"Initiative neue soziale Marktwirtschaft" Mit 100 Millionen Euro, flächendeckenden Medienpartnerschaften und vielen kleinen Tricks wird Gehirnwäsche organisiert
Als "Big Boss" möchte er "ein bisschen blauäugig Missionar sein" und in der reformunwilligen Republik "Aufbruchsstimmung erzeugen", sagt Rainer Calmund zu seiner RTL-Show. Das gefällt auch den Machern der Internetseite www.chancenfueralle.de, die von der rheinischen Frohnatur wissen will, was Deutschland von ihm als einstigem Fußballmanager lernen kann. "Deutschland ist kein Fußballverein", so Calmunds geniale Antwort. Es folgen noch ein paar lockere Sprüche wie "nicht so viel jammern" oder "Ärmel hochkrempeln", und wenn es mal nicht so gut läuft, "gibt es eine Weile nur einmal Fleisch die Woche".
Wie Calmund wollen die Macher von "Chancen für alle" das Land verändern. "Deutschland braucht eine marktwirtschaftliche Erneuerung", so die Botsch
g", so die Botschaft der "Initiative neue soziale Marktwirtschaft", die jene Internetseite betreibt. Die PR-Strategen der "Erneuerer" arbeiten mit den Mitteln der integrierten Kommunikation. Das heißt, alle verfügbaren Kommunikationsinstrumente werden koordiniert eingesetzt. "Guerilla-PR" nennt man das im Insiderjargon. Im Wortsinn bedeutet Guerilla "kleiner Krieg", und Guerillatrupps waren in der Anfangszeit der Bewegung - etwa in Lateinamerika - schlecht bewaffnet. Durch Taktiken, die den Gegner überraschen, erzielen sie dennoch bemerkenswerte Erfolge. Diese Erkenntnis ist mittlerweile fester Bestandteil der Werbe- und PR-Branche und kann variabel eingesetzt werden, je nach Bedarf des Geldgebers.Ein wichtiger Kunde der Guerilla-PR ist Hans-Werner Busch, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Als er 1999 von einer Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie hört, sieht er düstere Wolken über dem Standort Deutschland: 42 Prozent der Deutschen, so die Meinungsforscher damals, halten einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus für richtig. "Darin sahen wir die Gefahr einer erheblichen Stagnation", sagt Busch später dem Berliner Politologen Rudolf Speth, der für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung an einer Studie über die "Initiative neue soziale Marktwirtschaft" arbeitet.Wie kann man dem Volk die Staatsgläubigkeit austreiben? Wer setzt wirtschaftsliberale Themen auf die Tagesordnung? Busch und seine Verbandsfunktionäre engagieren die Werbeagentur "Scholz Friends" aus Berlin, sie hat das überzeugendste Konzept eingereicht. Gesamtmetall stellt der Initiative einen Zehn-Jahres-Etat von 100 Millionen Euro zur Verfügung. Ursprünglich sollte sich die gesamte deutsche Wirtschaft beteiligen. Doch der Abstimmungsprozess dauert Busch zu lange, und so geht Gesamtmetall mit dem Slogan "Chancen für alle" im Oktober 2000 allein an den Start.Die kleine, aber schlagkräftige Geschäftsstelle in Köln gewinnt eine Reihe von Prominenten als Guerilleros der Marktwirtschaft: den ehemaligen Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer (CDU), den Unternehmensberater Roland Berger, die thüringische Ministerin Dagmar Schipanski (CDU), die Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin (FDP), die finanzpolitische Sprecherin der Grünen, Christine Scheel, den SPD-Medienpolitiker Peter Glotz, den früheren Verfassungsrichter Paul Kirchhof und viele andere. Die Botschaften sind schlicht. "Deutschland kann den Aufstieg schaffen", verkündet Fußballmanager Uli Hoeness. "Weniger Staat bringt mehr Netto", meint Oswald Metzger, Ex-Bundestagsabgeordneter der Grünen und Anfang dieser Woche zum "Distinguished Fellow" des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung berufen. "Deutschland schreit nach Reformen", wird einem Baby in den Mund gelegt. Oder im Stile einer Geschäftsaufgabe: "Heute muss alles raus: Bürokratie, Arbeitslosigkeit, Subventionen, Haushaltsloch, Sozialabgabenlast". Ein halbvolles Bierglas suggeriert: Das meiste schluckt der Staat.Rund 40 Mitarbeiter von Scholz Friends koordinieren die Aktivitäten: Anzeigen, Broschüren, Veranstaltungen, Fernsehbeiträge, Internetauftritte und gezielt platzierte Gäste in Talkshows. Ein bunter Strauß von Medienpartnerschaften sorgt für flächendeckende Reichweite. Die Zeitschriften Wirtschaftswoche, Impulse, Manager-Magazin und Hör zu, die Tageszeitungen Handelsblatt, Financial Times Deutschland, Die Welt, Magdeburger Volksstimme, Schweriner Volkszeitung und Neue Westfälische sowie die Fernsehsender n-tv und MTV - sie alle gehören zum Netzwerk. Und so werden Journalisten zu Lautsprechern der marktwirtschaftlichen Guerillatruppe.Geschäftsführer der Initiative ist der ehemalige Chefreporter der Financial Times Deutschland, Tasso Enzweiler, der zudem Geschäftsführer der Berolino PR GmbH ist, einer Werbeagentur, die den Verlag des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft betreut. Im Editorial von Initiative! Direkt, der hauseigenen Zeitschrift schreibt Enzweiler: "Die Vermittlung von Reformen bleibt ja nach wie vor eine große Herausforderung, bei der die Initiative jede Unterstützung braucht - auch von den Medien und Journalisten. Sie sind aufgerufen, Lesern und Zuschauern zuallererst komplizierte Sachverhalte und Zusammenhänge zu erklären."Was er nicht erklärt, ist der Missbrauch von Schülerinnen und Schülern der Kölner Journalistenschule. "Wir hatten den Auftrag, für die Initiative eine Image-Broschüre zu erstellen", so Schulleiterin Ingeborg Hilgert gegenüber dieser Zeitung. Wegen chronischen Geldmangels ist die Schule auf solche Aufträge angewiesen. Als Hilgert und die beteiligten Nachwuchs-Journalisten das fertige Produkt sehen, sind sie entsetzt. "Hätten wir vor Drucklegung die Zeitschrift zu Gesicht bekommen, wir hätten unsere Zustimmung verweigert." Da werde der Eindruck vermittelt, als seien investigative Journalisten am Werk gewesen. "Reform-Reporter", schreibt Enzweiler im Editorial, hätten "schrankenlos recherchiert" und die Initiative "unter die Lupe genommen". Davon könne überhaupt keine Rede sein, entrüstet sich Ingeborg Hilgert. Enzweilers Formulierungen seien unwahr und irreführend. Der Protest hat, wie zu erwarten, keine Wirkung. Im Gegenteil: die PR-Guerilla landet einen besonderen Coup. Initiative!Direkt erscheint als Beilage in der Oktober-Ausgabe des Journalist, also im Verbandsorgan des Deutschen Journalistenverbandes.
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