Klar haben Großraumbüros viele Vorzüge. Die Kommunikationswege sind kurz, verbesserte Teamarbeit kann zu guten Ergebnissen führen, und man kann immer gemeinsam Mittagessen gehen, aber ganz im Ernst: Manchmal gehen einem die lieben Kollegen auch tierisch auf den Geist, und man möchte einfach nur seine Ruhe haben. Niemanden sehen und nicht gesehen werden. Die Designstudentin Ina-Marie von Mohl hat hierfür ein Büroaccessoire entworfen, das den schönen Namen „Denk Mal“ trägt und aussieht wie ein großer Lampenschirm. Die aus schallschluckendem Akustikfilz gefertigte Tarnkappe stülpt man sich über, und schon ist alles weiß, ruhig und einsam. Nachteilig für den Arbeitgeber ist, dass der Mitarbeiter unbemer
Gummibaum und Diddl-Tasse
A-Z Büro Das Büro hat eigene Gesetze. Don't fuck the office, zum Beispiel. Was man braucht an diesem lebensfeindlichen Ort und wie man überlebt, steht in unserem Lexikon der Woche
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tgeber ist, dass der Mitarbeiter unbemerkt in seiner kleinen Welt Unsinn treiben kann. Wenn er ein Schläfchen hält, bleibt es von außen unbemerkt. Für klaustrophobisch Veranlagte ist der Schirm zudem ungeeignet. Ob er sich trotzdem durchsetzt? Sophia HoffmannDon’t fuck the officeWeil es den Job gefährdet, wie zum Beispiel bei US-Präsident Bill Clinton, den die Öffentlichkeit nicht wegen seiner Büroaffäre mit Monika Lewinsky, sondern wegen der Lüge danach abmahnte. Weil es Machtverhältnisse verschiebt, gerade wenn Verhältnisse über Hierarchien hinweggehen. Weil Parallelwelten entstehen, die den kollektiven Frieden stören. Weil plötzlich Themen besprochen werden, die so spannend sind und trotzdem am Thema vorbeigehen. Weil es unangenehm ist für alle Beteiligten, wenn man die Kollegen in der Besenkammer erwischt. Weil es bessere Orte dafür gibt. Weil es hinterher viel anstrengender ist, den Büroalltag miteinander auszuhalten, als das Verlangen zuvor. Weil vor lauter Nähe die produktive Distanz fehlt. Weil es viel zu wenige Kollegen gibt, die wirklich unbefangen mit Büroaffären umgehen können ... Es gibt so viele Gründe, es nicht zu tun. Ein einziger Grund fällt mir ein, davon abzuweichen: Liebe. Also tut es, wenn daraus etwas Großes entstehen soll. Ulrike BewerGrünzeugDie wahren Helden unserer Zeit sind grün und meistens hässlich. Sie heißen Drachenbaum, Ficus, Strahlenaralie oder Efeutute. Ihr Daseinszweck: den Schweiß und Staub vieler Millionen Schreibtischmenschen, ihren sauren Atem, ihre trüben Gedanken und schlecht sitzenden Anzüge in positive Lebensenergie umzuwandeln. Büropflanzen arbeiten unter widrigsten Bedingungen: wenig Licht, kaum Wasser, nie Dünger. Verliert eine von ihnen doch einmal die Fassung und wird dies bemerkt, erhält sie die fristlose Kündigung.In exklusiverem Ambiente, in den weitläufigen Lofts der Kreativ- und Finanzklasse, hat die gemeine Büropflanze natürlich nichts zu suchen. Hier reinigen von Botanikkünstlern ersonnene Hydrokulturen die Luft auch noch von den winzigsten pathogenen Keimen. Dieses Grünzeug kommt von weit her und hält sich für was Besseres. Das Proletariat ist jedoch in der Überzahl und macht, wie immer, die Drecksarbeit. Mark StöhrDa ein Großraumbüro geradezu das Gegenteil von Privatsphäre ist (➝Alleinsein), bietet es einen so guten Nährboden für Klatsch und Tratsch. Wo viele Menschen täglich auf engstem Raum aufeinander hocken, gibt es schließlich genug zu besprechen. Ob Firmenpolitisches, Beziehungsgeflechte innerhalb der Bürogemeinschaft oder einfach nur das neue, unmöglich gemusterte Hemd des Vorstandsvorsitzenden – Kommunikation ist wichtig und in einem gewissen Maß sicher förderlich, um die Arbeitsmoral aufrecht zu erhalten. Unangenehm wird es nur, wenn die feine Linie des gepflegten Lästerns überschritten wird und der Klatsch in Mobbing kippt. Das kann zu schweren psychischen und physischen Konsequenzen für Betroffene führen. Spätestens dann ist der Spaß zu Ende. SHKracauer, SiegfriedKaum ein Studierender der Geisteswissenschaften kam an ihm vorbei: Er begleitete die „kleinen Ladenmädchen“ ins Kino und schrieb das „Ornament der Masse“, symbolisiert in den synchron laufenden Beinen der Tiller-Girls, in den Kanon ein. Siegfried Kracauer war eine der Geistesgrößen der Weimarer Republik, den die ideologiekritisch gestimmte Linke in den sechziger Jahren neu entdeckte. Ihr diente er als Pate der Erkenntnis: durch seine Kritik der Oberfläche, der Zerstreuungskultur und ihrer neuen Träger, der Angestellten. Lange währte der historische Streit, wer denn Hitler an die Macht gebracht habe: etwa die Angestellten? Kracauers luzide Beobachtungen aus der Frankfurter Zeitung, die sich an der veränderten Büromentalität festfraßen, an der Angst vor der „Freisetzung“ oder am distinkten Verhältnis zu den Arbeitern: sie lesen sich heute noch stimmig, aber eben auch, wie der Titel eines solchen Blitzeindrucks lautet, „von oben“. Es gab damals auch soziologische Kärrner wie Emil Lederer oder Hans Speier, die sich dem Phänomen empirischer näherten. Bis sie wiederentdeckt wurden, dauerte es auch. Und manch ein Phänomenologe des Büros profitiert bis heute davon. Ulrike BaureithelOrdnungBekanntlich ist Ordnung das ganze Büroleben: „Gottesfurcht, Sauberkeit und Pünktlichkeit sind die Voraussetzungen für ein ordentliches Geschäft.“ So lautet das erste Statut einer Büroordnung aus dem 19. Jahrhundert. Die Zeit solcher apodiktischer Regeln ist zum Glück vorbei. Ordnung stellt aber noch immer ein hohes Gut dar. Aufgeräumt ist die gute Arbeitsstube, ein Ablagesystem dient als Kompass (➝Zonen), eine Wanduhr strukturiert die Zeit. Übersichtlichkeit, Geräuscharmut und der Verzicht auf sich am Boden stapelnde Stolperfallen dienen dem Arbeitsschutz. „Arbeit menschlich gestalten!“, fordert folgerichtig eine Broschüre der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin. Denn was ist menschlicher, so das zoon bürokratikon, als ein geregeltes Leben? Tobias PrüwerPersonalisierte TassenAuch Büroangestellte sind häusliche Menschen. Da man zwischen Registratur- und Rollladenschrank, Trennwand und Schreibtisch wenige Möglichkeiten hat, heimisch zu werden, zählen die kleinen Dinge. Personalisierte Tassen, mit dem Namen der Kinder oder knutschenden Diddl-Mäusen darauf, sollen die Stunden entfremdeter Büroarbeit emotional versüßen. Zugleich markieren Kuscheltiere, der eigene Wasserkocher und Überraschungsei-Figuren das Revier. Sie sichern die Identität im Funktionsinterieur und treiben Besuchern das Schmunzeln ins Gesicht. Kürzlich sah ich neben dem PC einer Fallmanagerin bei der Arbeitsagentur eine Tasse mit dem Schriftzug „Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1971“, die als Stifthalter diente. Winnie Puuh und seine Freunde grüßten dagegen von der Bürgeramt-Wand. Dass Menschen mit solchen Faibles über Schicksale entscheiden, das macht Büros wirklich unheimlich. TPRoutinenDie Fabrikglocke von früher ist heute das Startgeräusch des Computers. Damit geht bei den meisten Menschen der Arbeitstag los. Danach erstmal Mails checken. Der Büroalltag folgt häufig dem Regime von Routinen und Spleens. Das ist bei Freiberuflern nicht anders als bei Festangestellten. Der Platz für die Jacke, das erste Ziel im Netz, die Lieblingstasse im Küchenschrank, die Sitzordnung bei Meetings oder in der Kantine – ein Großteil des täglichen Officepakets ist auf Autopilot gestellt.Und unser Körper belohnt uns dafür. Bei jeder gewohnten Handlung schüttet er den Botenstoff Dopamin aus, der uns Sicherheit und Gelassenheit schenkt. Doch wehe eine Änderung im Ablauf tritt ein, eine Umorganisation in der Abteilung, ein neuer Kunde oder ein neuer Kaffeeautomat. Dann ist es mit der Ruhe schnell vorbei. Allein etwas Unbekanntes zu denken, haben Wissenschaftler herausgefunden, bindet etwa die Hälfte unserer Körperenergie. Diesen Stress muss man sich einfach sparen. MSSelbstständigkeitBüros haben Vor- und Nachteile. Geht man jeden Tag hin, etwa weil man fest angestellt ist, hat man geregelte Abläufe. Hinfahren, Kaffee machen, im Internet surfen, nach Hause fahren. Es gibt Menschen, die schätzen das, weil sie manchmal Wochenenden haben. Andere fühlen sich maximal fremdbestimmt.Ist man selbstständig, sind die Abläufe nicht ganz so geregelt. Man tut Dinge meist, wann man will. Das Büro als Zustand kann jederzeit abgeschaltet werden, zum Beispiel wenn Brisant läuft. Es gibt Menschen, die fühlen sich dadurch maximal selbstbestimmt. Nur verdient man mit Kaffeekochen und Internetsurfen dann kein Geld. Will man Geld verdienen, muss man Aufträge annehmen. Fremdbestimmtheit ist daher die Kehrseite der Selbstbestimmtheit: Aufträge kommen dann rein, wenn selbstbestimmte Festangestellte es wollen. Klaus RaabSerienDas Büro ist im Grunde ein lebensfeindlicher Ort, voller bornierter Vorgesetzter und unmotivierter Angestellter. Hier ist der Amtsschimmel zuhause. So sehen es jedenfalls die TV-Produzenten. Drei große Büroserien hat das deutsche Fernsehen hervorgebracht: Büro, Büro (1981-1992), Das Amt (1997-2003) und Stromberg (seit 2004). Sie spielen in einer Firma für Trimmgeräte, in einem Bauamt und in einem Versicherungsunternehmen. Während sich die Episoden in Büro, Büro bei allen Running Gags – Rolf Zacher als notorischer Zuspätkommer oder Alwin Thieme als pedantischer Sicherheitsbeauftragter – immer auch ums Geschäft drehen, setzen die beiden anderen auf das Zwischenmenschliche und die Comedy. Gearbeitet wird hier so gut wie nicht. Vielleicht ist das das realistischere Abbild. MSÜberbleibselMeist ragt eine Pflanze (➝ Grünzeug) heraus, der Rest bleibt Geheimnis. Wenn Ex-Arbeitnehmer ihren Büroplatz für immer verlassen, tragen sie die Überbleibsel in einem Pappkarton hinaus. Und der unbedarfte Betrachter wundert sich, was drin ist in der Kiste. Von den ➝personalisierten Tassen einmal abgesehen. Finden sich hier alle halbgelösten Sudokus versammelt, unvollendete Lektüren aus der Mittagspause und der sorgfältig abgewogene Eigenanteil aus der Filterkaffeekollekte? Raumspray, Haarbürste und Handcreme aus der Schublade? Und wie viel Büromaterial des ehemaligen Arbeitgebers mag unter dem Privatkram versteckt sein? Beim nächsten Mal, wenn man vor einem Behörden-Büro auf Einlass harrt, kann man sich vielleicht mit dem Spiel „Ich packe meinen Karton, und nehme mit ...“ die Zeit vertreiben. TPZonenDer gut organisierte Schreibtisch zeichnet sich durch natürlich definierte Zonen aus. Maßgeblich ist die Länge des Arms, der je nach Priorität greift, reicht oder sich streckt. Dabei bestimmt die Armeslänge den Radius, mit dem in halbrunden Zonen nach Wichtigkeit unterschieden wird. In Zone 1 agiert der durchtrainierte Schreibtischmensch mit angewinkelten Armen, das heißt: Er erreicht bequem die Tastatur. Um den Telefonhörer in Zone 2 abzunehmen, genügt es, den Arm lang zu machen. In leichter Vorbeuge erreicht man schließlich mit ausgestrecktem Arm die Ablagen in Zone 3. Der Profi verbindet dies mit Dehnübungen und kennt keine Problemzonen. ube
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