Es wäre daher gut, zeitnah anzufangen, eine entsprechende Vision konkret auszubuchstabieren. Velten SchäferContraAuch beim Klimabewusstsein zeigt sich die soziale Schere: Laut etwa dem Datenreport der Bundeszentrale für Politische Bildung sinkt es jüngst in den unteren Klassen, während es bei Besserverdienenden im Schnitt steigt. Damit muss sich die Linke befassen. Denn obwohl sie sich auch auf progressive Intellektuelle stützt, ist sie ohne Lohnabhängige und Lohn-Abgehängte irrelevant.Wieso also ist gerade denen die Klima-Misere unwichtiger, die weniger zu ihr beitragen und mehr unter ihr leiden? Wahr bleibt der Slogan vom „Ende des Monats“ und dem „Ende der Welt“. Seltener diskutiert wird ein konkreterer Zusammenhang: Der Klimadiskurs ähnelt formal ganz frappierend dem Sound jenes neoliberalen Großangriffs, der seit 2000 das Dasein derer da unten – Hartz IV, Niedriglohn, Altersarmut – entscheidend prägt.Machtvoll wurden und werden Einschnitte gepredigt, um ein großes Ganzes zu „retten“ – erst den „Standort“, nun die Welt. Objektiv alternativlos sei das, so heißt und hieß es. Sinnähnliche Abwertungen der einfachen Leute schwingen mit: Erst die bräsige „Besitzstandswahrung“, nun die Vogel-Strauß-Canaille – bratwursttrotzig in den Abgrund! Und ein Ende ist nie in Sicht. Bei der Standortrettung verflog die Aussicht rasch, es sei ein überschaubares Jammertal. Bei der Weltrettung wird das nicht mal versprochen. Dieser Gleichklang stiftet jene Skepsis im unteren Drittel: Man hält das Ganze für nicht ganz lauter.Nun war der „Standort“ Klassenkampf von oben, die Erderwärmung ist real. Die Linke kann aber kein neues Wahlvolk im Internet bestellen. Um ihre Leute beim Klima „mitzunehmen“, muss sie das zertrümmerte Vertrauen in ein gesellschaftliches Wir reparieren. Sie muss für eine Politik der Sicherheit stehen, gerade in unsicheren Zeiten. Der Sicherheit, dass „wir müssen“ nicht wieder „ihr müsst“ heißt und Lasten die Belastbaren treffen. Es geht um „rote“ Politik, die dem Ende des Monats den Schrecken nimmt: Wohnen, Rente, Pflege, Daseinsvorsorge und Nahverkehr.Das ist kein Beiwerk, sondern Bedingung einer sozialökologischen Umgestaltung. Erstens braucht diese einen stabilen „historischen Block“ – mithin ein mobilisiertes unteres Drittel. Zweitens drängt nur rote Politik den Profit zurück und schafft überhaupt Gestaltbarkeit. Und drittens funktioniert sie an der Urne, wie jüngst im Nachbarland die wilden Erfolge der KPÖ zeigen – bewirkt von jungen Aktiven, die sich von Grün nach Rot bewegt haben.Soziales und Klima bilden keinen WiderspruchDie Sache ist: Man muss sich entscheiden. In Krisen ist Politik ein Kräftemessen. Vor der Ampel brachte Ulrike Herrmann in der taz die herrschende Klimapolitik auf die Formel „Die Armen dürfen zahlen“; das neue Heizgesetz bestätigt die Tendenz. Wer das ändern will, braucht jetzt keine Papiere über das „Mitdenken“ der Armen – sondern muss diese als solche organisieren, damit dazu ein Anlass besteht. Absurd die Idee, gerade jetzt am „Markenkern“ herumzuschrauben, wo den Leuten die Ausgaben enteilen. Eine Marke hat nur einen „Kern“. Klar muss er sein – wie die Gruppe, auf die er zielt. Erfüllt ein in grünen Gefilden eierndes „Ja, aber“ diese Bedingung?Gewiss bilden Soziales und Klima keinen Widerspruch. Aber das Wie ist hier ein Unterschied ums Ganze. Einen eigenen, roten Zugang zur Klimapolitik findet nicht, wer noch schwärzere Szenarien malt, bei technologischen Umstiegsagenden ein paar Jahre drauflegt oder jenen, die aus Gründen Misstrauen hegen, „Rechtsoffenheit“ nachsagt. Rote Klimapolitik muss die Finger vom Kulturkampf lassen. Vielleicht muss sie heute nicht mal so heißen.Statt also die Bratwurst zu verteufeln, könnte sie sich exemplarisch die Bahn vorknöpfen. Der Ausfall dieser Klimaretterin hat ja mit einem Brett zu tun, das gerade Grüne nicht gern bohren: ihre Verwandlung von einer öffentlichen Infrastruktur in eine Aktiengesellschaft. Was, wenn sie nicht „unternehmerisch“ dächte?Dies alles fragt und schreibt, um das übliche Klischee zu zerstreuen, übrigens kein verkappter Pferdestärken-Nazi – sondern ein autofreier Lastenrad-Papa aus einem Berliner Innenstadtbezirk. Stefan KalmringPlaceholder authorbio-1