Grundrecht bricht Hausrecht

Demonstrationen Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass in Bahnhöfen und Flughäfen jederzeit demonstriert werden darf. Was aber ist mit Orten wie dem Berliner Sony Center?

In den Bahnhofs- und Terminalhallen wird es wieder bunter werden: Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass auch Unternehmen wie die Deutsche Bahn AG oder Flughafenbetreiber wie die Fraport AG unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind. Sie werden es zukünftig generell hinzunehmen haben, wenn Bürgerinnen und Bürger in den Bahnhöfen und Schalterhallen Flugblätter verteilen oder demonstrieren wollen. Sie müssen ihre Hausordnungen ändern. Das Flugblattverteilen und Demonstrieren darf nicht länger von einer Genehmigung abhängig gemacht werden.

Damit relativiert das Bundesverfassungsgericht das Hausrecht der Betreiber deutlich und überträgt behutsam die Regeln des straßenrechtlichen Gemeingebrauchs auf privat betriebene öffentliche Räume. Wenn in städtischen Fußgängerzonen das Verteilen von Flugblättern und das Demon­strieren ohne besondere Zulassungserfordernisse erlaubt ist, dann muss das auch in öffentlichen Räumen, die von Privaten unterhalten werden, gelten.

Begrüßenswertes Urteil, vertane Chance

Es macht zukünftig keinen Unterschied mehr ums grundrechtliche Ganze, ob Flugblätter in einer städtischen Fußgängerzone oder auf einer privat betriebenen Konsummeile verteilt werden. Es darf nicht mehr sein, dass ein Hausrechtsinhaber wie die Deutsche Bahn AG nach Gutdünken die Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit untersagen kann.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist bemerkenswert. Sie geht aber nicht so weit, wie die Beschwerdeführerin es gefordert hat. Bemerkenswert ist das Urteil, weil erstmals anerkannt wird, dass die Grundrechte nicht nur den Staat, sondern auch gesellschaftliche Akteure direkt verpflichten können. Das ist sehr begrüßenswert. Denn das Urteil trägt der Tatsache Rechnung, dass die Privatisierung öffentlicher Aufgaben dazu führt, dass es nicht mehr hinreicht, nur den Staat als Adressat der grundrechtlichen Pflichten zu konzipieren, sondern dass grundrechtliche Gefährdungen auch von Privaten ausgehen können.

Leider bleibt die Entscheidung aber an dieser Stelle etwas zu zurückhaltend, indem das Gericht die unmittelbare Grundrechtsbindung von der Mehrheitsbeteiligung der öffentlichen Hand an einem Unternehmen abhängig macht. So bleibt die Frage offen, ob denn das Demonstrieren am Flughafen wieder verboten sein soll, wenn die Fraport AG nicht mehr zu 52 Prozent, sondern nur noch zu 49 Prozent in öffentlicher Hand ist. Auch was mit privat betriebenen öffentlichen Räumen wie dem Sony Center in Berlin ist, hat das Gericht nicht erwähnt. Damit hat es eine Chance vertan, den Strukturwandel der Öffentlichkeit grundsätzlich anzugehen.

Dennoch ist die Entscheidung ein Schritt in die richtige Richtung. Sie korrigiert eine eklatante Fehlentwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der das Hausrecht in privat betriebenen öffentlichen Räumen als quasi alleszermalmendes Metagrundrecht über die Kommunikationsgrundrechte gestellt hatte. Das macht es zukünftig auch in Bahn- und Flughäfen möglich, politische Forderungen einem allgemeinen Publikum zu Gehör zu bringen.

Andreas Fischer-Lescano ist Staatsrechtler. Er hat die Plagiate Karl-Theodor zu Guttenbergs entdeckt und veröffentlicht

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