Gulag Guantanamo

Foltern mit Methode Erstmals von den USA schon während des Korea-Krieges erprobt

Erst war es das renommierte New England Journal of Medicine, das jüngst mit einem Bericht über Guantanamo und Ärzte, die dort als Folterberater tätig seien, Aufsehen erregte. Wenig später erschien im Intellektuellenblatt The New Yorker ein weiterer, ebenfalls hochbrisanter Artikel zum gleichen Thema. Ein Bericht, der die Behauptung der Bush-Regierung Lügen straft, das Foltern im Lager Guantanamo und in den Militärgefängnissen Abu Ghraib und Baghram sei die Ausnahme, nicht die Regel. Als Irreführung wurde auch die Behauptung bezeichnet, die Schuldigen säßen nicht ganz oben im Pentagon, sondern seien "am anderen Ende" zu finden - eine Handvoll Missetäter bestenfalls in den unteren Rängen.

Das Experiment hat die Reporterin Jane Mayer ihren Guantanamo-Artikel überschrieben. Was hinter diesem Titel steckt, zeigt auf elf Seiten dieser ungemein detaillierte Hintergrundbericht zu den Verhör- und Foltermethoden, mit denen in Guantanamo heute experimentiert wird, um die Gefangenen zu demoralisieren. Das geschehe planmäßig, nach einem durchdachten, wohlüberlegten System, heißt es im New Yorker. Keinesfalls handelten die Folterer - wie in zahlreichen Pentagonuntersuchungen suggeriert - in individueller spontaner Brutalität. Ihre gegen die Genfer Konvention verstoßenden Untaten seien gesteuert worden. Von Psychologen und von militärischen Geheimdiensten vorzugsweise, die ein unter Verschluss gehaltenes, aus dem kalten Krieg stammendes Programm verfeinert hätten. Eine Art Folterabwehrprogramm, das Anfang der fünfziger Jahre während des Korea-Krieges von der US-Luftwaffe unter der Bezeichnung SERE entwickelt worden sei.

Die Abkürzung SERE steht für "Survival, Evasion, Resistance, Escape" (Überleben, Ausweichen, Widerstand, Flucht). Das Überlebenstraining - verbunden mit der Fähigkeit zum aktiven Widerstand - wurde vorrangig für Piloten entwickelt, denen in Korea der Abschuss, eine Gefangenschaft und vermutlich Gehirnwäsche drohten. Je härter das Training, davon ging das Pentagon aus, desto größer die Chance durchzukommen. 15 Jahre später - im Vietnamkrieg - wurden als ähnlich gefährdet eingestufte Soldaten aller Waffengattungen durch das gleiche Programm geschleust.

Wer sich dem mörderischen Durchhaltetraining der SERE-Psychologen unterzogen habe - heißt es im New Yorker - musste Super-Stress-Situationen und akute Angstzustände ertragen lernen. Soldaten wurden bei Scheinverhören Kapuzen übergestülpt, sie wurden gefesselt, geschlagen und extrem kalten oder heißen Temperaturen ausgesetzt. Sie wurden in winzige Zellen gesperrt, durften kaum schlafen und mussten mit ansehen, wie die Bibel mit Füßen getreten oder zerrissen wurde.

Wem diese Foltermethoden bekannt vorkommen, und wer eine Verbindung zwischen der Bibelentweihung und den jüngst publik gewordenen und vom Pentagon heruntergespielten Koranschändungen sieht, täuscht sich nicht. Die Psychologen, die das SERE-Programm aktualisiert haben, um amerikanische Soldaten gegen Folter zu immunisieren, sind die gleichen Leute, die heute mit Ärzten und Psychologen kooperieren und im rechtsfreien Raum von Guantanamo versuchen, den Widerstand der internierten Muslime und mutmaßlichen Terroristen zu brechen.

Guantanamo sei ein "gigantisches Experiment an Menschen", wird der Anwalt eines australischen Häftlings zitiert, der seit Jahren nicht die Sonne gesehen hat. Er wird nur nachts ins Freie geführt. So sieht er nicht, dass Guantanamo hinter den Stacheldrahtbarrieren eine typische amerikanische Kleinstadt geworden ist. Mit Starbuck-Cafés und McDonalds, einem Golfplatz, gut besuchten Restaurants und einer fröhlichen Korallen-Bucht. Wie meinte Vizepräsident Dick Cheney kürzlich, als Amnesty International Guantanamo als "unseren zeitgenössischen Gulag" bezeichnete? "They are in the tropics" - sinngemäß übersetzt: "Die Gefangenen genießen ein tropisches Paradies!"


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