Gundremmingen abschalten, jetzt!

Atomausstieg Block A zerstörte die schwerste Reaktorpanne der BRD. B und C sind die letzten Siedewasser-AKW am Netz. Bleiben sie, ist das Moratorium wirklich nur ein Ablenkmanöver

Angela Merkel hat es in diesen Tagen nicht leicht. Immer wieder muss die CDU-Vorsitzende ihre Atompolitik erklären, im Bundestag, im Kabinett, auf ihren Wahlkampftouren in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, den Medien. „Wie alle habe auch ich aus Japan etwas gelernt“, sagt die Physikerin einerseits. Man könne doch jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, beschwört sie ihre Anhänger im überfüllten Saal. Um dann andererseits die Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke zu loben und nach dem „Sicherheitscheck“ einen „Ausstieg nach Augenmaß“ anzukündigen. Was das allerdings sein soll verrät uns die Kanzlerin nicht.

Baugleich mit Fukushima

Eigentlich wollte die Union mit ihrem Atom-Moratorium Handlungswillen und Verantwortung demonstrieren. Aber das taugt ebenso wenig wie Merkels Erklärungsversuche. Acht deutsche Reaktoren gingen nach Regierungswillen am Wochenende zur Prüfung vom Netz – und ausgerechnet die beiden Siedewasserreaktoren in Gundremmingen dürfen weiter Atomkerne zur Stromerzeugung spalten. Die Technologie von Block B und C ist baugleich mit der im japanischen Fukushima. Und wie in Japan kam es hier, am Standort Gundremmingen, zur bislang schwersten Reaktorpanne in der bundesrepublikanischen Atom-Geschichte.

Am 13. Januar 1977 hatte der Winter in Bayern jede Menge Raureif in die Landschaft gezaubert, so viel, dass die Stromleitungen zum Atomblock A in Gundremmingen unter der Raureiflast rissen. Der im Reaktor produzierte Strom konnte nicht mehr abfließen, es gab ja keine Verbindung zum Stromnetz mehr. Zwar schaltete sich Block A noch selbst korrekt ab. Dann aber versagte die Kette der sicherheitstechnischen Systeme: Die Energie, die der Reaktor weiter freisetzte, brachte dem Reaktorkern einen Totalschaden. Nie wieder sollte Block A des Atomkraftwerks Grundremmingen ans Netz gehen können.


Es ist die Technologie, die Siedewasserreaktoren besonders anfällig macht: Im Gegenteil zu den moderneren Druckwasserreaktor haben sie den Nachteil, dass ihr Kühlwassersystem nicht auf den radioaktive Kreislauf im Sicherheitsbehälter beschränkt ist. Das bedeutet: Im Falle eines Störfalls im Reaktorkern ist der Austritt von Radioaktivität wahrscheinlicher als in einem moderneren Druckwasserreaktor. Wegen dieser Gefahr wurden in Deutschland alle Siedewasserreaktoren vom Netz genommen: Das Atomkraftwerk Lingen genauso wie das in Würgassen, Großwelzheim (Bayern), Isar, Kahl (Hessen), Krümmel, Brunsbüttel und Philippsburg. Nur die beiden in Gundremmingen dürfen weiter laufen – ohne Prüfauftrag durch das Moratorium, als ob mit der Siedewassertechnologie nichts passiert sei.

Keine Tsunamis, dafür Wetterlage 5-b


Am Dienstag wartete die Kanzlerin nun mit einem neuen Coup auf: Eine Ethik-Kommission soll die Atomkraft unter gesellschaftlichem Aspekt betrachten. Chef soll der Atomkritiker Klaus Töpfer werden, man werde sich den Kommissionsergebnissen beugen, so die Bundeskanzlerin.


Gerne möchte man glauben, dass sich die Physikerin Merkel diesmal über die Position der Politikerin Merkel hinweg setzen kann. Aber dafür muss Gundremmingen vom Netz. Es simmt, Tsunamis gibt es in Westbayern keine. Dafür aber die Wetterlage 5-b: Extrem wasserreiche Luftmassen aus dem Mittelmeerraum regnen sich immer häufiger in Mitteleuropa ab. Oderflut, Donauflut, Elbeflut oder zuletzt die Flut an Neiße und Schwarzer Elster 2010 – stets waren 5-b-Wetterlagen verantwortlich. Der Kraftwerksstandort Gundremmingen liegt im Donautal, 500 Meter Luftlinie vom Fluss entfernt. In Fukushima setzte die Tsunami-Welle die Notstromaggregate außer Gefecht. Gleiches könnte eine Donauflut in Gundremmingen anrichten.


So sehr man der Union Glauben schenken mag, dass sie es Ernst meint mit der Sicherheit der Deutschen: Solange Gundremmingen am Netz bleibt, solange nicht die Eventualitäten eines Hochwasser, ein Versagen der Notstromaggregate und die Gefahren eines Lecks im externen Kühlkreislaufes untersucht werden, solange bleibt das Moratorium das, was das Wahlvolk ihm bescheinigt: Ein wohltemperiertes Ablenkmanöver.

Nick Reimer ist Chefredakteur von klimaretter.info

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