Gruß von Murakami

Engelhaft Einmal nicht Berlin-Mitte: Jörg-Uwe Albig schreibt einen Roman über die Kreativen von Hamburg
Ausgabe 16/2013

Nein, nicht dass sie leer wäre, die Hohlkopfwelt. Sie ist geradezu übervoll, nur nicht mit dem, was der handelsübliche Homo sapiens mit sich herumträgt und was ihn hin und wieder sogar zu Recht zu demselben macht. Engel schweben zum Beispiel darin, lassen sich nieder – leider fehlt die Nadelspitze, auf der sie im Mittelalter zu Hunderten hockten –, geleiten und spornen an. Wie es gute Engel eben so tun sollen. Und dann sind darin noch ganz viele Spiegel, die sich spiegeln, die meisten nach innen gerichtet, wo sich ansonsten außer den nicht so recht sichtbaren Engeln kaum etwas tut, man sich dabei aber umso mehr spiegeln möchte.

Spiegel auch nach außen. Denn dieses Systemchen ist eine umfeldreflektierende, nicht im Sinne von Nachdenken freilich, sondern eine Zurück- und Einwerfen-, Beobachtungs- und Adaptionseinheit, amöbisch sich fortbewegend, im ständigen Lust-Unlust-Datenabgleich. Und darin glaubt dies Systemchen sich ganz besonders. Siehe oben: Von Engeln gesteuert.

Nein, das N-Wort, das Sesam-öffne-dich der Sozialpsychologie, benutzen wir jetzt nicht. Ja, das Ding tut sogar etwas. Es fotografiert. Alle die Seinesgleichen, die Schönen, Erfolgreichen, Angesagten, kurz, alle die Kreativkretins. Stella Sachs heißt das junge Astralwesen angenommener Auserwähltheit. Und: Nein, man findet es wider Erwarten nicht in Berlin-Mitte, sondern in Hamburg. Da passt es freilich auch viel besser hin. Und wahrscheinlich kennt der Schöpfergott dieser Homunkulin sich dort auch besser aus, war er doch mal Redakteur beim Stern.

Das Ding tut sogar etwas

Jörg-Uwe Albig hat bisher drei Romane vorgelegt, davon zwei, die spielerisch faszinierende, auch unheimliche Gegenwelten darstellten: Land voller Liebe (2006), der aus der fernen Karibik beobachtete Zusammenbruch der Bundesrepublik und deren Anschluss an die DDR, Berlin Palace (2010), ein meisterliches Stück über die gettoisierte Lebenswelt deutscher Arbeitsmigranten in China und die allmähliche Begeisterung der Chinesen für die strange Kultur dieser Barbaren. Allenfalls das Datum, 2032, war gelinde unwahrscheinlich.

Nun also Hamburg. Eine Art Hamburg 2.0, so, als ob man die Texte aller Kunst-, Mode- und Lifestylezeitschriften verquirlte, das Stella Sachs durchstreift. Ständig auf die Ansager und Nachplapperer der Zeichenbranche klickend, sozusagen als deren Bilder-Engel, immer dabei. Ein Mastertypus der Selbstspiegelnden, die die Vorstellung nicht ertragen, dass auch nur für einen Moment jemand ihnen nicht zusähe. Sie macht sich unentbehrlich als permanente Bebildnerin derer, die permanent in ihre Linse schauen. Bis ein Schmarotzer dieser Medienschmarotzersociety auftaucht und ihr Handy mitnimmt. Der geheimnisvoll geheimnisfreie Schmiddel, bekannt auch unter diversen anderen Namen. Und was passiert? Logo: Sie ihm nach und ab in die Anderwelt unter den Brücken, wo sie zur Schmarotzerin der Sozialschmarotzer wird, die natürlich irgendwie und irgendwo interessanter als die Medienschmarotzer, aber irgendwie und irgendwo dann aber auch wie die sind. Und das Systemchen bewährt sich, denn es ist seine eigene geschlossene Anstalt, die es auch nicht verlässt, wenn es die Milieus wechselt.

Nein, dies ist keine kontaminierte Gegen-, sondern eine keimfreie Hohlwelt. Stella Sachs erzählt ihr bisheriges Leben. Das ist die Garantie dafür, dass die Avatarin ihrer selbst aus ihrer engelhaften Rettung am Ende – deren Umstände wir für die, die es bis zum Schluss schaffen, nicht enthüllen wollen, obwohl der, wie überhaupt das Leben dieser Synthetin hochvorhersagbar ist – nichts an Schlüssen wird ziehen müssen, was ihr Leben und die Sicht darauf würde ändern müssen.

Nur: Erzählt so ein Ding? Wo sollte die transluzente Hochglanz-Amöbe die Energie dazu finden? Aber doch, sie muss es ja getan haben, denn niemand anders als ein so transzendenzbereinigtes, steriles Astralwesen könnte derart erzählen. Das simuliert zu haben, ist eine unheimliche Leistung des Autors Albig. Wer jedoch, außer dem zwangsbraven Kritiker, wird das bis zum Ende verfolgen, wo schon nach den ersten 30, 40 Seiten einem der Kopf wie eine Disco für quietschvergnügte Styroporkügelchen vorkommt? Möglicherweise die realen Co-Klone der Stella Sachs? Lesen die? Gut, es gibt bestimmt demnächst noch das Hörbuch. Dennoch bleibt es ein Mirakel. So wie es ein Mirakel bleibt, dass der viel bessere Autor Albig sich hier nicht nur in einen Murakami über, sondern auch für hirnfreie Hamburger Hipster verwandelt hat.

ueberdog Jörg-Uwe Albig Tropen bei Klett-Cotta 2013, 223 S., 19,95 €

Erhard Schütz ist Literaturprofessor

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