Neulich, abends, als ich mein Fahrrad anschließe, komme ich zufällig mit meinem Nachbarn, so Mitte zwanzig, ins Gespräch. Wir wohnen beide im Hinterhaus eines 30-Parteien-Hauses in Neukölln und sind uns in den neun Monaten, die ich dort lebe, erst zweimal im Hausflur über den Weg gelaufen. Eine Gelegenheit, mich endlich mal mit Namen, und dazu gehört für mich auch ein Händeschütteln, vorzustellen. Vielleicht könnten wir uns danach ja sogar mal sonntags mit Zucker aushelfen.
Da stehe ich also, mit ausgestreckter Hand im Dunkeln unseres Innenhofes, plötzlich vor den Kopf gestoßen von der Tatsache, dass er diese Geste nicht erwidert. Er entschuldigt sich freundlich und erklärt mir, dass er Muslim sei und mir leider aus religiösen Gründen nicht die Hand geben könne. Ich verstehe es nicht. Und es gefällt mir nicht. Tausend Fragen schießen mir durch den Kopf. Hat der Mann keinen Respekt vor Frauen? Denkt er, ich hätte seine Hand nicht verdient? War ich in seinen Augen weniger wert? Aber wieso dann die Entschuldigung? Wenn er glauben würde, dass ich seine Hand nicht wert wäre, wäre ich dann eine Entschuldigung wert? Es ist das erste Mal, dass mir persönlich jemand nicht die Hand geben will, aber ich hatte schon von solchen Fällen gelesen. In einer Schule in Berlin-Pankow wollte ein strenggläubiger muslimischer Vater der Lehrerin seines Kindes nicht die Hand reichen. Der niederländische Fußballprofi Nacer Barazite verweigerte 2015 beim Interview nach dem Spiel einer Reporterin den Handschlag. Ein Imam wollte der CDU-Politikerin Julia Klöckner nicht die Hand geben. Alle diese Fälle hatten eines gemeinsam, sie provozierten Debatten über Frauenfeindlichkeit, Respekt und gescheiterte Integration. Aber warum ist Händeschütteln für uns überhaupt so wichtig? Was hat das mit Liberalität zu tun?
Eine Arbeitsgruppe des Weizmann-Instituts in Israel lud eine Gruppe von Menschen unter einem Vorwand ein, ihr Verhalten nach dem Händeschütteln zu beobachten. Dafür wurden die Versuchspersonen erst einige Minuten allein gelassen, anschließend begrüßt (mit und ohne Handschlag) und dann wieder allein gelassen. Ihr Verhalten wurde dann mit einer versteckten Kamera gefilmt. Die Personen, die mit der Hand begrüßt wurden, fassten sich danach doppelt so schnell in ihr Gesicht wie die Menschen, die zur Begrüßung nicht berührt wurden. Zudem rochen die Menschen danach unbewusst an ihrer Hand. Erstaunlich war, dass nach einer gleichgeschlechtlichen Berührung an der rechten Hand gerochen wurde, also an der Hand, die Kontakt hatte, während Personen unterschiedlichen Geschlechts an ihrer linken Hand rochen, die nicht berührt worden war. Die Chemie geht auch über den Geruch. Es scheint ein natürlicher Instinkt zu sein, der auch in Kulturen, in denen ein Handschlag eher unüblich ist, etwa durch einen Wangenkuss oder das Zusammenführen der Köpfe befriedigt wird. Der Geruch eines anderen Menschen ist das erste Indiz dafür, ob zwei Personen etwas füreinander übrig haben könnten oder nicht. Es beeinflusst die Partnerwahl.
Nonverbales Ritual
Händeschütteln Die Begrüßung oder Verabschiedung per Hand ist noch nie weltweit Sitte gewesen. In vielen Ländern Asiens zum Beispiel ist die Verbeugung üblich. Der Kopf gilt als Sitz der Seele und darf nicht berührt werden. Füße gelten als unrein, ebenso die linke Hand. Im Geschäftsleben hat sich der Händedruck zwar durchgesetzt, der feste Händedruck irritiert aber immer noch. In der ehemaligen DDR soll man häufiger die Hände geschüttelt haben als in Westdeutschland. Nicht erforscht ist, seit wann man sich überhaupt die Hände schüttelt. Menschen haben sich schon immer an Armen und Schulter berührt, belegt ist, dass schon die Römer und Griechen sich per Handdruck begrüßten. In Europa weigerten sich in den letzten Monaten oftmals Muslime, Frauen die Hand zu geben – aus religiösen Gründen. Aber auch in Englands Upper Class war die Verbeugung lange die präferierte Respektsbezeugung. Beim Händeschütteln werden viele Keime übertragen, auch Mediziner sehen das Händegeben daher kritisch und empfehlen nach jedem Guten Tag und Auf Wiedersehen per Hand gründliches Händewaschen. Katharina Schmitz
Durch eine Berührung entsteht immer Intimität. Ein Handschlag ist da wohl die distanzierteste Form, um körperlichen Kontakt herzustellen. Der Abstand ist größer als bei einer Umarmung, dennoch findet eine Berührung statt. Einem unbekanntem Menschen die Hand zu geben (so, wie ich es bei meinem Nachbarn tun wollte) versorgt uns mit ersten wichtigen Informationen, die uns dabei helfen, unser Gegenüber besser einschätzen zu können. Doch die Frage ist nicht nur, ob, sondern auch, wie man das tut. Handschlag-Typ „toter Fisch“? Entweder schüchtern, unsicher oder absolut desinteressiert daran, uns näher kennenzulernen. Ein sehr fester Handschlag, mit der eigenen Hand nach oben gedreht? Hier möchte jemand dominieren. Gerade in der Politik kann man das sehen. Beispiel Donald Trump. Der schüttelt wie ein Wilder fremde Hände und sein Gegenüber wirkt oft wie ein Kaninchen im Würgegriff einer Python. Man kann dabei zuschauen, wie sich seine Opfer winden und versuchen zu kämpfen, um anschließend entweder klein beizugeben, standzuhalten oder sogar die eigene Linke obendrauf zu legen. Aber auch nicht die Hand zu reichen kann viel aussagen. Wenn man die Theorie des Handschlags als Zeichen des Friedens anschaut, ist es nur verständlich, dass es erst mal wie eine Kampfansage wirkt, wenn ebendieser verweigert wird. Ein Handschlag sagt aus, dass wir unserem Gegenüber auf Augenhöhe begegnen. Außerdem kann er eine Geste des Zustimmens sein, wenn wir etwa Geschäfte miteinander machen. Die Redewendung „Jemandem die Hand reichen“ ist eine Metapher dafür, auf eine andere Person zuzugehen, nicht nur physisch sondern eben auch emotional. Außerdem wird es schlichtweg als unhöflich empfunden, in Deutschland nicht mit der Hand begrüßt zu werden – zumindest wenn es sich um Geschäftstermine oder erste Begegnungen handelt.
Die Haut fremder Frauen
Als mein Nachbar mir seine Hand verweigert, komme ich mir ein wenig lächerlich vor. Ich war auf einen anderen Menschen zugegangen und dieser hat mich abblitzen lassen. Nicht deshalb, weil es in seiner Kultur kein gängiges Begrüßungsritual ist, sondern weil ich eine Frau bin. Und das ist der entscheidende Unterschied. Er hat das bewusst entschieden, weil Männer und Frauen nicht gleichgestellt sind. An diesem Punkt wird es schwierig.
Als ich ein paar Minuten später mit zwei Freundinnen auf der Bank vor meinem Haus sitze und darüber grübele, wie ich mich fühlen soll, sehe ich meinen Nachbarn wieder herauskommen und hastig nach rechts abbiegen. Eine Stunde später, wir hatten uns gerade verabschiedet und ich bin dabei, die Haustür aufzusperren, steht mein Nachbar wieder hinter mir. In der Hand eine Schachtel mit türkischem Gebäck, und mit der Bitte, dass ich mir doch etwas nehmen solle. Da stehen wir nun beide, mit einem Keks in der Hand und einer Million Überzeugungen zwischen uns.
Ich erzähle ihm, dass ich mir nicht im Klaren darüber bin, wie ich seine Handlung einschätzen soll. Ob es mir gegenüber respektlos gewesen ist oder auf eine Art, die ich nicht so recht begreifen kann, womöglich sogar respektvoll gemeint war. Er schüttelt vehement den Kopf und erklärt mir, dass sein Glaube ihm vorgibt, eine Frau, mit der er nicht verheiratet ist, nicht zu berühren, was aber auf gar keinen Fall als Respektlosigkeit zu verstehen ist.
Warum verweigert ein Mann einer Frau die Hand? Die Motive sind verschieden. Und sollte dahinter ein feindlicher Blick auf Frauen stecken, darf man das nicht tolerieren. So wenig wie Taten, die unter dem Deckmantel einer Religion geschehen und anderen Menschen dabei Schaden zufügen. Aber mein Nachbar hat andere Gründe. Er hat gelernt, dass sich fremde Männer und Frauen nicht berühren sollen, ruft mir aber stets ein freundliches „Hallo“ zu und teilt seine Süßigkeiten mit mir. Dann sollte ich doch akzeptieren können, dass ich keinen Handschlag bekomme. Was soll Anpassung sonst bedeuten? Deutschland ist ein liberales Land und dazu gehören eben auch Religionsfreiheit und Toleranz gegenüber verschiedenen Lebensformen und Einstellungen. Es wäre falsch und übergriffig von mir, die Berührung eines fremden Menschen zu erzwingen. Ich brauche keinen Handschlag, um mich respektiert zu fühlen. Es gibt tausende Begrüßungsrituale in der Welt, es wäre kleinkariert, an einem einzelnen festzuhalten. Trotz allem aber steht die kleine Geste des Handschlags in diesem Fall für etwas Größeres.
Ich sehe in der Handlung, dass ein Mann einer Frau oder umgekehrt aufgrund des Geschlechts die Hand verwehrt, eine aktive Differenzierung zwischen den Geschlechtern im alltäglichen Umgang miteinander. Und das ist falsch. So eine Unterscheidung geschieht übrigens auch in Deutschland: Wenn der Lehrer „ein paar starke Jungs“ nach vorne ruft, um den mit Rollen versehenen Fernsehtisch von einem Klassenzimmer ins nächste zu schieben. Oder wenn kleine Jungs immer nur Spielzeugautos geschenkt bekommen und Mädchen dafür Puppen. Nur ist die Differenzierung da weniger deutlich sichtbar. Und vor allem schreit niemand auf.
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